„Konzertierte Aktion“ gegen Inflation: Dreifacher Schock

Politik und Wirtschaft müssen drei Krisen gleichzeitig bewältigen: Krieg, Corona, Lieferkettenprobleme. Das ist neu. Sicher ist: Verlieren werden alle.

Portrait von Olaf Scholz.

Bemüht bewusst die Geschichte, wenn er von „konzertierter Aktion“ spricht: Kanzler Scholz Foto: Kay Nietfeld/dpa

Bundeskanzler Scholz bemüht bewusst die Geschichte, wenn er von „konzertierter Aktion“ spricht. Wie 1967 sollen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber erneut auf eine gemeinsame Lohnpolitik einigen, die vom Staat moderiert wird. So richtig dieses gemeinsame Gespräch ist: Die historische Analogie führt in die Irre, weil die ökonomische Situation heute völlig anders ist.

1967 handelte es sich um eine klassische Rezession: Die Wirtschaft war eingebrochen, und 500.000 Menschen hatten ihre Stelle verloren, weil die Nachfrage fehlte. Diesmal ist es genau andersherum: Die Nachfrage boomt, aber leider stockt das Angebot. Die Kunden würden ja gern in Urlaub fliegen, fleißig Benzin tanken, ordentlich Spargel essen, Fahrräder und Autos kaufen – aber Rohstoffe, Güter und Dienstleistungen sind knapp, teuer oder werden ganz gestrichen.

Deutschland und die Welt bewegen sich auf ökonomischem Neuland. Noch nie gab es drei „externe Schocks“ gleichzeitig. Erst kam die weltweite Coronapandemie, dann der Ukrainekrieg, und im Frühjahr schickte China den Hafen Shanghai in den Lockdown, was die globalen Lieferketten durcheinanderbrachte.

Auch neu: Unternehmen und Beschäftigte sind ungefähr gleich mächtig. Die Firmen könnten das knappe Angebot ausnutzen, um die Preise kräftig zu erhöhen. Die Angestellten wiederum profitieren von der Demografie: Jährlich gehen weit mehr Babyboomer in Rente, als Jugendliche ­nachwachsen. Allerorten sind Arbeitskräfte rar, was die ­begehrten Beschäftigten dazu nutzen könnten, bessere Gehälter und Konditionen auszuhandeln.

Im Ergebnis könnten sich gleich drei Preis­spiralen gleichzeitig drehen. Erstens eine Kosten-Preis-Spirale, weil die Firmen die gestiegenen Energiekosten auf ihre Kunden abwälzen. Zweitens eine Gewinn-Preis-Spirale, weil die Unternehmen die knappen Güter verteuern, um ihre Profite zu erhöhen. Und drittens eine Lohn-Preis-Spirale, weil die Angestellten einen vollen Inflationsausgleich verlangen.

Wenn jede Gruppe nur auf ihre eigenen Interessen blickt, ist das Ergebnis vorgezeichnet: Die Inflation gerät garantiert außer Kontrolle. Das Gespräch im Kanzleramt war daher wichtig, um Kompromisse auszuloten. Konkrete Ergebnisse wurden noch nicht erreicht, aber so viel ist klar: Am Ende darf es keine Sieger und Gewinner geben, sondern es geht darum, die Kosten der „externen Schocks“ gerecht zu verteilen. Zwischen Unternehmen, Angestellten und Staat. Verlieren wird jeder, aber das ist leider unvermeidlich in einem Krieg.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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