Kampf gegen die Klimakrise: Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Nach 17 Jahren Klimaaktivismus sagt Tadzio Müller: Der Kampf ist gescheitert. Trotzdem findet er in der Akzeptanz des Klimakollaps auch neue Utopien.
A ls die Flut in Spanien Brücken einriss und Autos wie Treibholz wegspülte, da war sie kurz sichtbar: die neue Zukunft. Eine Zeit des Kollapses, der Katastrophe als Normalzustand. In dieser Zukunft verlieren immer mehr Menschen an uns immer näheren Orten, in immer extremeren Katastrophen ihr Hab und Gut, ihre Gesundheit, ihr Leben. Es ist eine Zukunft, in der Behörden versagen, aus Desinteresse und weil sie von neoliberalen Soziopathen zugrunde reformiert wurden. Eine Zukunft, deren Dunkelheit den Apokalypse-Szenarien aus Büchern und Kinos in nichts nachsteht.
Wir haben in Spanien aber auch etwas anderes gesehen: Eine Zukunft, in der die Katastrophe nicht – wie die meisten Dystopien nahelegen – zu einer Welt Aller-gegen-alle führt. Stattdessen hat sich Solidarität vervielfältigt. Hunderte, Tausende Menschen haben sich spontan organisiert.
In einem mittlerweile ikonischen Video, das in den sozialen Medien kursierte, schippt ein mit Besen ausgestatteter Demonstrationszug gemeinsam das Wasser von einer überfluteten Straße. Man meint dabei tatsächlich einen Film zu sehen, so stark ist die Symbolik, die Koordination, die praktische Handlungsfähigkeit dieser Menschen. In diesem Clip wirkt es kurz so, als gäbe es auch in der Katastrophe noch Utopien.
Die Katastrophe als Normalzustand. Diese Formulierung schmerzt. Ja, die Katastrophe ist wirklich und wahrhaftig der realistische Horizont, auf den wir uns zubewegen. Nicht immer wird überall Katastrophe sein. Aber es wird immer mehr Katastrophen geben, immer häufiger, immer länger, immer intensiver – immer tödlicher. Nichts anderes bedeutet der Fakt, dass das Klima jetzt schon kippt, dass das Kippen ein unumkehrbarer Prozess ist, und dass die Eskalation extremer Wetterevents der letzten zwei Jahre nur der Anfang gewesen sein wird.
Das Ende der besseren Zukunft
Wenn das stimmt, bedeutet es, dass wir uns von der Zukunft verabschieden müssen. Zumindest von der Vorstellung, die wir uns von ihr bisher gemacht haben, die Zukunft als Quelle dessen, was der Philosoph Ernst Bloch als „utopischen Wärmestrom“ beschrieb. Bilder des besseren Lebens, die unserem Leben in der Gegenwart Sinn, dem Gewusel unserer alltäglichen Aktivitäten einen Fluchtpunkt geben.
Wenn diese Bilder der besseren Zukunft nach und nach verschwinden, verschwindet nach und nach auch der Sinn. Deswegen ist es so schwer, den Kollaps zu akzeptieren.
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Ich weiß das, weil ich es genau so erlebt habe. Ich bin seit 17 Jahren Aktivist für Klimagerechtigkeit. Und ich sage: Klimaschutz isch over. Deutschland hat fertig mit Klima. Klimaaktivismus kann nicht mehr ablaufen wie bisher.
Ich habe so ziemlich alles probiert, was der aktivistische Werkzeugkasten hergibt: wichtige Studien und irrelevante Petitionen, kleine Blockaden und riesige Demos, inspirierende Besetzungen und deprimierende Klimagipfel. Nichts davon hat sich tatsächlich positiv auf die Entwicklung der globalen Treibhausgaskonzentration ausgewirkt. Die steigt weiter an. Tatsächlich baut Deutschland gerade fossile Gasinfrastrukturen aus, betreibt also Anti-Klima-Politik.
2022 wurde mir klar, dass der Kampf für eine globale, klimagerechte, antifossile Revolution gescheitert war. Ein Jahr zuvor hatte die Flut im Ahrtal brutal gezeigt, dass die Klimakatastrophe auch in Deutschland angekommen ist. Trotzdem kündigte sich ein dramatischer Rechtsruck an. Jeder Move in Richtung eines tatsächlichen Klimaschutzes wurde immer härter bekämpft. Das Spiel ist aus, selbst wenn das Schachmatt noch zwei Züge entfernt liegt, dachte ich.
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Kommt der Klimakollaps? – taz Talk
In der Katastrophe solidarisch sein
Es fühlte sich an, als blieben mir nur zwei Optionen: die Realität des Kollapses weiter zu verdrängen, weil eine Welt ohne Zukunft eben einfach zu schrecklich ist. Oder diese Realität anzuerkennen – und dann wegen dieser Anerkennung depressiv zu werden.
Also habe ich mich für eine dritte Option entschieden. Ich will die Katastrophe akzeptieren und solidarischer damit umgehen. Aus der Flut im Ahrtal und den Überschwemmungen in Spanien kann man auch Hoffnung ziehen: Überall gibt es aktive Menschen, die sich solidarisch und aufopferungsvoll für die Betroffenen einsetzen.
Geht man weiter in der Geschichte zurück, findet sich dafür in den USA ein sehr eindrucksvolles Beispiel. Dort formten sich schon nach dem Hurrikan „Katrina“ im Jahr 2005 riesige, hocheffektive solidarische Netzwerke unter dem Stichwort „Mutual Aid“ – gegenseitige Hilfe. Sie arbeiteten teilweise besser als das Rote Kreuz. Es waren Anarchist*innen, die nach der Verwüstung durch „Katrina“ in den zerstörten Stadtvierteln die erste funktionierende öffentliche Klinik aufbauten.
Diese Zuversicht ist realistisch. In ihr steckt eine Hoffnung, die die Dunkelheit dieser Zeit anerkennt und dann Pläne schmiedet, wie man mit anderen zusammen trotz alledem Gutes schaffen kann.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dazu gehört die Frage, wie wir Gesundheitsversorgung in der Katastrophe auch für diejenigen sicherstellen, die sonst keine haben. Oder wie wir gemeinsam dafür sorgen, dass in der Katastrophe nicht schon wieder die am meisten leiden, die am wenigsten zum Problem beigetragen haben. Dieser Gedanke trägt mich in der neuen Zukunft: Ich will auch in der tiefsten Dunkelheit in der Lage sein, Orte für gutes Leben zu schaffen und zu verteidigen.
Das Leben nehmen, wie es ist
Klar, diese Hoffnung ist nicht so hell, so bunt, so glitzernd wie die Hoffnung auf die bessere Welt für alle, die uns Linke meist antreibt. Aber sie steht fest in der Wirklichkeit und macht uns damit auch in der Zukunft handlungsfähig. Wenn sie auch etwas matt daherkommt, so führt sie zumindest nicht zu der üblichen Depression, die auftritt, sobald die eigene Glitzerutopie entzaubert wird. Ich halte es mit Rosa Luxemburg: das Leben nehmen, wie es ist, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.
Während der am Ende erfolglosen Verteidigung von Lützerath lernte ich, dass Hoffnung, Kraft und Zuversicht genau wie Selbstwirksamkeit nicht unbedingt aus einem materiellen Erfolg entstehen muss.
Sie entsteht nämlich aus den sozialen Beziehungen, aus den Verhältnissen, die wir mit den Menschen eingehen, mit denen wir zusammen um eine bessere Welt ringen. In Lützerath fand ich den Glauben an die Zukunft wieder. Daran, dass man auch in den dunkelsten Momenten noch Orte der Solidarität schaffen kann.
Ich lebte in dort in einer WG, in der Aktivist*innen aus verschiedensten Bewegungen temporär zusammenwohnten. Anarchist*innen, Kommunist*innen, Ökos – und Menschen, die mit all diesen Schablonen nichts anfangen konnten. Es war ein Ort des kollektiven Zaubers.
Müller, Jahrgang 1976, ist Politikwissenschaftler und Klimaaktivist. Er hat unter anderem die Gruppe Ende Gelände mitgegründet, lange als Referent für Klimagerechtigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung gearbeitet, bloggt und war bei zahlreichen Protesten aktiv. Gerade ist sein Buch „Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps. Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben“ im Mandelbaum Verlag erschienen.
Als wir am Abend vor der Räumung am Fenster standen und auf die Cops, die Flutlichter und die schweren Fahrzeuge schauten, von denen wir wussten, dass sie uns am nächsten Tag aus unserem Zuhause räumen würden, fragte jemand: „Gibt es gerade einen Ort auf der Welt, an dem ihr lieber wärt?“
Alle gaben dieselbe Antwort: Nein, hier ist es perfekt, ich will gerade nirgendwo anders sein als genau hier. Mit euch.
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