Mit 9-Euro-Ticket zur Beachparty: Sylt, wir kommen!
Alle reden über die Insel. Die einen wollen hin, die anderen wollen ihre Ruhe und ihren Champagner für sich. Wie gut wäre die Party vor Ort wirklich?
D ie Neuauflage der Sylter Chaostage – seit Wochen ein Dauerbrenner in deutschen Memes. Ausgelutscht? I don’t think so. Jeder noch so späte Sylt-Joke löst bei mir den Thrill des Spiels mit der Angst almanesischer Bonzen aus. Haha, wir kommen auf eure Insel und zeigen euch mal, wie maus wirklich feiert. Na, schon am Zittern? Der Gedanke daran, für 9 Euro mit aufgeladenen Bluetooth-Speakern, Einweg-Grill (CO2-Ausgleich durch Bahnanreise) und Discounter-Crémant oder einem Kanister vorgemischtem Aperol Spritz sowie vegetarischen Würstchen in der Kühlbox auf Sylt anzutanzen, ist verlockend.
Für eine Beach Party braucht es kein Flugticket nach Malle, solange maus Abstriche beim Wetter machen kann. Doch dann der Realitätscheck: Von Berlin nach Westerland dauert es mit Nahverkehrszügen circa 8 bis 9 Stunden mit 3 bis 5 Umstiegen. Wir kennen die Deutsche Bahn. Es reicht eine Verspätung von 10 Minuten, um den Anschluss zu verpassen und bei einer Fahrtzeit über 10 Stunden zu landen. Und beim Aussteigen begrüßt eine_n das norddeutsche Schietwetter. Egal, die Sonne scheint manchen von uns aus dem Herzen, der spicy Wind und der graue Himmel müssen Dealbreaker sein. Erst mal ankommen und unter die Locals mischen, oder?
Im Trubel der nordfriesischen Partymetropole wird es leicht sein, sich den kulinarischen Genüssen und dem deutschen Savoir-vivre hinzugeben. Die Sorgen des Festlands werden bald hinter sich gelassen. Der ästhetische Abturn konfrontiert uns im Herzen Sylts. Wer denkt, dass deutscher Luxus sich in sehnsuchtserweckender Fülle und prächtiger Mode materialisiert, wird enttäuscht sein. Ohne je auf Sylt gewesen zu sein, kann ich mir ganz genau vorstellen, wie beschissen die High Society dort gekleidet sein wird. Für diese Einschätzung reicht es, durch Luxuskaufhäuser wie das KaDeWe oder das Alsterhaus zu flanieren und einen genaueren Blick auf die Klientel zu werfen. Ja, sie haben Kohle, doch sie haben zero Style.
Nicht nur die klaffende Arm-Reich-Schere, die Inflation und die ausbleibende Umverteilung machen wütend, sondern auch, mit eigenen Augen zu sehen, wofür Deutschlands Reiche ihr Geld verprassen. Wer viel Geld hat, dieses für Mode ausgibt und trotzdem schlecht gekleidet ist, braucht bei mir nicht auf Verständnis hoffen. Da verbringt maus also den halben Tag in Regionalzügen und wird nicht mal mit Eye Candy belohnt?
Keine Angst, das ist keine vom Verfassungsschutz finanzierte Anti-Kampagne der Chaostage, um euch abzuschrecken. Fahrt hin, trinkt einen für mich mit. Ich muss ehrlich mit mir sein: Meine Mental Health verkraftet es nicht, von so viel Hässlichkeit bei gleichzeitigem Überfluss umgeben zu sein. Schickt mir eine SMS, wenn Sylt zum Ort des linken Bonvivants avanciert. Ich bringe uns dann aus Berlin Nachschub von allem mit, was dort noch fehlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken