Lehren aus den US-Wahlen: Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Die US-Demokraten haben ihre Wählerschaft verloren und die Wählerschaft ihre Partei. Nach dem Wahlergebnis muss sich die Partei neu aufstellen.
Z wei Zahlen werden sich die US-Demokraten nach der Wahl von Donald Trump ganz besonders einprägen müssen: 91 und 86. 91 Prozent der Wähler.innen, die nach der Wahl angegeben haben, die Wirtschaft sei in exzellentem oder gutem Zustand, verorten sich bei den Demokraten. Von denjenigen hingegen, die die Lage der US-amerikanischen Wirtschaft als schlecht beurteilen, bezeichnen sich 86 Prozent als Wähler.innen der Republikaner. Die beiden Zahlen markieren eine paradox erscheinende Verschiebung in der US-Politik.
Ausgerechnet die Republikaner, die Partei der Reichen, die für ökonomische Deregulierung und sozialpolitischen Kahlschlag steht, sind unter Donald Trump zur Partei der einfachen Leute geworden. Von den Weißen ohne College-Abschluss versammeln sich rund 60 Prozent hinter ihm, bei den weißen Männern ohne College-Abschluss sind es sogar fast 70 Prozent. Und die einstige Partei der Arbeiter.innen, der Linken von Franklin D. Roosevelt und großer Sozial- und Arbeitsprogramme, ist zur Partei des wirtschaftlichen Wohlstands und gut ausgebildeter Eliten geworden.
Die Entfremdung von den nicht-akademischen traditionellen weißen Teilen der Bevölkerung spiegelt sich im Wahlergebnis. Gewiss, Kamala Harris war offenkundig die falsche Kandidatin. Und Harris hat auch deshalb verloren, weil die USA nicht bereit sind, eine Frau ins Weiße Haus zu wählen, noch dazu eine Schwarze.
Der größte Anteil der Trump-Wähler:innen hat problemlos für einen rassistischen, demokratieverachtenden, mit Elementen des Faschismus spielenden Mann gestimmt. Sie wollten genau dies und diesen im Weißen Haus: als starken Anführer. Dass sie ihre eigene wirtschaftliche Lage als schlecht beurteilen, mag also nicht das Hauptmotiv aller gewesen sein. Nur relativiert das nicht den Befund, dass der US-Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht ihre Partei abhanden gekommen ist – und umgekehrt.
Im Moment üben sich die Demokraten noch im Spiel der Schuldzuweisung. Joe Biden sei schuld: Sein Rückzug kam viel zu spät. Kamala Harris sei schuld: Sie konnte kein wirtschaftspolitisches Profil entwickeln. Tim Walz sei schuld: Er hat als Mann des einfachen Volks nicht geliefert. Wenn die Schuld ausreichend genug verteilt ist, werden die Demokraten diskutieren, wie sie die verlorenen Wähler.innen wieder zurückgewinnen können. Dabei wäre eine viel grundlegendere Frage zu klären: Wie sieht eine emotionale, linke, wenigstens sozialdemokratische, vielleicht sogar sozialistisch angehauchte Politik in einer globalisierten Welt aus?
Es gibt Lösungen
Die Klärung dieser Frage ist keine exklusive Aufgabe der US-Demokraten. Auf die Arbeitsplatzverlagerungen, Freihandelszonen und Deregulierungen im Zuge der Globalisierung hat kaum eine demokratische linke(re) Volkspartei des Westens eine erfüllende Antwort. Genauso wenig, wie auf die zunehmend ungleiche Verteilung des Wohlstands. Dabei warnen linke Ökonomen seit Jahrzehnten vor der größer werdenden sozialen Spaltung und den gesellschaftlichen Folgen. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat aufgezeigt, dass heute vornehmlich aus Kapital mehr Vermögen entsteht, nicht durch eigene Arbeit, vulgo: Wer hat, dem wird gegeben. Wer nichts hat, hat kaum eine Chance auf Vermögen. Dagegen fordert Piketty radikale Steuerreformen.
Der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich argumentiert, dass es politische Entscheidungen sind, die den Wohlstand von unten nach oben verlagern. Er verlangt eine Stärkung der Gewerkschaften, höhere Mindestlöhne und Vermögen- und Erbschaftsteuern. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz erkennt im Wohlstandsverlust der Mittelschicht ein demokratisches Problem und drängt auf progressive Steuersysteme, Bildungsinvestitionen, stärkere Arbeitnehmerrechte. Es gibt also Ansätze, ein linkes Gerechtigkeitsversprechen glaubhaft zu formulieren, ohne auf rassistische oder nationalistische Versprechen zurückzugreifen. Bernie Sanders, der viele dieser Positionen teilt, war und ist übrigens der einzige Demokrat, der annähernd eine Begeisterung von links entfachen konnte – wie Trump von rechts.
Wenn in Deutschland demnächst Neuwahlen stattfinden, werden sich auch die Sozialdemokraten mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Und das ein wenig grundsätzlicher, als sie es mit Olaf Scholz’ Respektkampagne im Wahlkampf 2021 vorgeführt haben. Den Respekt der Arbeiterschaft und der unteren Mittelschicht muss sich die Sozialdemokratie erst wieder verdienen. Sonst wird auch in Deutschland eine fortschreitende Amerikanisierung der Politik zu beobachten sein: Die Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung werden nicht mehr links, sondern rechts wählen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen