Kampf gegen die Erderhitzung: In Europa macht sich der Klima-Fatalismus breit
Klimaschutz wollen laut einer Umfrage viele Europäer*innen. Der Glaube daran, dass er gelingen kann, scheint aber nachzulassen.

Für die Studie haben Eichhorn und Grabbe im April vergangenen Jahres 8.000 Menschen in Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und Schweden befragt und ihre Ergebnisse mit einer Umfrage aus dem Jahr 2020 unter mehr als 6.000 Menschen in diesen Ländern verglichen.
39 Prozent der Befragten gaben Nachhaltigkeit und Klimaschutz als eines der drei wichtigsten Themen für die EU an, nur übertroffen von wirtschaftlicher Stabilität und Sicherheit. Migration war für 38 Prozent unter den wichtigsten drei Themen.
Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie des Jacques Delors Centre. Die stellte bei einer Befragung von 15.000 Deutschen, Franzos*innen und Pol*innen fest, dass in den drei Ländern über die Hälfte der Menschen mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz fordert.
Klimabewusstsein weit verbreitet
Die Unterstützung für Klimaschutz hält sich über alle Parteien hinweg: Während 86 Prozent der europäischen Grünen-Wähler angaben, besorgt oder sehr besorgt über den Klimawandel zu sein, machen sich auch mehr als die Hälfte konservativer Wähler*innen und sogar 50 Prozent der Wähler*innen rechtsextremer Parteien diese Sorgen.
Auch ist der Studie zufolge Unterstützung für Klimaschutz keine Sache der Wohlhabenden. Eichhorn und Grabbe stellten fest, dass sich Menschen mit geringen Einkommen genauso Sorgen um die Erderhitzung machen und Klimaschutz erwarten wie jene ohne Geldsorgen.
Deswegen, sagt Eichhorn, müsse Klimaschutz mit Maßnahmen verbunden werden, die direkt das Leben der Menschen materiell besser machen, und zwar auf eine Weise, die Menschen in ihrem Alltag bemerken.

Eine überwältigende Mehrheit von 80 bis 89 Prozent der Menschheit wünscht sich Klimaschutz, zeigen Umfragen. Beim „89 Percent Project“ des Netzwerks Covering Climate Now berichten dieses Jahr Journalist*innen weltweit über Menschen, die etwas für den Planeten erreichen wollen – und über die Hürden, vor denen sie stehen.
Gleichzeitig glauben immer mehr Menschen, dass Anpassung an die Erderhitzung Vorrang vor Klimaschutz haben sollte. In Italien zum Beispiel, wo die Befragten am häufigsten mehr Klimaschutz forderten, waren es 2020 noch 20 Prozent, 2024 aber 26 Prozent. In Deutschland stieg der Anteil im gleichen Zeitraum von 31 auf 39 Prozent, genauso wie in Frankreich.
Europäer*innen von Regierungen enttäuscht
Bei ausführlichen Gesprächen mit Studienteilnehmer*innen in Deutschland haben die Studienautor*innen aber noch einen anderen Grund festgestellt: Viele derer, die wenig Vertrauen in ihre Regierungen beim Lösen der Klimakrise haben, hätten wenig Hoffnung, dass die Erderhitzung gestoppt werden kann, sagt Eichhorn. „So ein Fatalismus kann dazu führen, dass Menschen Anpassung priorisieren.“
Enttäuschung über die Regierung drücke sich auf zwei Weisen aus, berichtet Eichhorn. Einerseits die Frustration, dass der Staat nicht kompetent genug sei, um die Erderhitzung zu begrenzen, „das nicht gewuppt kriegt“.
Andererseits hätten viele den Eindruck, „dass – wenn was gemacht wird – diese Maßnahmen auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung ausgetragen werden“. Diese Wahrnehmung sei besonders stark ausgeprägt unter jenen, die sich von der Politik generell wenig berücksichtigt fühlen.
Dass mehr Menschen Anpassung vor Klimaschutz stellen, verbucht Studienautor Eichhorn aber auch als Erfolg der extremen Rechten. Denn viele europäische Rechtsextreme bestritten inzwischen die Erderhitzung nicht mehr, sondern relativierten sie und erzeugten so den Eindruck, Anpassung an die Erderhitzung sei einfacher als Klimaschutz.
Forscher: Thema nicht den Rechten überlassen
Eichhorn fürchtet deshalb einen Teufelskreis: Wenn die Forderung der Mehrheit nach effektivem Klimaschutz durch die Politik weiter unerfüllt bleibt, verfingen Lügen der extremen Rechten schneller, die die Erderhitzung herunterspielen oder als unvermeidbar darstellen.
„Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass man in Ruhe Klimapolitik machen kann, wenn man das Thema nicht anspricht“, sagt Eichhorn. Dann würden die Rechten und die fossilen Lobbys das Thema bespielen. Stattdessen müsse die Politik das Gefühl schaffen, dass sie an Lösungen für die Klimakrise arbeite und zu guten Ergebnissen komme.
Denn dass die Erderhitzung gefährlich ist, sei in der Bevölkerung weitgehend bekannt, sagt Eichhorn. Auch die Forderung nach mehr Klimaschutz sei weit verbreitet. „Für die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen sollten die Parteien allein schon aus Eigennutz so klar und schnell wie möglich handeln“, fasst Eichhorn die Ergebnisse der Studie zusammen.
„Tun sie das nicht, laufen sie Gefahr, dass die Rechten das Klimathema weiter bespielen und es in einigen Jahren noch schwieriger wird, Klimaschutz durchzusetzen“, warnt er.
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