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Lichtblicke bei Migrations-AbstimmungErfrischend stabil

Am Mittwochabend hat Friedrich Merz im Bundestag die Brandmauer zur AfD eingerissen – ein schlechter Tag für die Demokratie. Doch ein paar Lichtblicke gab es.

Spricht einem aus der Seele: Heidi Reichinnek (Die Linke) hält eine Wutrede Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Sehenden Auges provozierte Friedrich Merz am Mittwoch im Bundestag eine Abstimmung, in der die Union gemeinsam mit der AfD abstimmte. Mit einer knappen Mehrheit von 348 zu 344 Stimmen stimmte der Bundestag für den „Fünf-Punkte-Plan“ der Union. Ein zweiter Antrag mit Reformvorschlägen zur Migrationspolitik fand keine Mehrheit.

Die Fraktionen der SPD und Grünen sowie der Linken stimmten geschlossen mit Nein, die Unionsfraktion, FDP und AfD wiederum mit Ja. Das BSW enthielt sich und stützte damit die knappe Mehrheit des unheiligen Blocks.

Vor und nach der Abstimmung gingen Menschen in ganz Deutschland gegen Rechts auf die Straße. In einem Brandbrief hatten sich vor der Abstimmung schon die evangelische und katholische Kirche an die Unionsparteien gewendet und davor gewarnt, Anträge für eine Verschärfung der Asylpolitik mit Unterstützung der AfD durch den Bundestag zu bringen. Doch auch im und um den Bundestag gab es ein paar Lichtblicke.

Heidi Reichinnek: „Auf die Barrikaden!“

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„Aller politischen Differenzen zum Trotz hätte ich mir nie vorstellen können, dass eine christdemokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert“, rief die Linken-Gruppenvorsitzende Heidi Reichinnek in ihrer Wutrede Friedrich Merz entgegen. „Sie haben dieses Land heute zum Schlechteren verändert.“

Von SPD und Grünen forderte sie: „Schließt eine Koalition mit dieser Union aus“ und klagte nochmals Merz an: „Das sind keine Zufallsmehrheiten. Sie haben diese Mehrheiten gesucht. Zwei Tage nachdem wir der Ermordeten von Auschwitz gedacht haben, arbeiten Sie mit denen zusammen, die diese Ideologie weitertragen.“

Allen demokratisch gesonnenen Menschen in Deutschland rief sie zu: „Gebt nicht auf, sondern wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus in diesem Land. Auf die Barrikaden!“

Angela Merkel: „Sehenden Auges“

Angela Merkel meldet sich zwischen ihren Buch-Werbe-Auftritten mal zurück Foto: Liesa Johannssen/reuters

Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte das Vorgehen der Union, ihren Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik mit Stimmen der AfD durchgesetzt zu haben, in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung scharf. Merz frühere Versprechen, nicht mit der AfD für Mehrheiten zu sorgen, seien „Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung“ gewesen. An dieses Versprechen habe sich Merz nicht gebunden gefühlt und damit „sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD“ ermöglicht. Puh.

Antje Tillmann (CDU): „Prüft alles und behaltet das Gute!“

Antje Tillmann (CDU) blieb als einzige Abgeordnete ihrer Fraktion stabil Foto: Gregor Fischer/dpa

Die Union stimmte ziemlich geschlossen mit Ja. Nur wenige Abweichler stimmten gar nicht ab und erhielten der CDU damit ihre Mehrheit. Einzig die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann stimmte gegen den Antrag ihrer Fraktion für mehr Zurückweisungen an den Grenzen. In einem Gastbeitrag in der Thüringischen Landeszeitung hatte sie schon Anfang Januar „Vorsicht bei pauschaler Rückführungsforderung“ gefordert. Das Jahr 2015, in dem besonders viele Sy­re­r:in­nen nach Deutschland flohen, sei „eine Erfolgsgeschichte“.

Tillmanns inzwischen 25-jähriger syrischer Ziehsohn, der als 15-Jähriger allein in Erfurt angekommen sei und für den sie die Vormundschaft übernommen habe, beginne gerade seine Meisterausbildung zum dringend gebrauchten Industriemechaniker.

Volker Wissing (fraktionslos): Volker hört die Signale!

Volker hört die Signale, wer hätte das gedacht? Foto: Jens Kalaene/dpa

Nur ein einziger Liberaler zeigte Gewissen und rang sich zu einem Nein durch. Und der ist nicht mehr in der FDP-Fraktion: Verkehrsminister Volker Wissing, der nach dem Bruch seiner Partei mit der Ampelkoalition wiederum mit der FDP gebrochen hatte, sitzt ohne Fraktion im Bundestag. „Unerwartet, trotzdem da: Volker Wissing, Antifa“, schrieb dazu die Fridays-For-Future-Aktivistin Luisa Neubauer auf Bluesky. An anderer Stelle hieß es „Volker hört die Signale“.

Stefan Seidler (fraktionslos): „Unverantwortliche Symbolpolitik“

Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband vertritt im Parlament die dänische Minderheit Foto: Axel Heimken/dpa

Stefan Seidler (SSW), Vertreter der dänischen Minderheit, stimmte wie Verkehrsminister Volker Wissing mit Nein. In seiner kurzen Rede teilte er dazu ordentlich aus: Die von der AfD übernommenen Forderungen der CDU seien „unwürdige Schnellschüsse“, um Umfragewerte zu verbessern. Berechtigte Sorgen der Bürger würden durch Merz Manöver zum „Spielball populistischer Wahlkampfrhetorik“. An die Union gerichtet forderte er „statt Placebos“ menschenwürdige Lösungen, die vor Ort wirken.

Niklas Wagener (B90/Grüne): „Nicht mit dem Finger zeigen“

Niklas Wagener findet berührende Worte

Der grüne Aschaffenburger Niklas Wagener fand in seiner Rede über das Gedenken seiner Heimatstadt die richtigen Worte: „Die Bürger erwarten, dass die demokratische Mitte gemeinsam Vorschläge vorlegt und nicht mit dem Finger aufeinander zeigt.“ Viele Bür­ge­r:in­nen würden die Wut über den Missbrauch des Vorfalls für den eigenen Wahlkampf teilen.

Wagener sprach über den bedrückenden Moment auf einer Trauerfeier, in dem ein Mädchen aus Afghanistan vor 3000 Betroffenen glaubte sagen zu müssen, dass nicht alle Af­gha­n:in­nen böse sind. „Dass ein 12-jähriges Mädchen glaubt, sich für das Verbrechen eines 28-jährigen psychisch-kranken Asylbewerbers entschuldigen zu müssen ist tragisch und vor allem grundfalsch.“

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10 Kommentare

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  • Dass die Pseudopartei FDP zugestimmt hat, ist abermals ein Beleg dafür, dass die allein und ausschließlich ihren eigenen Vorteil über die extrem populistische Welle suchen. Wie kann eine "Partei", die sich auf Freiheit beruft, einem solchen Weg folgen?? Verlogener geht es nun wirklich nicht !!

  • Am Morgen hörten im Plenarsaal alle einem ukrainischen Shoah-Überlebenden zu.

    Stunden später fielen sich dort russlandtreue Rechtsextreme jubelnd in die Arme und beschworen eine „neue Zeit“.

    Es ist so widerwärtig.

    • @Suryo:

      Widerwärtig ja. Doch wir können etwas daraus lernen. Das Rätsel, wie "so etwas" passieren konnte, ist längst gelöst. Der Egoismus mancher ist grenzenlos. Sie müssen nur die auf ihre Seite ziehen, die ebenfalls dazu neigen. Und dann die benutzen, die auch noch gewissenlos sind.



      Egoismus begründet sich auf dem Selbsterhaltungstrieb. Das ist ganz natürlich und auch nicht schlecht. Doch solche "niederen Instinkte" lassen sich leider allzu leicht missbrauchen.

  • Am Wochenende gibt es im ganzen Land wieder Demos gegen Rechts.



    Da sich nur eine Bundestagsabgeordnete gegen den Opportunismus in ihrer Patei, "c" du stellte, werde ich mich nicht nur gegen die "afd" sondern auch gegen die CDU dahin stellen.



    Wir seh'n uns!

  • Es wird vergebliche Mühe sein, das Migrationsthema allein als „Bollwerk gegen die AfD“ zu spielen.

    Die Parteien der Mitte müssen das Thema Migration aktiv angehen, um zu verhindern, dass die AfD weiter an Einfluss gewinnt und die Debatte mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus noch weiter auflädt. Doch bislang fehlt der politischen Mitte die Entschlossenheit, echte Veränderungen herbeizuführen und auf eines der wichtigsten Anliegen der Wähler einzugehen – dabei zeigen Schweden und Dänemark, dass es möglich ist.

    • @Benzo:

      Dänemarks regierende Rechtspopulisten haben die Anzahl der Asylanträge von lächerlichen 5k pro Jahr auf noch etwas lächerlichere 3,5k gesenkt. Und das wird seitdem vom rechten Rand als Erfolg verkauft.



      Für D würde die Ausgangslage ca. 65k Asylanträge p.a. bedeuten. Und das wäre für D genauso Peanuts, wie die 5K Asylanträge in Dänemark Peanuts waren.

    • @Benzo:

      "Doch bislang fehlt der politischen Mitte die Entschlossenheit, echte Veränderungen herbeizuführen "



      naja die cdu hat ja gerade bewiesen, dass es ihr nicht um Veränderung geht, sondern nur um Kraftmeierei.



      DK und S sind kein Vorbild, beide sind nur durch eine schmale Landverbindung zum Kontinent verbunden, S sogar nur durch eine Brücke. Die Kontrollierbarkeit der Grenze ist dort eine ganz andere.

      • @nutzer:

        Ich teile ihre Meinung zur Kraftmeierei bei Merz & Co.

        Dänemark und Schweden zeigen aber, dass pragmatische Migrationspolitik auch von Parteien der Mitte gestaltet werden kann. Lösungen lassen sich nicht 1:1 kopieren, aber eine sachliche, lösungsorientierte Debatte wäre auch in Deutschland wünschenswert und würde wie in Dänemark und Schweden den rechten Populisten den Wind aus den Segeln nehmen.

  • Wenn am 24.2. Merz ankündigt, über seinen Rücktritt nachzudenken, sollte er diesen seinen Fehler als einen Meilenstein dazu wieder aufrufen.



    Grüne attackieren, als wären wir in 1980, und eine Rechtsmehrheit für überreizten Aktionismus anstreben: Was sollte das?



    Frau Merkels Intervention bringt es auf den Punkt. Wie lange wird sie noch in dieser Partei sein? Wer mit christlicher Prägung oder Geschichtsunterricht macht jetzt noch Wahlkampf für die Union?

    Wir brauchen eigentlich eine rechtsmoderate Volkspartei. Die braucht aber gerade einen Komplettaustausch der Führungsriege von Merz, Linnemann, Klöckner bis Spahn.

    • @Janix:

      "Grüne attackieren, als wären wir in 1980, ..."



      Mal im Erst, steht das in diesem Artikel? Da wird doch von einem grünen Abgeordneten berichtet, der genau das Gegenteil versucht. Er bringt diese blödsinnige emotionale Bauchgefühlkampagne aus Machtgier wieder auf die Ebene der Menschlichkeit.