Bildung nach der Coronakrise: Kluft durchs digitale Klassenzimmer

Die Pandemie hat Schulen zur Digitalisierung gezwungen. Doch die Unterschiede von Ort zu Ort sind gewaltig. Teils gibt es nicht einmal WLAN.

Mehrere Computer und Monitore auf einem Tisch in einer Schule - im Hintergrund, SchülerInnen und Lehrer

Trotz Digitalisierungsschub in der Pandemie gibt es riesige Unterschiede in deutschen Schulen Foto: Action Pictures/imago

BERLIN taz | Die Coronakrise hat dem deutschen Schulwesen zwar einen ungeplanten Digitalisierungsschub verschafft, aber am Grundproblem der „digitalen Teilung“ nichts geändert. Zu diesem Befund kommt eine Studie der Universität Göttingen, die am Dienstag von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vorgestellt wurde.

„Es bestehen weiterhin eklatante Techniklücken, Ungleichheiten und eine starke Belastung der Lehrkräfte“, erklärte Studienleiter Frank Mußmann von der Uni-Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften. Als eine Konsequenz fordert die Bildungsgewerkschaft, den bislang befristeten Digitalpakt Schule, ausgestattet mit 6,5 Milliarden Euro, zu verstetigen. „Wir sollten ein neues Bund-Länder-Programm anstreben“, sagte GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann.

Für ihre repräsentative Studie „Digitalisierung im Schulsystem. Herausforderung für Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften“ hatten die Göttinger Wissenschaftler Anfang des Jahres 2.750 Lehrkräfte der Sekundarstufe I und II in 235 Schulen aus allen Bundesländern befragt. Sie fanden heraus, dass lediglich für 70 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an ihrer Schule ein WLAN-Zugang ins Internet zur Verfügung steht.

Für die Schüler ist das nur an der Hälfte der Schulen möglich. Bis heute können nur 18 Prozent der Lehrkräfte digitale Endgeräte ihrer Schule benutzen, weitere 30 Prozent nur teilweise, so ein weiteres Ergebnis. „Deshalb greifen 95 Prozent der Lehrkräfte zur Selbsthilfe und setzen ihre privaten elektronischen Geräte wie Handy, Computer oder Tablet häufiger als vor der Pandemie ein“, berichtete Mußmann.

Extreme Ungleichheit

Auch die technische Organisation des Homeschoolings nach den coronabedingten Schulschließungen blieb weitestgehend an den Lehrern hängen. „Wir brauchen endlich mehr IT-Fachleute für den technischen Support, die Gelder für die Einstellung etwa von System­administratoren stehen bereit“, sagte Hoffmann.

Insgesamt war der Schub beachtlich. 2018 hatte ein europäischer Vergleich ergeben, dass nur an 23 Prozent der deutschen Schulen digitale Lehrmaterialien benutzt wurden (Europa-Durchschnitt: 45 Prozent). Anfang 2021 hatte sich die Benutzung von Lernsoftware und Schulcloud auf 90 Prozent gesteigert. Allerdings hat ein Viertel der Schulen noch keine eigene Schulcloud, nur 40 Prozent arbeiten mit einer schulübergreifenden Bildungscloud.

Als eine der größten Herausforderung identifizierte die Studie „die Kluft zwischen digitalen Nachzügler- und digitalen Vorreiterschulen“. Hier habe es keine Angleichung gegeben. „Das Lernen mit digitalen Medien und Tools wird an deutschen Schulen extrem ungleich umgesetzt“, heißt es in der Untersuchung.

Das hat auch Auswirkungen auf die Pädagogik, wie Mußmann mit Verweis die auf unterentwickelte Medienkompetenz zur Beurteilung von Fake News verdeutlichte: „Es ist nicht gut für eine Demokratie, wenn nur 34 Prozent der Schülerinnen und Schüler in digitalen Nachzüglerschulen lernen, wie sie prüfen können, ob sie sich auf Informationen im Internet verlassen können.“

Für die Zukunft brauche es „eine bedarfsgerechte, sozial verantwortliche und integrierte Gestaltung der Digitalisierung an deutschen Schulen“, fordert die GEW-Studie. Dies betreffe sowohl die Überlastung des Lehrkörpers, der schon vor der Pandemie „am Limit“ gearbeitet habe, wie auch die Schülerschaft, die in breiterer Weise digitale Kompetenzen ­erwerben müsse, „um gleichberechtigt am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können“.

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