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Lindners Gas-Mehrwertsteuer-PläneMöglichst unbeliebt?

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Laut Finanzministerium soll die normale Mehrwertsteuer auf Gas früher wiederkommen als geplant. Die Begründung ist fragwürdig.

Schlechte Performance der Ampelregierung: Lindner, Habeck und Scholz im Bundestag Foto: Annegret Hilse/reuters

M an fragt sich langsam schon, ob es sich die Ampelkoalition angesichts erschreckend hoher AfD-Umfragewerte zur Aufgabe gemacht hat, sich möglichst unbeliebt zu machen. Zumindest geizt man mit Ideen dafür nicht: Vor ein paar Wochen brachte das FDP-geführte Finanzministerium Steuerrabatte für sogenannte E-Fuels ins Spiel, die vornehmlich dem Porsche-Fahrer in spe zugute kommen würden.

Dann hieß es, der umstrittene Industriestrompreis würde kommen – und über den Klima- und Transformationsfonds finanziert, weshalb es keine Mittel mehr fürs Klimageld gebe. Und nun macht Christian Lindners Finanzministerium wieder eine Steilvorlage, indem es vorschlägt, die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf Erdgas vorzuziehen.

Bei der Debatte über den Industriestrompreis muss man der Ampelkoalition zugutehalten, dass es dabei wenigstens um den Erhalt von gut bezahlten Industriejobs geht. Deswegen fordern auch die Industriegewerkschaften einen solchen subventionierten Strompreis. Doch davon würde längst nicht je­de*r Angestellte in der Bundesrepublik profitieren. So hängen laut Gewerkschaftsangaben 2,4 Millionen Arbeitsplätze an den energieintensiven Industrien, insgesamt gibt es aber knapp 46 Millionen Erwerbstätige hierzulande. Hinzu kommen unter anderem rund 21 Millionen Rentner*innen, die nichts vom Industriestrompreis haben, denen man aber den Sinn und Zweck dieser Maßnahme erklären muss.

Einfacher wird das nicht, wenn das Finanzministerium das Vorziehen der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme ausgerechnet damit begründet, dass die Gaspreise angeblich schneller wieder gefallen seien als 2022 gedacht. Denn das mag für die Börsenpreise stimmen, muss aber nicht zwingend auf die Verträge der Ver­brau­che­r*in­nen zutreffen. Zudem ist die Inflation mit 6,1 Prozent noch deutlich zu hoch und drückt auf die Kaufkraft. Will die Ampel sich bei den Menschen wieder beliebter machen, dann sollte sie sich überlegen, wie sie gerade jene entlasten kann, die unter der Inflation derzeit leiden.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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20 Kommentare

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  • Lindner hat wenig mehr als seine FDP-Ideologien im Kopf. Als Finanzminister ist er überfordert und nimmt zu inhaltsleeren Merksätzen zuflucht - damit macht er nicht Finanzpolitik sondern ausschließlich Parteipolitik.



    Warum kriegen wir in Deutschland keine fähigen Leute an die Spitze des Finanzministeriums? Eichel, Steinbrück, Schäuble, altmaier, Scholz....

  • Hm, eigentlich war es doch eine originär grün-ökolinke Strategie, fossile Energie nach Möglichkeit zu verteuern? Und die klaut uns jetzt der Lindner, also sowas!!



    Mutet etwas wie ein Streit an, wem der Platz in den Nesseln bevorzugt zusteht.

  • 1G
    14397 (Profil gelöscht)

    Herr Lindner ist konsequent skrupellos und strategisch empathieunfähig bei der Durchsetzung der Interessen seiner Parteispender*innen.



    Den Teil seines Amtseides als Minister "Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde" bricht er gleichfalls konsequent wie permanent.

  • Ich habe wie sehr viele, die ganze Zeit die volle Mehrwertsteuer auf Strom und Heizöl gezahlt. Was war unser Fehler, dass uns die Regierung benachteiligt hat ?



    Ist man gleicher, wenn man zufällig einen Gas- oder Fernwärmeanschluss hat ?

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Spannende These…



    Vielleicht hat die FDP ja in der Tat eine „hidden“ Agenda.



    Es gibt ja genügend Extremisten in der Partei, die offensichtlich ganz andere Ziele haben als die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens.



    Um die Frage zu beantworten, was die Ampel eigentlich will, müsste erstmal klar sein, wer dort agiert.



    Es gibt eine „schwarz-rote“, eine „schwarz-grüne“ und eine „schwarz-gelbe“ Ampel. Die haben alle nichts miteinander zu tun.



    Und mit Scholz hat die SPD leider den Bock zum Gärtner gemacht.

  • Warum sollte das Heizen mit Gas oder Fernwärme gegenüber dem mit Heizöl weiterhin subventioniert werden ?

    • @Puky:

      Zumal weder Mieter noch Wohneigentümer uneingeschränkt frei in der Wahl des Heizmittels sind.

  • Wenn schon Mehrwertsteuer für fossile Produkte, dann könnte unser auffällig "Pro-Reiche" Finanzminister ja auch mal mit dem, wegen Höhenverbrennung besonders schädlichem, gewerblich genutzten Flugbenzin (Kerosin) anfangen.

    Da ist auch für 2024 noch keinerlei Mehrwertsteuer geplant. Ich wiederhole: "Keinerlei Mehrwertsteuer"!!! Auch kein reduzierter Mehrwertsteuersatz!

    Und eine Energiesteuer gibt es für (gewerblich genutztes) Flugbenzin (Kerosin) auch nicht!

    Jede deutsche Fluggesellschaft die 2024 weiterhin Flüge nach Sylt, Mallorca, Malediven etc. anbietet, zahlt für ihren Treibstoff weniger Steuern als für Trinkwasser oder Kartoffeln.

  • Nach "Mövenpick" jetzt "e-fuel", ganz im altbewährten Stil der FDP.



    Wie war das noch bei Luther:



    "Hier steh ich nun, ich kann nicht anders".



    Da würde es nicht wundern, wenn die MWSt für das Gastronomiegewerbe - entgegen der Vereinbarung - doch nicht wieder auf 19% angehoben wird.



    Übrigens: Wieso macht sich eigentlich "die Ampel" unbeliebt, wenn der eigentliche Störenfried/ Quertreiber doch immer wieder die FDP ist ??

  • Über die Politik wundert man sich doch sehr.

    Da will die Steuersenkungspartei FDP die Steuern erhöhen...und die linken Parteien, welche sonst immer für Steuererhöungen sind, sind dagegen....

  • Ach ja der Lindner. Der hat doch privat ne Wärmepumpe. So wie andere FDPler und CDUler auch. Das wäre mal ne Recherche, wie viele Spitzenpolitiker der unterschiedlichen Parteien welche Heizung haben. Vielleicht hat ja jemand bei der taz Lust dazu.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Der Altmaier hat neun Gasbrennwertkessel von Viessmann.

  • Auch Lindner hat nichts gegen Steuererhöhungen, wenn Sie nur nicht die eigene Klientel treffen. Insofern ist die MwSt Erhöhung auf Erdgas ein perfektes Manöver, nach außen hin wird verkündet, es geht um die Verteuerung der Fossilen um einen Anreiz zu schaffen auf Erneuerbare umzusteigen, gleichzeitig wird aller Frust was Gas, Öl und den Klimawandel angeht bei den Grünen abgeladen.



    Mehr Steuern, die eigene Klientel geschont und den ungeliebten Koalitionspartner mit der eigenen Argumenten geschlagen, das ist eine Triple Win Situation...



    Nicht dumm der Lindner, aber gefährlich.

    • @nutzer:

      Heizen dürfte jede "Klientel" mit etwa gleich viel €/m² treffen, oder? Natürlich sind alle Konsumsteuern regressiv, aber beim Energieverbrauch gibt's eine stärkere Korrelation mit dem adjustierten verfügbaren Einkommen, d.h. der regressive Character ist abgemildert.

      Verstärkte Braunkohle-Verstromung mit Abschluß des Atomausstiegs, Verbrauchsanreize beim Gas... wir hatten genug abartige Nebeneffekte bei den letzten Energiewende-Schrittchen. Gut, wenn auch mal was wegfällt, auch wenn es weh tut.

      • @Wurstprofessor:

        nun, bei einer fiktiven monatlichen gasrechnung von 100 Euro vor Steuer geht es um 12 Euro mehr im Monat.



        Eine Steuersenkung im Unternehmensbereich, in der Erbschaftssteuer in jedem beliebigen Bereich der die fdp Klientel betrifft ist ungleich höher wirksamt, als 12 Euro mehr im Monat. Und selbst ein Schloßbewohner mit 500 Euro Heizkosten im Monat zuckt nicht mit der Augenwimper wenn es um 60 Euro mehr im Monat geht. Bei eine rUnternehmenssteuersenkung, da knallen die Sektkorken, da geht es um ganz andere Beträge.



        Kartoffeln mit Trüffeln vergleichen, kommt beides aus der Erde macht aber einen gewaltigen Unterschied....

    • @nutzer:

      Sehr richtig, auch taz-Lesers prügeln regelmäßig auf die Grünen ein, wo die FDP ihre Politik qua Erpressungsmacht, aber auch dank Scholz-Patronage und mit Geschick durchsetzt. Im Ergebnis ist es aber dann doch dumm, da FDP und SPD in der Wählergunst dramatisch abgesackt, die Grünen jedoch stabil bei 14, 15 % stehen. Es profitiert allein die rechte Wut. Anscheinend muss die eigene Ideologie auch um den Preis des Untergangs durchgesetzt werden.

  • Der Höhenflug der AFD dürfte wohl eher auf das laute Schweigen des Kanzlers und des Bundespräsidenten zur Migrationsthematik zurück zu führen sein. Es ist bedenklich, wenn sich ein Ex-Bundespräsident genötigt fühlt, sich des Themas anzunehmen, während die amtierenden Organe dies nicht anfassen wollen und sich statt dessen lieber übers Heizungsgesetz und "Kindergrundsicherung" verzanken.

    Die temporäre Absenkung der Umsatzsteuer dürfte dagegen keinen Ausschlag geben.

    • @DiMa:

      "Der Höhenflug der AFD dürfte wohl eher auf das laute Schweigen des Kanzlers und des Bundespräsidenten zur Migrationsthematik zurück zu führen sein."

      Der Höhenfluug der AfD liegt a) an dem Unwillen der Medien, eine n icht-verbotene neofaschistische Partei als das zu benennen, was sie ist, und konsequent gegen putinistische Propaganda vorzugehen, und b) an der politischen Leitlinie der AfD, Menschenhass, weltverbrennendem Egoismus, und der demagogischen Lüge als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln einen Blankoscheck auszustellen.

      Hinter der AfD sammelt sich der ethische Bodensatz der Gesellschaft. Früher haben solche Leute idR CDU oder FDP gewählt, oder gar nicht, abere jetzt können sie endlich die braune Sau rauslassen.

      Mit rationalen Abwägungen hat das AfD-Wählen in den seltensten Fällen zu tun. Das ist 95% Bauchgefühl.

      • @Ajuga:

        Selbst wenn es sich um einen "ethischen Bodensatz" handeln sollte, sollte sich die übrige Politik der Themen der Menschen annehmen. Wenn die Regierung genau so weiter macht wie bisher, stellt der ethische Bodensatz bei der nächsten Wahl die zweitstärkste Fraktion und die SPD wird einstellig. Und eine Koalition aus CDU, Grüne und FDP möchte ich mir nicht vorstellen.

  • Begründung? Der Grund ist: er will Geld. Dass PolitkerInnen das immer etwas umständlich ausdrücken, liegt am Denkverzicht der WählerInnen, denen man damit was vormachen kann. Eigentlich ganz einfach.