Missbrauch in der Modebranche: Die unguten alten Zeiten
Der Designer Wolfgang Joop verharmlost sexualisierte Gewalt. Trotz seiner Entschuldigung wird dadurch gesellschaftlicher Stillstand sichtbar.
Bekanntlich leben wir ja in Zeiten, in denen man nichts mehr sagen darf. Zumindest wird dieser scheinbare Verlust der Meinungsfreiheit ständig bejammert. Warum das Quatsch ist, hat kürzlich erst wieder der Modedesigner Wolfgang Joop bewiesen. In der aktuellen Ausgabe des Spiegels philosophierte er im Interview über Jogginghosen, lästerte ein bisschen über die Kleidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den vielleicht baldigen Vizekanzler Robert Habeck und trauerte den guten alten Zeiten hinterher.
Doch die guten alten Zeiten sind für Joop anscheinend jene, in denen Frauen wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden – und es keinen interessierte. So sagt der 76-Jährige, er habe beim Tod von Karl Lagerfeld geweint, weil „diese Welt so wunderbar frivol und frigide war“. Als Beispiel führt er an: „Alles war käuflich. Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten.“ Die beiden Redakteure Martin U. Müller und Tobias Rapp, die das Gespräch führten, reagieren darauf mit den Worten: „Das ist ja fürchterlich.“ Woraufhin Joop entgegnet: „Ja. Aber wirklich schön ist die Modewelt nur, wenn es auch die Sünde gibt.“
Wenn junge Frauen also sexuell genötigt und im schlimmsten Fall vergewaltigt werden, beschreibt Joop das als „Sünde“, die eine Modewelt erst „schön“ mache. Seine Worte sind im besten Fall eine Verharmlosung sexualisierter Gewalt, im schlimmsten eine Verherrlichung dieser.
Diese wenigen Sätze reichen aus, um zu zeigen, wie wenig wir im Kampf gegen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt bislang erreicht haben. Sie zeigen, wie sehr wir auf der Stelle treten – trotz der #MeToo-Bewegung. Gut vier Jahre ist es her, dass eine globale Debatte über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch losgetreten wurde. Und während die einen sich freuen, es habe sich ja so vieles zum Positiven gewandelt, beklagen andere, die Bewegung sei zu weit gegangen, stelle Männer wahllos an den Pranger und übertreibe maßlos. Doch in Wahrheit hat sich gesellschaftlich kaum etwas verändert.
Darüber reden reicht nicht
Klar, es gab einzelne Erfolge, wie Gesetzesänderungen in einigen Ländern. Und das Aufrechterhalten einer Debatte über mehrere Jahre kann auch als Erfolg gelesen werden. Doch das Darüberreden wird irgendwann hinfällig, wenn gesellschaftliche Veränderungen ausbleiben.
Auch die Modebranche hat ihre #MeToo-Momente erlebt. So wurden Vorwürfe gegen drei der renommiertesten Modefotografen erhoben: Terry Richardson, Mario Testino und Bruce Weber. Eine New-York-Times-Recherche behandelte Anfang des Jahres, was hinter den Kulissen der Luxusunterwäschenmarke Victoria’s Secret vor sich geht, und thematisierte dort auch die vielfachen Vorwürfe gegen den Marketingchef Edward Razek. Bei diesen vier Fällen gab es teilweise berufliche Konsequenzen, teilweise landeten die Fälle vor Gericht. Verurteilt ist bislang keiner der Beschuldigten.
Und eine grundlegende Veränderung der Branche ist seitdem erst recht nicht sichtbar geworden. Und hier liegt genau das Problem. Auch wenn Joops Aussagen höchst problematisch sind, er ist nicht alleine das Problem. Es ist die Branche, die, wie viele andere, ihre strukturellen Probleme nicht aufgearbeitet hat. Machtmissbrauch und Belästigung haben wie in anderen Bereichen auch in der Modebranche nicht aufgehört.
Im aktuellen Fall von Joop zeigt sich außerdem, wie viele seine Aussagen scheinbar durchgewinkt haben, ohne dass sie ihnen als problematisch aufgefallen sind. Als Erstes sind da natürlich die beiden Journalisten, die mit ihm das Gespräch geführt haben. Es ist ihre journalistische Verantwortung, kritisch nachzufragen, wenn jemand sexualisierte Gewalt verharmlost und Straftaten andeutet. Ein kleines „Das ist ja fürchterlich“ reicht hier nicht aus. Das müsste auch den Blattmacher:innen und Chefredakteur:innen des Magazins auffallen, bevor sie ihr Magazin in den Druck schicken. Stattdessen ist das Interview im gedruckten Spiegel-Magazin geziert von lässigen Bildern des Designers. Weder im Inhaltsverzeichnis noch im Teaser oder in der Werbung bei Twitter wurde auf die problematischen Textstellen verwiesen.
Zeit, die Täter zu ermitteln
Zudem ist es in der deutschen Medienlandschaft Usus, dass Interviews autorisiert werden. Gerade Prominente nehmen dieses Angebot in der Regel in Anspruch. Nicht selten werden dabei große Teile des Gesprächs im Nachhinein von den Agenturen, Managements oder den Prominenten selbst wieder entfernt, um den Interviewten nicht schlecht dastehen zu lassen. Joops Aussagen aber blieben stehen. Sie sind also vermutlich über einige Schreibtische gewandert – und keine:r schien sich daran gestört zu haben.
Nachdem Joop am Wochenende für seine Aussagen im Netz kritisiert worden war, hat er sich am Sonntag bei Facebook und Instagram bei allen, die er mit seinen Aussagen „verärgert und verletzt hat“, entschuldigt. Dort erklärt er, er habe mit drastischen Worten „auf die Korruption und Frivolität der siebziger und achtziger Jahre der Branche“ hingewiesen. Deren Bestandteil sei „bedauerlicherweise auch der respektlose und missbräuchliche Umgang mit Models“ gewesen. Und weiter: „Meine Aussage bezüglich der Sünde in der Modewelt war im Kontext deplatziert.“
Und hier ist dann doch ein Unterschied zwischen heute und den guten alten Zeiten von damals, denen Joop hinterhertrauert. Denn natürlich kann noch immer alles gesagt werden, doch auch der Widerspruch gegen dieses Gesagte ist mittlerweile normalisiert. Gibt jemand öffentlich Misogynes von sich, bleibt ein Aufschrei nicht aus. Aber Aufschreie und Entschuldigungen werden nicht reichen, wenn wir wirklichen gesellschaftlichen Fortschritt wollen. Ein erster Schritt wäre jetzt, die Fälle von damals aufzuarbeiten: Die Models, über die Joop im Interview spricht, leben vermutlich alle noch. Spätestens jetzt also wäre es an der Zeit, die Täter zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen – Zeug:innen gibt es scheinbar genug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken