Künftige Regierung in Deutschland: Was ist besser als Schwarz-Grün?
Was wäre nach der Bundestagswahl wünschenswert? Für einige ist das eine „linke Mehrheit“, für deutlich mehr eine rechtspopulistische. Aber was ist möglich?
M anchmal überkommt es mich, und dann halte ich einen superdifferenzierten Kleinstvortrag, in dem ich auf die veränderte Lage der eben noch liberalemanzipatorischen Gesellschaften Europas und die ganzen unangenehmen Widersprüche hinweise. Unter Berücksichtigung von fehlender Zukunftspolitik, abdriftenden Liberalkonservativen und denkstarren Linksliberalen. Ich sage dann so Joschka-Fischer-Zeug wie „Ende der Pax Americana“.
Und dann kann ich darauf wetten, was der erste Linkssozialdemokrat sagt. Nämlich: „Du willst doch nur Schwarz-Grün!“ Sonst nichts. Damit ist der Fall für ihn oder sie erledigt. Anfangs sagte ich noch: „Wenn überhaupt, dann Grün-Schwarz“, schließlich bin ich Baden-Württemberger und habe daher höchste politische Ansprüche. Irgendwann gab ich auch das auf.
Das Eindampfen der Weltlage auf angebliche Charakterzüge oder Präferenzen ist eine Form der Komplexitätsentlastung, die Linkssozialdemokraten nicht exklusiv haben. Ständig versucht nicht nur der Rechtspopulist, sondern auch unsereins, Geschehnisse oder Veränderungen darauf zu reduzieren, dass bestimmte Politiker schlimm, eitel, machtgeil, machtwortschwach oder verwuschelt sind. Das mag im Einzelfall nicht falsch sein, aber es beendet das politische Denken da, wo es anfangen müsste. Und es bleibt nur: Die böse, ich super.
Wenn jemanden das Bedürfnis überkommt nach einem Sprechakt von besonderer Moral-Darstellung, dann ruft diese Person: „Ich wähle nicht mehr das kleinere Übel!“
Raushalten ist unmoralisch
Aha, kann man da nur antworten: „Also dann das größere Übel?“
Raushalten ist unmoralisch. Es geht darum, aus dem, was ist, das Beste zu machen, in vielerlei Hinsicht also das am wenigsten Üble. Das betrifft etwa den Umgang mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Schon höre ich manche sagen, dass man jetzt aber „keinen Urlaub mehr in Amerika“ mache. Leute! Wie tief kann man denken?
Der nächste Bundeskanzler muss einen professionellen Umgang finden, der die USA an der Seite der EU und damit Deutschlands hält, unsere Freiheit, unsere Wirtschafts- und damit auch Sozialstaatsinteressen sichert, und der gleichzeitig die Errungenschaften der liberalen Demokratien in Europa gegen eine etwaige Silicon-Valley-Oligarchie behauptet. Keine Ahnung, wie das gehen soll, aber es muss.
Ähnliches gilt für die Bundestagswahl. Was wäre wünschenswert? Für einige ist das eine „linke Mehrheit“, für deutlich mehr eine rechtspopulistische Mehrheit. Aber was ist möglich? Ohne die Union kann es wohl keine liberaldemokratische Mehrheit geben. Ich würde es bevorzugen, wenn nur zwei Parteien die nächste Regierung stellen. AfD und BSW sollten auf keinen Fall regieren, und die FDP („Mehr Milei und Musk wagen“) hofft nur noch darauf, als Staatsopposition vielleicht doch nicht unterzugehen.
Bleiben also Union, Grüne und SPD. Und dann ist es so, dass das öffentliche Wahlkampfgespräch erstens einen Prioritätenwechsel braucht von der Innen- zur Außenpolitik. Jedenfalls, solange wir Europa nicht als Innenpolitik verstehen. Die entscheidenden Basisfragen einer guten Zukunft sind geopolitische und europäische.
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Zweitens muss man die beiden besten realen Optionen – Schwarz-Rot und Schwarz-Grün – unter dieser neuen Fragestellung diskutieren: Was wäre in der Europapolitik, Verteidigungspolitik, Wirtschafts- und Klimapolitik, in Trumppolitik, Putinpolitik und in Sozialpolitik der Unterschied? Und weil Wahlen eben doch auch von Gefühlen bestimmt werden, muss man sich fragen: Von wem möchte ich mich, Deutschland und Europa in dieser Zeit repräsentiert sehen – von Friedrich Merz, Olaf Scholz oder Robert Habeck?
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