Keine Handbreit auch in Europa?: Hochmut vor dem Fall der Brandmauer

Empörung über Thüringen, Achselzucken angesichts der EU-Migrationspolitik. Wie war das noch mal mit den Werten und der Abgrenzung nach ganz rechts?

Die Mauer mit Spalt auf dem Gelände des Deutsch-Deutschen Museums

„All in all it's just another Riss in the wall“ Foto: Nicolas Armer/picture alliance/dpa

Die Empörung über den vermeintlichen Fall der Brandmauer in Thüringen hält an. Und sie ist ja auch berechtigt. Natürlich ist es hochproblematisch, dass die CDU erstmals in einem Landtag ein Gesetz mit Hilfe der AfD durchgebracht hat – und das nicht aus Versehen, sondern bei vollem Bewusstsein der Tragweite und offenbar mit voller Absicht.

Es war vor der Abstimmung am vergangenen Donnerstag in Erfurt klar, dass die rechtsextreme Höcke-Fraktion den Antrag der CDU auf eine Senkung der Grunderwerbsteuer unterstützen würde, und nicht nur SPD-Chefin Saskia Esken fragt sich, ob das Bekenntnis der Union gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD wirklich weiter gilt: „Wie viel ist das Wort von Friedrich Merz in der CDU noch wert, und wo bleibt der Aufschrei innerhalb der Union?“

Der bleibt weitgehend aus, wenn man von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther absieht, der sich weiter als liberales Gewissen der Union zu profilieren versucht und sachte auf Distanz zu Merz und den Thüringer ParteifreundInnen geht. Aber nicht nur die Union hat jetzt ein Problem. Auch die laute Empörung von SPD und Grünen hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

Denn so ganz genau können auch die linken Merz-KritikerInnen die viel zitierte Brandmauer gegen rechts nicht definieren. Fängt sie erst bei Koalitionen an oder beginnt sie schon bei Abstimmungen, erst im Landtag oder schon in den Kommunen? Dann kann auch bei SPD und Grünen das Gewissen nicht ganz so porentief rein sein, wie sie jetzt tun. Sie haben zwar noch kein Gesetz mit der AfD beschlossen, aber deren Zustimmung bei Verfahrensfragen, etwa über einen Untersuchungsausschuss, in Kauf genommen. Der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sogar einen AfD-Landtagsvizepräsidenten aktiv mitgewählt.

Die wackelt

Immer nur auf die Union zu deuten und jeden Schritt von Friedrich Merz in Richtung AfD wütend anzuprangern, wird in der politischen Auseinandersetzung jedenfalls gewiss nicht reichen, wenn die AfD bei den nächsten Wahlen weiter zulegt und Mehrheiten ohne sie schwierig bis unmöglich werden. Aus Prinzip und konsequent alles und auf jeder Ebene zu unterlassen, auch Sinnvolles, wenn die AfD zustimmt, lässt sich nicht allen WählerInnen mit Erfolg erklären.

Noch komplizierter als das künftige Abstimmungsverhalten wird es für die Ampelparteien aber, eine inhaltliche Brandmauer gegen rechts zu ziehen. Die wackelt ja nicht nur in Thüringen. Auf EU-Ebene ist sie schon längst gefallen. Während die deutschen Parteien weiter hingebungsvoll über die Vorgänge in Erfurt streiten, arbeitet EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) nicht erst seit diesem Wochenende demonstrativ freundschaftlich mit der postfaschistischen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zusammen. In Lampedusa stellte von der Leyen jetzt weitere Hilfe für Italien bei der Abwehr von Geflüchteten in Aussicht – möglicherweise sogar mithilfe der Marine. Dazu hört man von SPD und Grünen auffallend wenig.

Dafür hört man auch von Innenministerin Nancy Faeser immer öfter eigene Abschiebungsideen und ihren „Stolz“ auf die jüngsten EU-Beschlüsse zur verstärkten Abwehr von MigrantInnen schon an den EU-Außengrenzen.

Die Ratlosigkeit und Angst der Ampel ist angesichts der steigenden Zahl von Geflüchteten und der steigenden AfD-Umfragezahlen parteitaktisch verständlich. Aber der moralische Hochmut, mit dem SPD und Grüne die rechten Taktiken der Union kommentieren, passt nicht mehr zur eigenen Politik und wirkt zunehmend scheinheilig.

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