Krach in der Union um Asylpolitik: Die Eruption christsozialer Wut
Selbst Mahnungen der katholischen Kirche ignoriert die CSU in der Flüchtlingsfrage. Sie ist frustriert von Berlin, schielt aber vor allem auf Wähler.
Zum Spieler Seehofer passt es, dass er in der Union und in der Bundesregierung nun Wohl und Wehe riskiert, um einen Punkt seines 63 Punkte umfassenden Asyl-„Masterplanes“ mit der Brechstange durchzusetzen: die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an den Grenzen. Bis vor einer Woche war darüber weder in Berlin noch in Bayern überhaupt je groß geredet worden. Man war ja davon ausgegangen, dass Geflohene ohne Bleibestatus nach CSU-Logik von den „Ankerzentren“ aus sowieso schnell wieder außer Landes befördert werden sollten.
Es hat eine gewisse Ironie, dass nun ausgerechnet Seehofers einstiger Dauer-Gegner Markus Söder, seit drei Monaten bayerischer Ministerpräsident, ihm in Berlin beigestanden hat. Sie hatten sich bis aufs Blut bekämpft um die Macht, auch mit vielen schmutzigen Mitteln. Nun ist Söder Seehofers Mann. Und es gibt kaum etwas, das ihm zu rechts, zu populistisch sein kann. So legt er noch eine Schippe drauf und spricht vom Ende des „geordneten Multilateralismus“. Damit stellt er sich nicht nur frontal gegen die jahrzehntelange EU-Politik der Bundesregierungen, sondern auch gegen die EU selbst. Kommentatoren erinnert das an Donald Trump und dessen Zerschlagen internationaler Systeme der Zusammenarbeit.
Rückhalt in der Partei ist Söder und Seehofer gewiss
Seehofer und Söder können sich sicher sein, dass sie den vollen Rückhalt der Partei haben. Die CSU-Landtagsfraktion hatte Söder vor seinem Berlin-Besuch zu 100 Prozent in der Asylpolitik gestärkt, genauso wird es am Montag im CSU-Vorstand sein, wenn beschlossen werden sollte, dass Seehofer auf eigene Faust als Minister die Zurückweisungen anordnet.
Eine Stimmung aus jahrelang angestauter Wut und tief empfundener Kränkung bestimmt derzeit das Seelenleben der Christsozialen. Das ist gepaart mit immer mehr in Panik umschlagende Angst vor den bayerischen Landtagswahlen am 14. Oktober. Seit der „Grenzöffnung“ vom Herbst 2015 fühlt sich die CSU von Merkel düpiert, über den Tisch gezogen. Jetzt bricht es auf, dass man sich von rechten Wählern jahrelang beschimpfen lassen musste wegen der Flüchtlingspolitik. Jetzt bricht sich die Abneigung gegenüber dem ganzen besänftigenden Regierungsstil der Kanzlerin Bahn. In Berlin musste man hinnehmen, dass Merkel deutlich gezeigt hat, wie wenig ihr an CSU-Herzensprojekten lag wie etwa der Ausländermaut oder dem Betreuungsgeld.
CSU-Landtagsabgeordnete, die ihre Fraktion als Herzkammer des Konservativismus wähnen, sagten beim Obergrenzen-Streit, dass dieser Begriff vor allem als Symbol unverzichtbar sei. Bei Diskussionen und in den Bierzelten merken sie, dass der Beifall am lautesten wird, wenn es gegen Flüchtlinge geht. Das ist auch die Erfahrung des Markus Söder, und er weiß dies auszukosten. Er will nach eigenen Aussagen verhindern, dass sich in Deutschland eine rechtspopulistische Kraft wie die AfD festsetzt und zu einer Quasi-Volkspartei wird – siehe FPÖ in Österreich, französischer Front National oder die neuen italienischen Regierungsparteien.
Das mag man ihm glauben, es geht dabei schließlich auch um die Existenz der CSU. Umgekehrt lässt es sich aber auch denken: Die CSU macht den Rechtspopulismus zum Programm – und befeuert Ressentiments erst recht.
Auch die bayerische katholische Kirche – die evangelische ist sowieso weltoffen-liberal – stört sich mehr und mehr an der CSU-Flüchtlingspolitik. Schon oft hat Kardinal Reinhard Marx vom Erzbistum München-Freising einen humaneren Umgang und ein anderes CSU-Vokabular angemahnt. Christlichen Rat ignoriert die Partei aber, ebenso wie einen alten bayerischen Grundsatz, der da lautet: Leben und leben lassen.
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