Medica-Mondiale-Chefin zur Außenpolitik: „Frieden gibt es nur mit Frauen“
Klar, auch Frauen führen Kriege. Doch gäbe es mehr weibliche Entscheiderinnen, könnten viele Konflikte nachhaltiger gelöst werden, sagt Monika Hauser.
taz: Frau Hauser, Sie sagen, es braucht eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik. Werden Kriege besser, wenn Frauen sie führen?
Monika Hauser: Nein, natürlich nicht. Wir verstehen unter feministischer Außen- und Sicherheitspolitik eine Politik, die zum Ziel hat, Frieden und globale Gerechtigkeit zu verwirklichen, also alles andere als Kriege. Das schließt Geschlechtergerechtigkeit mit ein.
Warum?
Frieden, Sicherheit und Entwicklung sind in dieser Welt nur möglich, wenn auch Geschlechtergerechtigkeit verwirklicht wird. Schauen Sie sich an, wie viel Armut besonders unter Frauen herrscht, dass Frauen ihrer reproduktiven Rechte beraubt werden, wie viel sexualisierte Gewalt es gibt: Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Frauenhandel. Das alles wird durch kriegerische Konflikte verstärkt und hat fatale Konsequenzen für die psychische und physische Gesundheit von Frauen. Damit ist klar, dass ein großer Teil der Frauen in den jeweiligen Ländern weder für den Wiederaufbau noch für Demokratisierungsprozesse zur Verfügung steht. Das kann sich keine Gesellschaft auf Dauer leisten.
Was macht eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik aus?
Sie schaut erstens, wie die Konfliktregionen der Welt in Bezug auf das Geschlechterverhältnis gestaltet sind und beschäftigt sich zweitens mit der Frage, wie Frauen ihre Rechte durchsetzen können, einen gerechten Zugang zu Ressourcen haben und in Konflikt- und Nachkriegskontexten auch repräsentiert werden. Wir erleben eine komplett männlich ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik, die auch bei Friedensschlüssen die Realitäten von Frauen überhaupt nicht im Blick hat.
Männer schließen anders Frieden als Frauen?
Selbstverständlich. Die meisten Friedensschlüsse weltweit waren Friedensschlüsse von Männern und für Männer, die oft auch schon vorher die Macht hatten. Das heißt, es werden Machtstrukturen reproduziert. Afghanistan ist da ein extremes Beispiel: Die Warlords wurden von der internationalen Gemeinschaft sofort wieder als politisches Gegenüber hinzugezogen – man sah sie offenbar als Garanten für Stabilität.
Hätte es denn was gebracht, wenn unter zehn Warlords eine Frau gesessen hätte?
Schon eine mutige und unabhängige Frau wie Sima Samar hat in der ersten Regierung 2002 einen Unterschied gemacht. Insgesamt aber haben beim Petersberg-Prozess für Afghanistan oppositionelle, demokratisch gesinnte Afghanen und Afghaninnen nur darauf gewartet, dass Frauen beteiligt werden. Das ist nicht passiert. Ich bin sehr wütend darüber, dass die internationale Gemeinschaft diese Chance versäumt hat. Ich behaupte: Wären fähige Frauen an der Demokratisierung systematisch beteiligt gewesen, hätte sich die Lage in Afghanistan nicht derart dramatisch verschlechtert. Eine friedliche Gesellschaft kann nur entstehen, wenn Frauen sie mitgestalten.
58, Gynäkologin und Geschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation medica mondiale. Sie engagiert sich seit 25 Jahren für Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt und für die Rechte von Frauen und Mädchen. 2008 bekam sie dafür den Alternativen Nobelpreis.
Wie denn?
Zum Beispiel indem sie als Beobachterinnen, Verhandlerinnen, Mediatorinnen oder Unterzeichnerinnen direkten Einfluss auf Friedensverhandlungen nehmen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit exponentiell, dass ein Friedensabkommen abgeschlossen wird und stabil bleibt.
Weder Indira Ghandi noch Margaret Thatcher waren Vertreterinnen einer besonders friedliebenden Politik.
Keine der beiden Politikerinnen würde ich auch nur annähernd mit feministischer Politik in Verbindung bringen. Generell ist es so: Es braucht eine kritische Masse. Wir wissen aus Studien, dass die Aussichten für ein Friedensabkommen deutlich besser sind, je mehr Frauen daran beteiligt sind.
Woran liegt das? Es ist doch ein Trugschluss, dass Frauen per se friedliebender sind.
Es geht ja nicht um eine biologisch begründete Friedfertigkeit. Die meisten Frauen haben ein massives Interesse an zivilem Wiederaufbau ihrer zerstörten Länder und an funktionierenden Strukturen, weil sie die Kinder erziehen …
… Männer mittlerweile auch.
Das ist in den Kontexten, in denen wir arbeiten, eher selten. Durch ihre Kinder haben Frauen notgedrungen eine hohe soziale Kompetenz in Dialogbereitschaft und Verhandlungsgeschick. Allein das ist schon ein Argument dafür, Frauen in die Verhandlungen einzubinden. Insgesamt geht es darum, überhaupt Sichtweisen und Forderungen von Frauen für einen gelingenden Friedensprozess in den Verhandlungen einzubringen. Deshalb kommt es auch weniger darauf an, dass ich jetzt die eine richtige Frau oder den einen richtigen Mann hier und dort habe, sondern es geht darum, dass Länder eine systematisch höhere Geschlechtergerechtigkeit brauchen. Also einen höheren Bildungsgrad der Mädchen, eine gerechtere Verteilung der Ressourcen, weniger Gewalt gegen Frauen und eine effiziente Strafverfolgung sexualisierter Gewalt. Das alles sind Faktoren, die von einer feministischen Außenpolitik etwa bei Friedensverhandlungen gefördert werden.
Gibt es jenseits der Studien zu Friedensabkommen bisher überhaupt Forschung auf diesem Gebiet?
Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Staaten mit einem hohen Level an innerstaatlicher Geschlechtergerechtigkeit – also der Anzahl von Frauen im Parlament und am Arbeitsmarkt oder der Dauer des Frauenwahlrechts – weit weniger dazu neigen, militärische Gewalt anzuwenden. Das gilt sowohl für interne Krisen als auch in der Beteiligung an internationalen Konflikten. Anders formuliert: Studien zeigen, dass Geschlechtergerechtigkeit einen positiven Einfluss auf das außen- und sicherheitspolitische Handeln eines Staates hat. Ein Beispiel dafür ist Skandinavien.
Die Heinrich-Böll-Stiftung und medica mondiale veranstalten am 31. Januar das Kolloquium „Sexualisierte Kriegsgewalt seit dem Zweiten Weltkrieg. Bedingungen, Folgen und Konsequenzen“, das die Frage nach der Verarbeitung von sexualisierter Kriegsgewalt in Nachkriegsgesellschaften in den Fokus nimmt.
Die Veranstaltung ist kostenlos und findet von 9 bis 17.30 Uhr in den Räumen der Böll-Stiftung in Berlin statt, wird aber auch per Livestream übertragen.
Es sprechen unter anderen Franziska Brantner (Grüne) über die Umsetzung der UN-Resolution 1325, Insa Eschebach über „Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern. Geschichte, Deutungen und Repräsentationen“ und Monika Hauser über feministische Außen- und Sicherheitspolitik. Mehr: hier und hier.
Hängt das nicht vielmehr mit einem allgemein hohen Demokratielevel zusammen?
Nein, Ursache und Wirkung sind genau umgekehrt: Je ungerechter ein Familiengesetz, desto geringer ist der Grad an staatlicher Friedfertigkeit. Staaten, die den Status von Frauen verbessert haben, sind in der Regel wohlhabender, weniger korrupt und demokratischer.
Wie ist das in einem aktuellen Fall, zum Beispiel in Syrien?
Das Maß an sexualisierter Gewalt war dort schon vor dem Krieg sehr hoch, es gab kaum Strafverfolgung dagegen. Ein Staat, der Menschenrechte nach innen nicht durchsetzt – nicht nur für Frauen, auch für Homosexuelle zum Beispiel – wird keinen großen Willen haben, Menschenrechte auch nach außen durchzusetzen.
Wie kommt es, dass dieser Politikbereich eine so besonders hartnäckige Männerdomäne ist?
Er ist weltweit schwierig aufzubrechen. Erst 2000 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unter Kofi Annan auf Druck von Frauenrechtsaktivistinnen die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“.
Was ist das?
Darin wird formuliert, was zum Schutz vor, zur Prävention und zur Bestrafung von sexualisierter Gewalt und zur Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen getan werden muss – etwa die Beendigung der Straflosigkeit durch funktionierende Gerichtsbarkeit oder der Schutz von Frauenrechtsverteidigerinnen vor Ort. Leider wird die Resolution noch immer nicht umfassend umgesetzt. Daran zeigt sich der fehlende politische Wille, für Geschlechtergerechtigkeit einzutreten.
Gibt es auch positive Beispiele?
Hillary Clinton hatte eine mächtige Position und zugleich Frauenrealitäten im Blick. Sehr explizit feministische Außenpolitik macht die ehemalige UN-Sonderbeauftragte und jetzige schwedische Außenministerin Margot Wallström, die strukturell Genderkompetenz exportiert, zum Beispiel nach Darfur.
Wie macht sie das?
2009 hat die Einbindung von lokalen Frauengruppen dort geholfen, den Friedensprozess voranzubringen, indem sie vor allem mit Jugendlichen arbeiteten. Da stellt sich die Frage, wann die Resolution 1325 endlich auch von der Bundeswehr etwa in Mali beachtet wird, indem sie lokale Kollegen in Bezug auf Frauenrechte sensibilisieren. Dafür brauchen die Soldaten aber natürlich selbst entsprechende Kompetenzen, was wiederum von der Politik gewollt sein muss. Zwar sagt auch Angela Merkel mittlerweile, es sei unsäglich, dass es so viel Gewalt gegen Frauen gibt. Aber dann muss sie auch etwas dagegen tun.
Was wäre das zum Beispiel?
Die Resolution 1325 besagt, dass jeder Staat einen nationalen Aktionsplan erstellen muss. Dazu konnte sich Deutschland 2012 erst nach zwölf Jahren durchringen. Und im Aktionsplan steht etwa, dass es eine Kohärenz von zivilem Krisenmanagement, Konfliktbearbeitung, Friedensförderung und Entwicklungspolitik des Außen- und Verteidigungsministeriums und des BMZ geben soll.
Klappt das?
Dieses Zusammenspiel gibt es noch nicht. Es fehlen personelle und finanzielle Ressourcen, wirksame Strategien zur Umsetzung und die Verankerung des Themas in allen beteiligten Ressorts. Die Bundesregierung bewirbt sich, um 2019 und 2020 als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat aufgenommen zu werden und hat die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ zu einem Thema ihrer Kandidatur gemacht. Das ist eine gute Gelegenheit, Geschlechtergerechtigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik zu verankern. Auf die Umsetzung werden wir achten.
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