Konflikte in Ex-Sowjetrepubliken: Bald Moldau und Georgien?
Russlands Angriff auf die Ukraine wirft ein Schlaglicht auf weitere Konflikte in der Ex-Sowjetunion. Der Westen sollte sie endlich ernst nehmen.
E s ist nicht zu fassen: Da wird die Ukraine, ein Land mitten in Europa, auf Befehl von Russlands Präsidenten Wladimir Putin gerade in Grund und Boden gebombt. Gleichzeitig ergehen sich Expert*innen in Analysen darüber, dass Kiew noch Lichtjahre von einer EU-Mitgliedschaft entfernt sei.
Wer so daherredet, hat den letzten Schuss nicht gehört, der in der Ukraine leider noch längst nicht gefallen ist. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski, der nach seiner Wahl 2019 vielfach noch als Witzfigur belächelt wurde und derzeit über sich hinauswächst, kann man einiges vorwerfen – doch Blauäugigkeit sicher nicht.
Wenn Selenski, wie in dieser Woche geschehen, den Antrag auf einen Beitritt seines Landes zur EU stellt, weiß er nur zu gut, dass sein Ansinnen unrealistisch ist. Doch seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges steht die Existenz der Ukraine auf dem Spiel. Da lautet die Botschaft: Seht her, wir gehören zu euch. Wir verteidigen nicht nur unser Land und unsere Freiheit, sondern auch die Werte Europas. Wollte jemand daran zweifeln angesichts der Bilder, wie sich wehrlose Ukrainer*innen russischen Panzern in den Weg stellen? Wohl wissend, dass sie dafür einen Preis zahlen, dessen Höhe noch gar nicht abzuschätzen ist.
Nur noch einmal zur Erinnerung: 2013 war es die Weigerung des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, die die „Revolution der Würde“ auslöste und über Hundert Ukrainer*innen das Leben kostete. Wobei die Mär, der Westen habe Kiew mit dem Abkommen vor die Wahl zwischen Brüssel und Russland gestellt, noch immer in vielen Köpfen herumgeistert.
Den Feldzug Moskaus vor Augen sind jetzt auch Georgien und die Republik Moldau, die ebenfalls Assoziierungsabkommen abgeschlossen haben, in Brüssel mit einem Aufnahmeantrag vorstellig geworden. Dies ist ein verzweifelter Hilferuf, den es ernst zu nehmen gilt. Denn Befürchtungen, Wladimir Putins „Spezialoperation“ in der Ukraine könnte nicht sein letzter militärischer Amoklauf auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gewesen sein, sind begründet.
In der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien sind rund 1.500 russische Soldaten, sogenannte Friedenstruppen, stationiert. Sie „bewachen“ Osteuropas größtes Munitionsdepot in Cobasna, nur zwei Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. An die rund 450.000 Einwohner*innen Transnistriens wurden seit 2002 rund 200.000 russische Pässe verteilt. Klingelt da etwas? Auch in der Ostukraine „muss“ Moskau ja seine unterdrückten russischen Landsleute vor schweren Menschenrechtsverletzungen schützen. Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu ist stramm auf Westkurs. Im vergangenen Januar verhängte Chişinău den Energienotstand, weil Russland gedroht hatte, die Gaslieferungen einzustellen. Doch bei dieser Art Druck muss es nicht bleiben.
Alarmstufe Rot in Georgien
Auch in Georgien herrscht Alarmstufe Rot. Moskau hat Südossetien, das de facto der Kontrolle von Tiflis entzogen ist, mit eigener Truppenpräsenz zu einer militärischen Festung ausgebaut. Müßig zu erwähnen, dass das der mit der EU ausgehandelten Friedensvereinbarung nach dem russisch-georgischen Krieg 2008 klar widerspricht.
Doch damit nicht genug. Die Grenze verschiebt sich weiter nach Georgien hinein (Borderisation). Festnahmen wegen Überschreitens dieser „Grenze“ sind an der Tagesordnung. Das alles vollzieht sich unter dem wachsamen Blick einer europäischen Beobachter*innenmission (EUMM), die dem Geschehen nur tatenlos zusehen kann. Wen wundert es da, dass rund 70 Prozent der Bevölkerung für einen Nato-Beitritt sind.
Derzeit sind alle Augen auf die Ukraine gerichtet – zu Recht. Doch der Blick muss weiter reichen. Sowohl in Transnistrien als auch in Südossetien lagern tickende Zeitbomben. Sie könnten gezündet werden. Aber dann sage niemand, man habe das nicht voraussehen können.
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