Kommentar Militäroffensive in Idlib: Der Westen schaut zu
In Idlib droht ein Blutbad wie es eines im syrischen Krieg noch nicht gab. Als Schutz für die demokratischen Kräfte dort bleibt nur die Türkei.
D er Krieg in Syrien nähert sich seinem blutigen Finale. Wenn das Assad-Regime seine Ankündigung wahr macht, die letzte verbliebene Rebellenenklave Idlib militärisch zurückzuerobern, droht ein Blutbad, das den bisherigen Horror noch in den Schatten stellen könnte.
Aus Schlachten wie in Ost-Aleppo oder der Ost-Ghouta haben die Menschen gelernt, dass die syrische Regierung vor nichts zurückschreckt: Dauerbelagerung, Aushungern, Flächenbombardements, Chemiewaffenangriffe. Das Ergebnis: Trümmerlandschaften voller Leichen.
Bei den bisherigen Schlachten bot sich Rebellen und Zivilisten immer ein Ausweg: Evakuierung nach Idlib. Die nach Idlib Geflohenen hofften dort auf Sicherheit und Schutz. Sie haben ihn nicht bekommen. Russlands und Syriens Luftwaffen bombardieren das Gebiet seit Jahren, ungehindert. Und in Idlib selbst sorgen Zerwürfnisse für zusätzliche Probleme. Die Übriggebliebenen des demokratischen Aufstands von 2011, sofern sie nicht tot oder geflohen sind, erwehren sich mehr schlecht als recht des wachsenden Einflusses islamistischer Gruppen.
Niemand auf der Welt schützt Idlibs demokratische Kräfte, die Kriegsflüchtlinge, die Zivilisten. Als einzige auswärtige Kraft ist die Türkei präsent, mit militärischen Beobachterposten an den Frontlinien. Man kann also nur hoffen, dass Erdoğans Armee die Menschen in Idlib schützt.
Russlands Präsident Putin und der türkische Präsident Erdoğan haben sich auf die Schaffung einer demilitarisierten Zone in der Provinz Idlib geeinigt. Sie solle 15 bis 20 Kilometer breit sein und zwischen den bewaffneten Rebellen und den Regierungstruppen verlaufen, sagte Putin am Montag nach einem Treffen mit Erdogan in Sotschi. Russland unterstützt im Syrien-Konflikt den syrischen Machthaber Baschar al-Assad, die Türkei steht auf der Seite der Rebellen. (afp)
So weit ist es also schon gekommen: Weil niemand auch nur den kleinen Finger zu krümmen bereit ist, um Massenverbrechen an drei Millionen Menschen zu verhindern, muss man auf den türkischen Autokraten setzen. Erdoğan und Putin beraten darüber, wer am Leben bleibt und wer nicht. Der Westen schaut zu.
Und Berlin führt Scheindebatten darüber, ob Deutschland etwas tun sollte, falls es erneut zu völkerrechtswidrigen Chemiewaffeneinsätzen Assads gegen die eigenen Staatsbürger kommen sollte. Natürlich wird Deutschland nichts tun, was den Lauf der Dinge in irgendeiner Weise beeinflussen könnte. Man will ja sauber bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei