Lichtblicke bei Migrations-Abstimmung: Erfrischend stabil
Am Mittwochabend hat Friedrich Merz im Bundestag die Brandmauer zur AfD eingerissen – ein schlechter Tag für die Demokratie. Doch ein paar Lichtblicke gab es.
Die Fraktionen der SPD und Grünen sowie der Linken stimmten geschlossen mit Nein, die Unionsfraktion, FDP und AfD wiederum mit Ja. Das BSW enthielt sich und stützte damit die knappe Mehrheit des unheiligen Blocks.
Vor und nach der Abstimmung gingen Menschen in ganz Deutschland gegen Rechts auf die Straße. In einem Brandbrief hatten sich vor der Abstimmung schon die evangelische und katholische Kirche an die Unionsparteien gewendet und davor gewarnt, Anträge für eine Verschärfung der Asylpolitik mit Unterstützung der AfD durch den Bundestag zu bringen. Doch auch im und um den Bundestag gab es ein paar Lichtblicke.
Heidi Reichinnek: „Auf die Barrikaden!“
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„Aller politischen Differenzen zum Trotz hätte ich mir nie vorstellen können, dass eine christdemokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert“, rief die Linken-Gruppenvorsitzende Heidi Reichinnek in ihrer Wutrede Friedrich Merz entgegen. „Sie haben dieses Land heute zum Schlechteren verändert.“
Von SPD und Grünen forderte sie: „Schließt eine Koalition mit dieser Union aus“ und klagte nochmals Merz an: „Das sind keine Zufallsmehrheiten. Sie haben diese Mehrheiten gesucht. Zwei Tage nachdem wir der Ermordeten von Auschwitz gedacht haben, arbeiten Sie mit denen zusammen, die diese Ideologie weitertragen.“
Allen demokratisch gesonnenen Menschen in Deutschland rief sie zu: „Gebt nicht auf, sondern wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus in diesem Land. Auf die Barrikaden!“
Angela Merkel: „Sehenden Auges“
Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte das Vorgehen der Union, ihren Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik mit Stimmen der AfD durchgesetzt zu haben, in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung scharf. Merz frühere Versprechen, nicht mit der AfD für Mehrheiten zu sorgen, seien „Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung“ gewesen. An dieses Versprechen habe sich Merz nicht gebunden gefühlt und damit „sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD“ ermöglicht. Puh.
Antje Tillmann (CDU): „Prüft alles und behaltet das Gute!“
Die Union stimmte ziemlich geschlossen mit Ja. Nur wenige Abweichler stimmten gar nicht ab und erhielten der CDU damit ihre Mehrheit. Einzig die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann stimmte gegen den Antrag ihrer Fraktion für mehr Zurückweisungen an den Grenzen. In einem Gastbeitrag in der Thüringischen Landeszeitung hatte sie schon Anfang Januar „Vorsicht bei pauschaler Rückführungsforderung“ gefordert. Das Jahr 2015, in dem besonders viele Syrer:innen nach Deutschland flohen, sei „eine Erfolgsgeschichte“.
Tillmanns inzwischen 25-jähriger syrischer Ziehsohn, der als 15-Jähriger allein in Erfurt angekommen sei und für den sie die Vormundschaft übernommen habe, beginne gerade seine Meisterausbildung zum dringend gebrauchten Industriemechaniker.
Volker Wissing (fraktionslos): Volker hört die Signale!
Nur ein einziger Liberaler zeigte Gewissen und rang sich zu einem Nein durch. Und der ist nicht mehr in der FDP-Fraktion: Verkehrsminister Volker Wissing, der nach dem Bruch seiner Partei mit der Ampelkoalition wiederum mit der FDP gebrochen hatte, sitzt ohne Fraktion im Bundestag. „Unerwartet, trotzdem da: Volker Wissing, Antifa“, schrieb dazu die Fridays-For-Future-Aktivistin Luisa Neubauer auf Bluesky. An anderer Stelle hieß es „Volker hört die Signale“.
Stefan Seidler (fraktionslos): „Unverantwortliche Symbolpolitik“
Stefan Seidler (SSW), Vertreter der dänischen Minderheit, stimmte wie Verkehrsminister Volker Wissing mit Nein. In seiner kurzen Rede teilte er dazu ordentlich aus: Die von der AfD übernommenen Forderungen der CDU seien „unwürdige Schnellschüsse“, um Umfragewerte zu verbessern. Berechtigte Sorgen der Bürger würden durch Merz Manöver zum „Spielball populistischer Wahlkampfrhetorik“. An die Union gerichtet forderte er „statt Placebos“ menschenwürdige Lösungen, die vor Ort wirken.
Niklas Wagener (B90/Grüne): „Nicht mit dem Finger zeigen“
Der grüne Aschaffenburger Niklas Wagener fand in seiner Rede über das Gedenken seiner Heimatstadt die richtigen Worte: „Die Bürger erwarten, dass die demokratische Mitte gemeinsam Vorschläge vorlegt und nicht mit dem Finger aufeinander zeigt.“ Viele Bürger:innen würden die Wut über den Missbrauch des Vorfalls für den eigenen Wahlkampf teilen.
Wagener sprach über den bedrückenden Moment auf einer Trauerfeier, in dem ein Mädchen aus Afghanistan vor 3000 Betroffenen glaubte sagen zu müssen, dass nicht alle Afghan:innen böse sind. „Dass ein 12-jähriges Mädchen glaubt, sich für das Verbrechen eines 28-jährigen psychisch-kranken Asylbewerbers entschuldigen zu müssen ist tragisch und vor allem grundfalsch.“
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