Kommentar Die Linke nach Wagenknecht: Einig nur im Zaudern
Tauglich für Rot-Rot-Grün ist die Linkspartei auch ohne Wagenknecht nicht. Sie müsste erstmal die Spitze austauschen. Das ist unwahrscheinlich.
E iner im Feuilleton und bei Parteistrategen populären These zufolge klafft in unserem politisches System eine Lücke. Wer einen starken Sozialstaat will und Umverteilung von oben nach unten, aber skeptisch auf Migration und linksliberale Gleichberechtigungsspolitik schaut, wird von niemand vertreten. Weder von Rot-Grün, noch von der AfD oder Linkspartei. Das klang lange einleuchtend.
Bis Sahra Wagenknecht im Gründungsaufruf für die aufstehen-Bewegung schrieb, dass „Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz nur das Wohlfühl-Label sind, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten.“ Sie zielte auf die zornigen, politisch heimatlosen Bürger, denen Minderheitenrechte eher auf die Nerven gehen, die aber für soziale Gerechtigkeit brennen.
Der Misserfolg von aufstehen und Wagenknechts Rückzug zeigen: Diese Klientel ist, anders als in Frankreich, eine Fiktion. Hunderttausende haben für „unteilbar“ und eben jene verachtete Weltoffenheit demonstriert, sie protestieren gegen ignorante Klimapolitik oder explodierende Mieten. Die schweigende, politikverdrossene Masse, die höhere Mindestlöhne und eine Reichensteuer will und die Schwulenrechte oder Antirassismus für modischen Klimbim hält, existiert nicht oder ist zumindest politisch nicht mobilisierbar.
Das ist eine politische Kernbotschaft von Wagenknechts Rückzug. Trotzdem ist der Jubel von SPD und Grünen über Wagenknechts Abgang, und die Hoffnung, dass Rot-Rot-Grün nun eher möglich wäre, vorschnell. Es ist eher andersherum. Wagenknecht ist die einzige Parteilinke, die realistischer als noch vor ein paar Jahren auf die Bundesrepublik schaut und mehr als früher das Machbare im Blick hat. Diether Dehm oder Heike Hänsel werden jedenfalls die zaudernde Parteilinke kaum mit Rot-Rot Grün im Bund versöhnen.
Führung austauschen, jetzt!
Der Rachefeldzug, den Sevim Dagedelen & Co zeigt zudem, dass der innerparteiliche Kampf mit Wagenknechts Rückzug noch nicht beendet ist. Offenbar will jener Teil des linken Flügels, der treu zu Wagenknecht stand, rauchende Ruinen hinterlassen. Die Wunden sitzen tief.
Dass die Partei ohne Wagenknecht berechenbarer, verlässlicher und tauglich für eine Mitte-Links-Regierung wird, ist deshalb nur eine kühne Hoffnung. Die Linke wäre gut beraten, die komplette Spitze auszutauschen und sich eine frische, von vergangenen Kämpfen unbelastete neue Führung zu suchen. Wahrscheinlich ist das nicht. Die Linkspartei ist eine strukurkonservative Organisation, die gerade in Krisenzeiten dazu neigt, den Weg einzuschlagen, der am wenigsten Gefahr zu bergen scheint. Immerhin darin sind sich die Flügel meisten einig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen