Ministerium für Digitales: Der Quatsch mit dem Querschnitt

Ein Ministerium für digitale Transformation muss her. Die Vorstellung, dass beim Internet alle mitdenken, ist illusorisch.

Schematische Zeichnung eines Hauses, darüber drei Wellen, die das Internet symbolisieren sollen

Ministerium für Digitales? In Deutschland bisher noch eine utopische Vorstellung Illustration: Jeong Hwa Min

Als Alexander Dobrindt, erster Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2013 sein Amt antrat, wurde er gerne vorgestellt als Mann für die Netze. Gemeint war: das Straßen- und das Schienennetz und – haha, das Internet. Letzteres wurde meist intoniert wie ein joviales Sich-gegenseitig-auf-die-Schuler-Klopfen: Seht her, was sind wir fortschrittlich.

Wir haben jetzt ein Ministerium, das sich ganz offiziell ums Internet kümmert – und das zum damaligen Zeitpunkt nur rund 20 Jahre nach dem Start des WWW, also des immer noch Standards setzenden Konzepts dessen, was wir heute als Internet verstehen, mit Webseiten und Links.

Dass sich das erste Andocken der Digitalisierung auf Bundesministeriumsebene ausgerechnet des Segments Infrastruktur annahm, ist sicher kein Zufall, sondern Symptom dessen, wie das Internet gerade in den tonangebenden konservativen Po­li­ti­ke­r:in­nen­krei­sen – abgesehen natürlich von einem phänomenalen Überwachungsinstrument – immer noch verstanden wird:

Als eine technische Infrastruktur, die man mit ein paar Pilotprojekten hier und ein bisschen Förderung da zumindest so weit in den Griff kriegen kann, dass es am Ende der Legislatur für etwas Eigenlob reicht. Und klar, Netzinfrastruktur ist wichtig. Aber das Internet hört doch nicht da auf, wo es zu Hause aus dem Router oder unterwegs aus der SIM-Karte kommt. Im Gegenteil: Es fängt da gerade erst an.

In der Politik ist in solchen Fällen dann gerne von Querschnittsressorts die Rede. Themen quasi, die alle mitdenken sollen, weshalb es kein eigenes Ministerium dafür brauche. Und auf den ersten Blick mag das schlüssig klingen: Digitalisierung – ist das nicht alles? Ist das nicht genauso Verbraucherschutz wie Agrar, nicht genauso Bildung wie Verkehr, Energie wie Gesundheit?

Mangel an Kompetenz und Durchsetzungkraft

Geht es nicht um Tracking im Internet genauso wie um vernetzte Landmaschinen, um digitalen Unterricht ebenso wie um selbstfahrende Autos, um Smart Meter für die Energieversorgung wie um die elektronische Patientenakte? Klar. Tatsächlich betrifft die Digitalisierung sämtliche Lebensbereiche und damit auch sämtliche politischen Ressorts. Und dann schließt sich leider ein Denkfehler an. Nämlich dass, was alle mitbetrifft, auch schon mitgedacht würde.

Dass mitdenken mitunter das Gegenteil von daran denken ist, weiß, wer sich zum Beispiel schon mal mit Inklusion oder Genderthemen befasst hat. Und auch bei der Digitalisierung ist offensichtlich: Das kann nur schief gehen. Denn allein ein Ressortzuschnitt wie Verkehr birgt mehr Binnenkonflikte, als sich harmonisch lösen lassen. Wer oder was soll denn nun Priorität haben: Lkws oder Schienengüterverkehr? Wege für Autos oder für Radfahrende? Klimaschutz oder individuelle Freiheit?

Interessen der Industrie oder Belange des Naturschutzes? Wie sollen es da erst sämtliche Ministerien schaffen, eine digitale Transformation „mit“zudenken? Und das daraus Entstehende dann auch noch einigermaßen elegant untereinander in Balance zu bringen? Genau, sie schaffen es nicht. Wozu das führt, ist bekannt: Schulen und Universitäten, die technisch derart unterirdisch ausgestattet sind, dass nach über einem Jahr Pandemie guter digitaler Unterricht immer noch eher die Ausnahme als die Regel ist.

Regionen, in denen es eine halbe Stunde dauert, eine E-Mail mit Anhang zu verschicken, von der Teilnahme an einer Videokonferenz müssen wir gar nicht erst sprechen. Behörden und Verwaltungen, die lieber auf Microsoft-Produkte setzen als auf schlanke Open-Source-Lösungen im Sinne von digitaler Souveränität. Ein Wirtschaftsminister, der mit Gaia X eine europäische Cloud-Lösung promotet, gar einen europäischen „Moonshot“ verspricht, eine Alternative zu Cloud-Anbietern wie Google und Amazon.

Die dann aber später doch mit ins Boot dürfen. Als wäre es undenkbar, dass auch ohne die US-amerikanischen Anbieter etwas Brauchbares herauskommt. Das Problem hat einen gemeinsamen Nenner: Es fehlt ganz offensichtlich jemand, der:­die ausreichend Kompetenzen, Wissen und Durchsetzungsfähigkeit hat, um ein tragfähiges Fundament für einen immer weitergehenden gesellschaftlichen Transformationsprozess zu schaffen.

Es braucht Ideen, Konzepte, Geld und Gesetze

Und deshalb braucht es nach der Bundestagswahl dringend ein eigenes Digitalministerium oder, noch besser: ein Ministerium für digitale Transformation. Man kann den Unterschied in der Wortwahl – Digitalisierung versus digitale Transformation – erbsenzählerisch finden, er weist aber auf einen zentralen Unterschied hin: Digitalisierung ist ein Prozess, etwas, das passiert und dem man sich – mehr oder weniger enthusiastisch und erfolgreich – stellt.

Zur bewussten und gewollten Gestaltung einer digitalen Transformation hingegen gehören Ideen, Konzepte, Budgets, Beteiligungsverfahren, Initiativen, Gesetze, globale Vereinbarungen und noch viel mehr, das nicht nur reaktiv gedacht wird, sondern aktiv und nach vorne. Es geht also nicht darum, Digitalisierung bedingungslos gut zu finden, à la FDP „Digital first, Bedenken second“.

Es geht auch nicht darum, Digitalisierungsprozesse, die ohnehin stattfinden und stattfinden werden, ein bisschen zu begleiten, vielleicht hier und da abzufedern oder mal etwas rumzulenken. Es geht um aktive Gestaltung. Und ja, auch darum, ungemütlich zu werden, das muss ein:e Fi­nanz­mi­nis­te­r:in schließlich auch. Um nur ein paar Beispiele zu nennen, die über die notwendige Lösung der bereits genannten Missstände hinausgehen:

Wie kann eine digitale Transformation dazu beitragen, uns als Gesellschaft einen großen Schritt weiter in Richtung Nachhaltigkeit zu bringen? Wie kriegen wir die Beschaffung der öffentlichen Hand mit ihren Millionen von Geräten grün? Welche Anreize können wir setzen für eine Programmierkultur, die schlanken, energiesparenden Code schreibt? Wie schaffen wir es, den zahlreichen Rebound-Effekten, die auf allen Ebenen entstehen und noch entstehen werden, entgegen zu wirken?

Wie lassen sich alle nötigen und gewollten Prozesse bewusst inklusiv gestalten? Welche Facetten hat die digitale Kluft in der hiesigen und in der globalen Bevölkerung? Und wie erreichen wir gerade hier digitale Suffizienz, um auch bei globaler digitaler Teilhabe diesem Planeten nicht noch mehr zuzumuten? Vielleicht traut sich ja ein:e Mi­nis­te­r:in für digitale Transformation sogar an die Postwachstums-Idee heran – die aktuelle digital-industrielle Revolution wäre in dieser Hinsicht eine Chance, die es so schnell nicht wieder geben wird.

Das sind die großen Fragen, aber natürlich kommt es genauso auf die Details an. Sascha Lobo hat auf der diesjährlichen Netzkonferenz re:­pu­bli­ca sehr treffend eine der Erkenntnisse aus der Pandemie benannt: Digitale Transformation in Deutschland, das geht anscheinend nicht ohne Druck. Homeoffice als Möglichkeit, die funktioniert, Konferenzen im digitalen oder hybriden Format, asynchrone Universitäts-Vorlesungen – vor der Pandemie höchstens eine seltene Ausnahme.

Corona-Zwänge steigern den Druck

Digitalisierung ist hier, wie auch in allen Bereichen sonst, kein Selbstzweck. Beispiel digitale oder hybride Konferenzen oder Vorlesungen: Dabei geht es schlicht um niedrigschwelligere Teilhabe. Teilhabe für Menschen, die sich kein Zugticket quer durch Deutschland oder ein Flugticket um die halbe Welt leisten können, um an einer wichtigen Konferenz oder an einem internationalen Kongress teilzunehmen.

Studierende, die aus gesundheitlichen oder familiären oder finanziellen Gründen nicht von morgens bis nachmittags in der Uni sitzen können und für die es praktisch oder essentiell wäre, Veranstaltungen spät abends oder am Wochenende nachholen zu können.

Dass ausgerechnet in einem anderen zentralen Bildungsbereich – der Schule – nicht einmal eine Pandemiesituation ausreichend Druck aufbauen konnte, um endlich eine grundlegende Basis für einen digitalen Unterricht mit einer Teilhabe für alle aufzubauen, zeigt noch mehr, wie dringend es ein Bundesdigitalministerium braucht. Es wäre eine Chance, das Verantwortlichkeitsgestrüpp aus Bund und Ländern einzuhegen, ohne dass ir­gend­ei­n:e Lan­des­bil­dungs­mi­nis­te­r:in gleich wieder schreit:

Ich will aber Online-Unterricht nur mit Microsoft Teams. Und mal eben die Daten mehrerer Schü­le­r:in­nen­ge­ne­ra­tio­nen dem US-Konzern vorwirft. Obwohl es Alternativen gibt. Und gäbe es sie nicht, wäre es Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung selbiger zu schaffen. Und jetzt kommt der Haken. Denn es reicht natürlich nicht, ein Digitalministerium einzurichten. Das zeigt sich sehr anschaulich in Bayern, wo es schon eins gibt, eben auf Landesebene.

Schöner Name, gute SEO – bei der Online-Suche nach „Digitalministerium“ taucht es als erster Treffer auf -, und die Ministerin startet Modellprojekte und äußert sich positiv über den Datenschutz-Unfall Luca-App. Wenn das aber die Quintessenz eines Digitalministeriums ist, wäre es wahrscheinlich besser, es bleiben zu lassen. Das wäre ehrlicher, als so zu tun, als würde man das Thema digitale Transformation ernst nehmen. Kompetenzen und Budget braucht es schon, und dafür müssen die anderen Ministerien ordentlich abgeben.

Ein allgemeines Basiswissen gehört auch dazu. Die Zeiten, in denen Bun­des­po­li­ti­ke­r:in­nen zugeben mussten, nicht sicher zu wissen, was eigentlich ein Browser ist, sind ja nun hoffentlich vorbei. Aber wer FTP für einen Parteinamen mit Schreibfehler hält, Hackback für das Dienstagsgericht in der Kantine und den Einsatz von Microsoft-Produkten in Behörden für eine gute Idee – naja, der:­die sollte sich vielleicht besser um ein anderes Amt bewerben.

In jedem Fall braucht es eine Person, die im Kreis der anderen Mi­nis­te­r:in­nen das Standing hat, um sich durchzusetzen. Und ein Ministerium aufzubauen, das strukturell wie personell ausreichend flexibel ist, in so einem Transformationsprozess auch auf Jahrzehnte vornedran zu sein.

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schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.

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