Umgang mit dem Klimawandel: Plötzlich Sehnsucht nach der Zukunft

Durch die Klimakrise erschien unserer 26-jährigen Autorin die Zukunft wie ein schwarzes Loch. Dann entdeckte sie die Solarpunk-Bewegung.

Utopiebild von Berlin-Mitte mit begrünten Dächern

Eine Solarpunk-Vision vom Berliner Bahnhof Friedrichstraße -Utopia 2048 by Aerroscape Illustration: Lino Zeddies, CC BY-NC-SA 4.0

Es gibt Momente, die sind entscheidend für unser Denken. Für mein Zukunftsdenken gab es zwei davon. Der erste war 2019, als ich ein Video von Greta Thunbergs Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sah: „I want you to panic.“ Zack. Meine Panik war da und mit ihr noch ein anderes Gefühl: Perspektivlosigkeit.

Denn der Klimawandel kann nicht mehr verhindert werden, er ist bereits da. Unsere politischen Systeme sind zu langsam, um ihn zu stoppen. Unsere gesellschaftliche Ordnung wird unter diesen Bedingungen wahrscheinlich zusammenbrechen.

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Kinder kriegen? Kann ich nicht verantworten. Für die Rente vorsorgen? Interessiert mich nicht, denn wer weiß, ob die Welt bis dahin noch besteht. Ein Haus bauen? Wenn, dann nur auf einem Berg. Wenn ich an die Zukunft denke, tut sich vor mir ein dunkles, schwarzes Loch auf. Was soll noch Gutes kommen? Was bleibt meiner Generation außer Verdrängung und Angst?

Die zweite große Veränderung in meinem Zukunftsdenken kam im Oktober 2021. Ich sprach mit einer Freundin über meine Klimagefühle. Sie schickte mir daraufhin ein Youtube-Video. Diese erste Berührung mit der Solarpunk-Welt machte mich skeptisch: Was für ein kitschiger Scheiß, dachte ich, als die ersten farbübersättigten Utopien über meinen Bildschirm flackerten. Meine antrainierte Hoffnungslosigkeit wieder aufzugeben, fiel mir schwer.

Doch als die Monate vergingen und unsere kollektiven Zukunftsängste im Freundeskreis immer wieder Thema wurden, erwischte ich mich dabei, wie meine Gedanken stets zu dem Video zurückkehrten: Was, wenn es doch noch Hoffnung gibt?

Solarpunk definiert sich selbst als Kunstrichtung und als soziale Bewegung. „Solar“ nennt sich die Bewegung, weil die Utopien, die sie entwirft, stets auf nachhaltigen Energien fußen. Und „Punk“, weil die Grundlage für die Verwirklichung dieser Utopien eine radikale ökologische und gesellschaftliche Transformation ist.

Die Bewegung tauscht sich vor allem im Internet aus und formiert sich auf Plattformen wie Reddit oder Tumblr. Gewissermaßen kann man Solarpunk als Gegenbewegung zu Cyberpunk verstehen. Cyberpunk-Welten sind von Technologien geprägt. Roboter haben dort die Weltherrschaft übernommen, kapitalistische Unternehmen kontrollieren die Menschheit und die Natur wird vollständig eliminiert. Im Gegensatz zu diesen pessimistischen Zukunftserzählungen entwirft Solarpunk optimistische, hoffnungsstiftende Welten.

Kühe grasen zwischen Solarpaneelen

Wie eine solche Welt aussehen kann, zeigt etwa ein Werbevideo des US-amerikanischen Joghurtherstellers Chobani aus dem Jahr 2021, das die Solarpunk-Community so begeisterte, dass jemand schnell auch eine Version ohne Werbe-Charakter erstellte. In dem anderthalbminütigen Video erlebt man einen Tag in einer Solarpunk-Welt. Die Protagonistin lebt auf einer Farm auf dem Land. Ihr Kind wird morgens von einem fliegenden Bus zur Schule gebracht. Man sieht die Frau bei der Arbeit, wie sie mit einer ausgeklügelten Maschine Regen erzeugt und sich von einem Roboter bei der Apfelernte helfen lässt. Mittags isst sie gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft, kleine Flugroboter servieren das Essen. In der Ferne sieht man die grün bewachsene Skyline einer Stadt. Die Sonne scheint, die Luft ist klar. Kühe grasen zwischen Solarpaneelen und über ihnen schweben futuristische Windturbinen.

Die Grundlage jeder Solarpunk-Welt ist die Bewältigung der ökologischen Krise: Die Menschheit schafft es, im Einklang mit der Natur zu leben. Die Solarpunk-Bewegung begreift sich als eine Community, in der jede und jeder auf eine solche Zukunft hinarbeitet.

Wichtig für die Bewegung ist: Technologien werden dabei nicht ausgeklammert oder gar als schädlich angesehen, sondern als Chance verstanden, das Leben einfacher zu machen. Technik und Natur werden nicht als Widerspruch verstanden, sondern ergänzen sich. Ar­chi­tek­t:in­nen entwerfen ressourcenschonende Häuser aus nachwachsenden Rohstoffen. Künst­le­r:in­nen zeichnen autofreie Städte.

Man baut Solaranlagen aufs Dach und Gemüse auf dem Balkon an, tauscht über soziale Medien Ideen und Nachrichten über eine bessere Zukunft und Tipps für ein nachhaltiges Leben aus.

Seit dem ersten Youtube-Video habe ich auf diversen Plattformen zahllose Content-Creator:innen abonniert, die im Solarpunk-Stil denken oder arbeiten. Das Tolle: Sie wecken in mir nicht nur Hoffnung, sondern sogar Sehnsucht nach der Zukunft. Solarpunk hat mir eine Perspektive gegeben, etwas, worauf ich hinarbeiten kann. Gespräche über Klimaangst können mich kaum noch anstecken. Weil ich eine Vorstellung davon habe, wie die Zukunft auch aussehen könnte.

Die Community ist global vernetzt – und sie wächst

2008 taucht der Begriff „Solarpunk“ erstmals in einem Internetblog auf. In den 2010er-Jahren verbreitet er sich und wird Teil der Internetlandschaft. Es entstehen unzählige Kurzgeschichten, Bilder, Ideen. Solarpunk-Fans auf der ganzen Welt beginnen sich zu vernetzen. Ein eigenes Wertesystem bildet sich heraus. 2020 veröffentlicht der Blog Regenerative Design das sogenannte Solarpunk-Manifest. In 22 Punkten definiert sich die Solarpunk-Community dort selbst. „Wir sind Solarpunks, weil uns der Optimismus genommen wurde und wir versuchen, ihn uns zurückzuholen“, lautet der erste Punkt. In diesem Juni wird digital die erste offizielle Solarpunk-Konferenz stattfinden. Die Community ist global vernetzt. Und sie wächst.

Doch was machen eigentlich so richtige Solarpunks? Auf dem Reddit-Kanal r/solarpunk hat jemand eine To-do-Liste für Solarpunks angepinnt. Da steht vieles drauf von „Benutze eine Wäscheleine statt einen Trockner“ über „Schreibe eine E-Mail an die Stadtverwaltung, in der du bessere Radwege forderst“ bis zu: „Organisier einen Streik“ oder dem Ratschlag, Geld zu sparen, um Freun­d*in­nen aus dem Gefängnis auszulösen, nachdem diese ein fossiles Kraftwerk sabotiert haben.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Beim Solarpunk-Sein geht es nicht nur darum, der Klimakrise entgegenzuwirken, sondern auch darum, Resilienz aufzubauen, sich Fähigkeiten anzueignen wie Nähen, Flicken und Handwerken: Fähigkeiten, die im Katastrophenfall überlebenswichtig werden können. Es geht darum, Banden zu bilden gegen Ungerechtigkeit, Druck auf die Politik auszuüben und am Arbeitsplatz nachhaltiges Wirtschaften einzufordern. Längst nicht alles davon sind neue Ideen, doch Solarpunk bündelt diese zu einer Bewegung, mit einem gemeinsamen Ziel.

Ich bin nicht mehr nur ein Individuum, das alleine vor sich hin kämpft. Ich bin Teil einer Bewegung. Das fühlt sich gut an. Ich bin solarpunk.

Die Welt, die Solarpunks fordern, ist nicht nur schön und grün. Sie ist post-hierarisch, postkapitalistisch und dekolonisiert. Keiner versucht mehr, über den anderen zu herrschen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte ist ein wichtiger Bestandteil der Szene, auch deshalb, weil viele Ideen von indigenen Völkern stammen. „Kapitalismus steht im Widerspruch zum Solarpunk, weil er Anreize für den Einzelnen schafft, auf Kosten anderer Menschen und des Planeten mehr zu nehmen als zu geben“, heißt es im Solarpunk-Redditkanal. In der Solarpunk-Bewegung steckt also auch immer die Forderung nach einem gerechteren politischen und wirtschaftlichen System.

Science Fiction prägt, wie wir Zukunft denken

Wie wir über die Zukunft denken, wird ganz maßgeblich von den Medien bestimmt, die wir konsumieren – auch von fiktiven. Doch was, wenn die Fiktion fast nur dystopische Zukunftsszenarien anbietet? In meiner Kindheit hatte ich Wall-E, der einsame Roboter, der die völlig zerstörte Welt aufräumt. Oder Avatar, wo die Menschheit auf der Suche nach wertvollen Rohstoffen nicht nur die eigene Erde, sondern auch andere Planeten ausbeutet und deren indigene Völker vernichten will.

Wenn diese dystopischen Welten meine Sicht auf die Zukunft geprägt haben, woher soll ich meine utopischen Perspektiven nehmen? Woher soll die Inspiration für eine bessere Zukunft kommen?

2022 veröffentlichte Disney mit „Strange World“ seinen ersten Solarpunk-Film. Darin haben die Menschen eine Pflanze entdeckt, die zur Energiegewinnung genutzt werden kann. Die Menschen nutzen dieses sogenannte Pando, um damit Maschinen zu betreiben. Doch dann entdeckt eine Gruppe Wissenschaftler:innen, dass Pando der Welt, in der sie leben, schadet. Sie beschließen, die Nutzung von Pando zu stoppen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Disney-Filmen gibt es bei „Strange World“ keinen klassischen Bösewicht. Das Böse, das bekämpft werden muss, sind vielmehr tief verwurzelte, toxische Gesellschaftsstrukturen und diejenigen, die sie erhalten. „Strange World“ zeigt ganz offensichtlich eine Analogie zu unserem heutigen Umgang mit fossilen Energieträgern – und wie wir uns ändern könnten.

Spoiler alert: Den Wis­sen­schaft­le­r:in­nen gelingt es, die Menschheit davon zu überzeugen, Pando nicht mehr zu nutzen. Das Leben vieler Menschen verändert sich, wird zunächst langsamer und bescheidener. Dann wird eine nachhaltige Pando-Alternative gefunden und die Menschen können zu ihrem alten Lebensstil zurückkehren.

Ich bin ein bisschen neidisch auf junge Menschen, die mit einem Film wie „Strange World“ aufwachsen. Der Film ist nur ein Beispiel dafür, wie immer mehr Künst­le­r:in­nen und Me­di­en­ma­che­r:in­nen aktuell versuchen, optimistische Zukunftsperspektiven zu schaffen. Kinder können von klein auf lernen, dass Systemwandel möglich ist, und dürfen von einer besseren Zukunft träumen.

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