Modedesigner Wolfgang Joop: „Wir wollten krass sein“

Wolfgang Joop, Deutschlands bedeutendster lebender Modeschöpfer, wird 75 – und blickt auf sein grenzüberschreitendes Leben zurück. Ein Besuch.

Wolfgang Joop mit Stoffrollen

„Unsere Zeit verlangt, nüchtern und wachsam zu sein… leider“: Wolfgang Joop Foto: Inge Prader

Vom Park des Schlosses Sanssouci bis zum Haus von Wolfgang Joop in Potsdam sind es nur paar hundert Meter. Die sandsteinfarbene Villa steht in einem Innenhof auf dem Fundament des Kuhstalls seiner Großeltern. Im vergangenen Jahr ist der Modeschöpfer mit seinem jahrzehntelangen Lebenspartner und Manager Edwin Lemberg auf das Familienanwesen im Stadtteil Bornstedt zurückgezogen, Tochter Florentine und Ex-Frau Karin wohnen nebenan.

Die Heimkehr hat Erinnerungen in ihm hervorgebracht. In seiner neuen Autobiografie „Die einzig mögliche Zeit“ erzählt der 74-Jährige seine ostwestdeutsche Familiengeschichte, eingebettet in seinen Weg vom Bauernenkel zum namhaftesten lebenden Modedesigner Deutschlands.

Nun sitzt er in grüner Sporthose am gedeckten Tisch seiner Wohnküche. Goldene Antikmöbel stehen einer silbernen Küche mit Insel gegenüber. Ein preußisches Rokoko-Sofa trifft auf weiße Fellsessel. Historische Gemälde glänzen unter modernen Deckenstrahlern. „Ein bewusstes stilistisches Kuddelmuddel“, sagt der Hausherr und steckt kurz darauf seiner Rhodesian-Ridgeback-Hündin ein Stück Brötchen von seinem Teller ins Maul.

taz am Wochenende: Herr Joop, waren Sie schon einmal in einer Filiale des Mode-Discounters Primark, der ­T-Shirts für 2.50 Euro verkauft?

Wolfgang Joop: Ja, der Laden sieht aus wie ein Massengrab. Das Traurige ist: Die jungen Leute haben sich die Freude daran nehmen lassen, sich am Samstag fürs Ausgehen anzuziehen.

Es ist die Zeit von „Fast Fashion“, also von Ketten wie Zara, H&M und Primark mit günstiger, schnell wechselnder Massenmode.

Das erklärt sich mir in dieser Zeit, da die Modeindustrie in der Krise steckt, wie Zauberei. Mit „rechten“, also alten Mitteln kann das nicht zugehen. Junge Modedesigner mit der Vision, Menschen innovativ und political correct anzuziehen, lernen in diesen großen Unternehmen eine andere Wirklichkeit. Aber es gibt Gott sei Dank auch den Gegentrend: Aus kleinen Ateliers entstehen Mikro-Luxuslabels, deren coole Entwürfe dem Bedürfnis entstammen, Dinge behalten zu können, weil sie inspirieren und wieder Lust auf Mode erwecken.

Es wird immer mehr Kleidung gekauft und immer kürzer getragen – die Modeindustrie verursacht laut UN rund 10 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen.

Das Problem ist, dass wir Menschen immer mehr werden. Immer mehr brauchen etwas zum Anziehen. Wir haben kein schönes Fell, sondern empfindliche Haut. Wir müssen uns bekleiden. Ich habe in meinen Kleiderschrank besondere Stücke seit 30 Jahren aufgehoben, die ich ganz nach Laune immer neu kombiniere.

Ihre Freundin, die britische Modedesignerin Vivienne Westwood, prägte die Formel „Buy less, choose well, make it last“.

Sie hat recht. Als sie mal gefragt wurde; „Was würde mir am besten stehen?“, hat sie auch richtig geantwortet: „Bildung.“ Ich finde, wir können aus diesem Schlamassel nur mit einer hoch geschärften Intelligenz herauskommen.

Was läuft konkret falsch?

Durch Überproduktion entstehen nutzlose Überschüsse, die dann statt beim Verbraucher im Abseits landen. Irgendwo. Dass alles irgendwie, irgendwo teilweise recycelt wieder auftauchen wird, glaube ich nur bedingt. Das Problem betrifft nicht nur die Billigmode. High-Fashion-Häuser, die bis zu zwölf Kollektionen im Jahr produzieren und auf die Laufstege der Welt schicken, haben das gleiche Dilemma. Die grundsätzliche Frage heute lautet: Worauf kann ich eventuell verzichten? Und was würde mir wirklich Freude bereiten, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen? Früher war es selbstverständlich, dass nicht alle alles haben und konsumieren können; der Mangel machte uns kreativ. Flüge, die 35 Euro kosten, zeigen doch, dass wir uns verrannt – äh – verflogen haben. Wirkliches Reisen sowie auch Kaviar und Kokain gab es nur für eine ehemalige High Society, für die anderen eben nicht.

Wenn Sie Kokain schon ansprechen – in Ihrer neuen Autobiografie erzählen Sie von einer Drogen-Dinnerparty in New York. Sie nahmen selbst Kokain.

Ende der siebziger Jahre landete ich in New York zwischen Glam-Rock und New Wave; da war alles bunt, sexy und high. Viele meiner Generation hegen heute nostalgische Gefühle für diese Zeit. Unsere verlangt, nüchtern und wachsam zu sein … leider. Ich war neulich im Berghain und …

Sie gehen mit 74 Jahren noch in den Berliner Technoclub Berghain?

Ja, ich blieb nicht lange, aber ich wollte den Club noch einmal von innen sehen, bevor die Schlange davor bis Schönefeld reicht. Ach so, Sie müssen diese Splitterbrötchen hier essen! Sie müssen! Darauf machen Sie diese Crème fraîche. Hier ist gekochte Marmelade von unseren eigenen Früchten.

Vielen Dank.

Ich war gestern das allererste Mal bei McDonald’s. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und aß diese grauenvollen Chicken Wings.

Sie sind kein Vegetarier mehr?

Ich esse keine Säugetiere, nichts, was ein Baby gebärt, aber Fisch und manchmal ein Freiland-Huhn. Ich lege mir mein Menü so zurecht, dass ich moralisch gesehen alles verdauen kann. Unfassbar für mich, ein Kälbchen anzuschauen und an Wiener Schnitzel zu denken. Ich komme vom Land. Eine Kuh ist ein liebes Wesen. Sie frisst Gras. Und dann wird ihr Baby mit Stricken von ihr weggerissen und behauptet, die Kuh trauere nicht. Man spricht den Tieren Emotionen ab. Wir Menschen haben in der Geschichte gezeigt, dass wir einen Mangel an Empathie haben. Das Christentum war ein großer Versuch, Mitgefühl zu triggern, aber ist dann ja auch umgekehrt gelaufen.

Früher entwarfen Sie Pelzmäntel, für jeden wurden Dutzende Nerze getötet.

Ja, und mit den Entwürfen bin ich Anfang der achtziger Jahre international bekannt geworden. Nach kurzer Zeit aber wurde ich dem Thema gegenüber sensibilisiert, als dann nackte Supermodels in den neunziger Jahren auf Plakaten von Peta, einer Tierschutzorganisation, dies anprangerten. Heute, in unserer paradoxen Welt, lassen wir Rihanna ungeschoren mit einer riesigen Polarfuchs-Stola auftreten, auf der in schwarzen Buchstaben „fear“ steht. Heutzutage werden leider mehr Pelze getragen als je zuvor.

Vergangenes Jahr lernten Sie die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht in einer Talkshow kennen. Sie waren merklich voneinander fasziniert, blieben in Kontakt, die Linke veranstaltete einen Gesprächsabend mit Ihnen beiden.

Der Mann

Wolfgang Joop, geboren 1944 in Potsdam, gründete die Modefirmen JOOP! und Wunderkind. Er trennte sich von beiden und initiierte zuletzt die Marke Looks. Zudem wirkte er als Autor, Maler, TV-Juror und Honorarprofessor. Er ist Vater (zwei Töchter) und Großvater (fünf Enkel).

Das Buch

In seiner Autobiografie „Die einzig mögliche Zeit“ (Kindler Verlag, 496 Seiten) beschreibt er meist zwischenmenschliche Anekdoten. Sie spannt den Bogen von seiner Kindheit im Potsdam der Nachkriegsära bis zu seiner Rückkehr auf das Familiengut im vergangenen Jahr.

Sahra ist eine beeindruckende Frau. Selten sah ich jemanden, der so unbeirrbar seine Ideale vertritt. Wie auch ich ist sie beeinflusst durch die Zeit des Real-Kommunismus und den Zerfall vom Land Absurdistan – der DDR. Sahra wirkt wie eine Jeanne d’Arc des Sozialismus, wenn ich mir den Vergleich erlauben darf.

Es gab auch Dissens zwischen Ihnen. Wagenknecht sagte: „Es gibt keinen grünen Kapitalismus“, und: „Da muss etwas Neues kommen.“ Sie sagten: „Der Kapitalismus muss ja gerettet werden.“ Sie plädierten für eine „profitorientierte Wirtschaft“ mit einem „Zurück zur Natur“.

Was ich damit meinte, war, dass ich die soziale Marktwirtschaft retten möchte. Dass es keinen „grünen Kapitalismus“ geben kann, war mir in der Sekunde schon klar. Leider ist die menschliche Natur aber auf den Tausch von Gütern und Vermehrung von Profiten ausgerichtet. In seiner Mentalität ist der Kapitalismus ein wildes Tier. Das muss gezähmt werden.

Sie wählen heute die Linke. Vor 20 Jahren sagten Sie noch, die FDP sei „von ihren Grundsätzen her die sympathischste Partei“. Der damalige Generalsekretär Guido Westerwelle besuchte Sie zu Hause, um über ein Engagement zu reden.

Ich sagte an dem Abend mit Sahra: „Was bleibt mir übrig zu wählen? Entweder das Christentum oder die Linke.“ Ich fand Guido Westerwelle sehr sympathisch und so geoutet fand ich alles in Ordnung. Aber ein Angebot oder ein Engagement hat es nie gegeben, was fälschlicherweise immer wieder behauptet wird.

Hier in Brandenburg, wo Sie leben, wählte bei der Landtagswahl fast jeder Vierte die AfD.

Ich glaube zu wissen, dass viele Menschen hier in Brandenburg keine Per­spektive für ihr Leben sehen. Man hatte sich an die alten Strukturen gewöhnt, auch wenn sie beengend waren. Unvorbereitet auf diese sich rasant verändernde Welt, die Globalisierung, fühlt sich eine große Zahl von Wählern aufgefordert, den alten Volksvertretern zu zeigen, dass es durchaus Alternativen gibt. Tatsächlich haben die Medien sich hier auch schuldig gemacht. Man hat die AfD in den vielen Talk-Shows, zum Beispiel bei der Maischberger, als Exoten durch die Arena geführt. Wir hätten sie ausgrenzen sollen, da sie eine Partei ist, die von den Wählern nur missbraucht wird, um ihren Protest auszudrücken.

Sie wuchsen im Potsdam der SBZ und DDR auf, 1953 siedelten Ihre Eltern mit Ihnen nach Braunschweig um. Sie fuhren jede Ferien zur Familie in den Osten, wie Sie im Buch beschreiben. Im Westen fragten Ihre Freunde Sie, ob Sie die Sprache der DDR noch sprechen, im Osten warnte ihr Großvater Sie vor den „Parvenüs“ aus dem Westen. Fühlten Sie sich wie zwischen zwei Welten?

Die Menschen in der DDR waren mir vertrauter, dachte ich. Aber eigentlich kannte ich ja nur ein paar Leute hier in Potsdam. Als ich im Westen in der Modewelt Karriere machte, bot man mir kleine Jobs in der DDR an, für die ich mit einem Halbjahresvisum entlohnt wurde. Dieser Zettel war mir mehr wert als ein Riesenhonorar, denn ich konnte „nach Hause“ kommen, wann immer ich wollte.

Sie berieten die DDR-Staatsfirmen Porzellan-Manufaktur Meissen und Textilcommerz. Sie hielten Vorträge, sollten eine Meissen-Kollektion entwerfen, beides für Exporte in den Westen, also zum Zweck der Devisenbeschaffung. Sehen sie Ihre Mitarbeit heute kritisch?

Nein. Ich war vor allem immer froh, dass ich nicht denunzieren musste.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Sie resümieren Ihre Motivation so: Es sei nicht nur Heimatliebe und Solidarität mit denen, die die Mängel der DDR kompensierten, gewesen. Es habe ihnen auch das Gefühl gegeben, Sie seien „das hofierte, privilegierte Einzelkind, das den Menschen im Osten das Parfum des Westens und der Freiheit mitbrachte“.

Dass ich mit meinem Namen für dieses System PR gemacht habe, war ein verdrehter Stolz. Ich war in der DDR irre stolz, eine Person mit Privilegien zu sein. Im Osten konnte ich immer von einer Welt berichten, die die nicht kannten, aber wahnsinnig exotisch fanden.

Nach drei Jahren platzte die Meissen-Kooperation ohne dass je Porzellan produziert wurde. Sie fragen im Buch: „War das Ganze ein Projekt mit einem ganz anderen Ziel gewesen?“ Was, glauben Sie, steckte dahinter?

All das ist lange her. Mir war klar, dass der Wohlstand des normalen Bürgers stark von den Devisen abhing. Wir lebten in den Zeiten des Kalten Krieges und ignorierten ihn. Die internationalen Geheimdienste hatten eine unsichtbare Parallelwelt gestrickt; wer da hineingeriet, konnte leicht verschwinden. Man wollte sicherlich auch testen, ob ich ein zuverlässiger Kandidat bin – vermute ich. Der Generaldirektor hatte sich in den Westen abgesetzt, und die Wende zerschlug das Projekt.

Haben Sie Ihre Stasiakte eingesehen?

Ich habe sie beantragt. Es dauert ewig. Sie ist riesig. Früher hat mein Anwalt etwas Einblick bekommen. Es stand drin: Er scheint für diesen Job falsch zu sein. Er versteht die Brisanz nicht. Er ist so freizügig erzogen, der würde Geheimnisse nicht respektieren.

1991 titelte Superillu: „Modekönig Joop – Schalcks schönster Spion?“ Spionagevorwürfe erhärteten sich jedoch nicht. Ihr Vater warf Ihnen dennoch vor, Sie hätten sich gegenüber der DDR unkritisch und opportunistisch verhalten.

Mein Vater war natürlich komplett ­gegen die DDR, weil er zuvor in Buchenwald und Sachsenhausen eingesperrt war. Wie alle Konservativen war er so empört über den Kommunismus. Der war ja für uns alle die Maske des Feindes. Mein Vater fand mein Verhalten, nur um dauernd nach Potsdam fahren zu können, sehr zweifelhaft. Finden vielleicht manche Leute auch, aber ich stehe dazu.

2014 wurden Sie Juror der TV-Show „Germany’s Next Topmodel“ neben Model Heidi Klum. Zwei Jahre zuvor sagten Sie über die Sendung noch: „Dieser Exhibitionismus und dieses Vorführen junger Mädchen ist nicht mein Stil.“

Ich habe mich belehren lassen, dass es umgekehrt ist. Ich bin – typisch Modeleute – leicht verführbar, das Maul aufzumachen. Heidi Klum ist ein Phänomen unserer Zeit. Das ist eine geilere Miss-Wahl als früher, es geht um die Schicksten, die ein Land zu bieten hat. Überhaupt dabei zu sein ist ja schon was fürs ganze Leben.

Bei einer Studie gab fast ein Drittel von Patienten mit einer Essstörung an, die Sendung habe sehr starken Einfluss auf ihre Krankheit gehabt.

Essstörungen haben ganz viele, solche oder solche, aber sie betrifft meistens Menschen mit psychischer Vorbelastung. Ich beobachte allerdings, dass die Mehrzahl meiner Mitmenschen hemmungslos konsumiert und eher übergewichtig ist. Models sind schlank, weil sie neben Veranlagung auch diszipliniert sein müssen.

Sie würden Ihre älteste Enkelin bedenkenlos bei „GNTM“ teilnehmen lassen?

Ja, aber absolut. Da bekäme sie ein Bootcamp, das ich ihr nicht geben kann.

Apropos Verwandtschaft: Der Fokus Ihres Buchs liegt überraschend nicht auf Ihrer Karriere, sondern auf Ihrer Familie und Ihrer Heimat Potsdam. Waren die am Ende wichtiger als Mode?

Natürlich, ich bin ja keiner, der alles durch den Modewinkel sieht, wie Karl Lagerfeld. Es ging mir zum Schluss ganz privat darum, wen ich anspreche: Edwin, meine Kinder und Karin.

In einer Szene bittet Ihre spätere Frau Karin Sie in jungen Jahren, ihr eine Zigarette auf ihrer Brust auszudrücken. Sie taten es.

Sie hat sechs Wochen überlegt, ob das ins Buch darf. Erst sagte sie nein, sie habe jetzt so bürgerliche Freunde. Aber die Szene sagt so viel aus. Diese beiden losgerissenen, ineinander verknallten Wesen, die es noch auf den Punkt treiben wollten. Wir wollten krass sein, anders sein. Wir hatten das Gefühl, da ist so ein französischer Regisseur in der Nähe und wir sind die ideale Besetzung.

Nun werden Sie im nächsten Monat 75 Jahre alt.

Ich werde auf jeden Fall abhauen. Ich wäre da gerne in Marrakesch auf den Wegen von Yves …

dem französischen Modedesigner Yves Saint Laurent, dessen Rückzugsort Marrakesch war. Gar keine Feier?

Nein, viele Ältere auf einem Haufen wirken unappetitlich.

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