Muslimfeindlichkeit in Debatte um Clans: Mafia ist nicht Popkultur
Razzien bei „Clans“ vermitteln ein rassistisch geprägtes Bild von organisierter Kriminalität. Demokratiegefährdend aber sind ganz andere Strukturen.
D er heimischen Mafia, die sich im vergangenen Jahrhundert in Ringvereinen organisierte, widmete Fritz Lang bereits 1931 seinen Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Die TV-Serie „Babylon Berlin“ brachte die damaligen Ringvereine dem heutigen Publikum näher. 1934 wurden diese Vereine verboten, aber nach 1945 wiedergegründet. Als sie in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik erneut verboten wurden, wurde die Auflösung der Vereine als das Ende mafiöser organisierter Kriminalität, kurz moK, in Deutschland dargestellt.
Dem Selbstbild der Gesellschaft entsprechend existierte eine deutsche Mafia nicht mehr. Seitdem wird moK nur noch als ein Problem der „anderen“ dargestellt und popkulturell weidlich genossen: italienische Mafia, amerikanische SchmugglerInnen der Prohibitionszeit, südamerikanische Drogenkartelle, die russisch-eurasische Mafia und so fort.
Aktuell sind „Clans“ mit ausländischer Herkunft im Visier der Öffentlichkeit. Der Begriff „Clankriminalität“ wird benutzt, obwohl er bislang weder bei Polizei noch Justiz bundesweit verbindlich definiert ist. Meistens sind arabische Familien aus dem Libanon oder vom Balkan sowie Familien mit türkischen oder kurdischen Wurzeln gemeint. Selbsternannte ExpertInnen behaupten, der Islam sei hier entscheidend, „islamisch-arabische Clans“ seien die Hauptgefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland. Muslimfeindlichkeit mal anders.
Das verwundert, selbst das BKA stellt im Lagebild organisierte Kriminalität 2018 fest, dass der weitaus größte Teil bekannter Fälle organisierter Kriminalität Gruppierungen betrifft, die von Deutschen dominiert waren. Der Bericht meldet 6.483 Tatverdächtige, von denen nur 7,2 Prozent als „Zuwanderer“ erfasst wurden. Sie hatten eine Duldung, einen legalen Aufenthaltsstatus als Asylantragsteller oder -berechtigte, als Kontingentflüchtlinge, als international oder national Schutzberechtigte oder hielten sich unerlaubt in der Bundesrepublik auf. Diese Gruppe Tatverdächtiger wurde vom BKA erstmals gesondert erfasst, wobei als Symbol zur Kennzeichnung dieser Gruppe ausgerechnet das Piktogramm eines überfüllten Flüchtlingsboots gewählt wurde. Menschenverachtung mal anders.
Beim Thema moK steht die Gesellschaft vor zwei demokratiegefährdenden Problemen: erstens die moK-Phänomene an sich und zweitens die momentanen Diskurse darüber.
In die Schlagzeilen geraten spektakuläre Taten wie Überfälle auf Spielcasinos, der Einbruch ins KaDeWe oder der Raub einer millionenschweren Goldmünze aus dem Bode-Museum. Das lenkt jedoch den Blick vom Wesentlichen ab. Filmreife Raubzüge vermögen unser demokratisches System nicht auszuhöhlen, sie schüchtern nicht ganze Bevölkerungsgruppen ein oder zerstören die Aussicht auf soziale Gerechtigkeit.
Die gefährlichen, zentralen Machtstrukturen der moK sind selten direkt sichtbar. Systemgefährdende Kriminalität findet etwa in Anwaltskanzleien, Fabriken oder Rathäusern statt. Hier werden verbindliche Standards systematisch unterschritten: Konventionell erzeugtes Fleisch wird mit Biosiegeln veredelt, gepanschte Medikamente erhalten eine Marktzulassung, Giftmüll wird als Hausmüll verklappt. Wenn strukturierte Gruppen kriminell-gewalttätige Machtausübung mit wirtschaftlicher Stärke und Beziehungen in politisch-administrative Bereiche verbinden, entsteht die spezifisch mafiöse Form gesellschaftlicher Macht. Und die unterminiert den Rechtsstaat und wirkt demokratiegefährdend.
Verantwortungsvoll agierende Strafverfolgungsbehörden müssen dem effektiv entgegenwirken können, denn moK ist schon lange ein Problem in Deutschland. Die Instrumente zur Aufklärung sind nicht ausgereift, die Qualifikation der Zuständigen ist unzureichend. So müssen sich die Sicherheitskräfte vielfach den Vorwurf des racial profiling gefallen lassen. Eine rassismussensible Polizeiarbeit muss dringend Standard werden.
Das zweite Problemfeld bildet der aktuelle mediale Diskurs über „Clankriminalität“, der neue demokratiegefährdende Konfliktlagen schafft. PädagogInnen und JournalistInnen sind aufgeschreckt durch die sensationslüsternen Bilder der Realität, die täterfokussierte „ExpertInnen“ zeichnen. Der strukturelle Rassismus der Diskurse über moK-Phänomene externalisiert das Böse, schiebt es weit weg, den „Fremden“ zu.
Den Blick auf unser alltägliches Lebensumfeld zu schärfen, hilft dabei, die Dimensionen von moK zu erkennen. Realitäten können sichtbar werden, die sonst verborgen bleiben, obwohl sie direkt neben uns passieren: Wenn es gelingt, dass die Reinigungs- oder Pflegekraft bei uns zu Hause oder auf der Arbeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt wird, ist das Problem der moK im Bereich Menschenhandel zwar längst nicht gelöst – aber wir haben immerhin etwas über die Wirklichkeit gelernt.
Eine echte Gegenstrategie muss einen rassismussensiblen Einsatz repressiver Maßnahmen sowie ein wirksames Präventionskonzept umfassen. Die dreißig Jahre alte Arbeitsdefinition der Sicherheitsbehörden von organisierter Kriminalität muss novelliert und eine Definition spezifisch mafiöser organisierter Kriminalität in den umstrittenen Paragrafen 129 StGB eingeführt werden. Strafverfolgung muss durch Prävention ergänzt werden. Anlaufstellen für Betroffene der moK, etwa die Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel, sind auszuweiten, Zeugenschutzprogramme sind zu stärken. Auch Ausstiegswillige benötigen AnsprechpartnerInnen.
Das Thema moK gehört nicht nur in TV-Serien, sondern auch in die Schulen – in alle Klassen, unabhängig von ihrer sozialen Zusammensetzung. Und es bedarf einer für Realität und Gefahren der moK sensibilisierten Zivilgesellschaft, die effektiv zusammenwirkt, um mafiöse Strukturen zu benennen, ihre popkulturellen Codes zu ächten und Betroffene zu empowern.
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