Kampf gegen Korruption in der Ukraine: Rüge wegen Anti-Oligarchengesetz

Die Venedig-Kommission hat Kyjiw aufgefordert, das Anti-Korruptionsgesetz nicht anzuwenden. Es gibt einige Kritik an diesem.

Präsident Selenski im ukrainischen Parlament, er hält seine Hand auf seine Brust

Kritiker fürchten zu viel Macht im Umfeld des Präsidenten Foto: Ukraine Presidency/imago

BERLIN taz | Die Venedig-Kommission des Europarats hat der ukrainischen Regierung eine Rüge erteilt. Grund ist das sogenannte Anti-Oligarchengesetz, mit dem Kyjiw den übermäßigen Einfluss von Personen mit großem wirtschaftlichen und politischen Gewicht einschränken will. Das Gremium forderte die Ukraine dazu jüngst auf, das Gesetz vorerst nicht anzuwenden, da die darin vorgeschlagenen Maßnahmen „ernste Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention aufwerfen“. Zudem seien sie mit pluralistischen Grundsätzen und Rechtsstaatlichkeit nur schwer zu vereinbaren.

Die Venedig-Kommission ist eine Einrichtung des Europarats, die Staaten verfassungsrechtlich berät. Eigenen Angaben zufolge spielt sie „eine führende Rolle, wenn es gilt, in Osteuropa Verfassungen auszuarbeiten, die den Normen des europäischen Verfassungsrechtsbestands entsprechen“. Beim im Herbst 2021 von der ukrainischen Werchowna Rada verabschiedeten Gesetz gegen Korruption besteht dabei offensichtlich Nachbesserungsbedarf.

Dabei zeichnet sich das ukrai­ni­sche Anti-Oligarchengesetz durch einen stark personalisierten Ansatz aus. So sieht es die Schaffung einer eigenen Datenbank vor, in die die sogenannten Oligarchen eingetragen werden sollen. Ob man den wenig ehrenvollen Titel bekommt oder nicht, entscheidet allein der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine.

Dabei gibt es vier Kriterien: Beteiligung am politischen Leben, Besitz eines Monopolunternehmens, Einfluss auf Medien und der Besitz von umgerechnet mindestens 83 Millionen Dollar. Wer drei dieser Kriterien erfüllt, den kann der Rat in die Liste der ukrainischen Oligarchen aufnehmen.

Die Furcht der Superreichen hat einiges ausgelöst

Wer also eine gute Geschäftsidee hat, mit dieser 83 Millionen Dollar verdient und sich in einer Partei engagiert, läuft Gefahr, in die Liste der verhassten Oligarchen eingetragen zu werden. Wer seinen Namen in dieser Liste findet, braucht nicht mehr von einer politischen Karriere zu träumen. Denn: Jenen, die als Oligarchen eingetragen sind, ist es verboten, politische Parteien oder Veranstaltungen zu finanzieren.

Außerdem müssen sie über jedes Gespräch mit einem Regierungsbeamten Rechenschaft ablegen, was jegliche Vertraulichkeit solcher Gespräche verunmöglicht. Außerdem müssen die Oligarchen einmal jährlich ihre Einkommensverhältnisse veröffentlichen. Offiziell ist noch niemand in dieser Datenbank. 86 Personen würden jedoch die Kriterien erfüllen, zitiert forbes.ua den Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates, Olexi Danilow.

Allein die Furcht der Superreichen, in diese Liste eingetragen zu werden, hat einiges ausgelöst. So trennte sich Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, im Sommer 2022 von seinen Fernsehkanälen, Internetportalen und Zeitungen. Als Grund gab er das Anti-­Oligar­chen­gesetz an.

Die Entstehung neuer Oligarchen

Kritik kommt auch aus dem Umfeld von Ex-Präsident Petro Poroschenko: Er sieht darin einen Versuch der Selenski-Administration, missliebige Akteure in Politik und Medien mundtot zu machen. Nun könne Selenski entscheiden, wer ein Guter und wer ein Böser sei, so Oleksiy Gontscharenko von der Poroschenko-Partei Europäische Solidarität.

Die alten Oligarchen seien gezähmt, nun drohten aber neue zu entstehen, analysierte das Nachrichtenportal Bloomberg neulich das Gesetz. Und es geht um viel Geld, erst Anfang April hatte der Internationale Währungsfonds der Ukraine einen Kredit in Höhe von 15,6 Mil­liar­den Dollar genehmigt. „Die Geldgeber haben keine Angst vor den alten Oligarchen“, zitierte Bloomberg Valeriya Gontareva, ehemalige Chefin der ukrainischen Zentralbank. „Sie fürchten die neuen Oligarchen.“ Sie äußerte die Sorge, dass ein etwaiger Marshall-Plan zum Wiederaufbau von den falschen Leuten umgesetzt werden könnte.

Stanislaw Kibalnyk von der Charkiwer Plattform assembly.org.ua teilt gegenüber der taz diese Befürchtung. Einkaufszentren wie das Epicenter oder die Privatpost der Nowa Potschta, die enge Beziehungen zur Präsidialadministration unterhalten, hätten mit der Verdrängung der alten Oligarchen nun den Rücken frei – um, so Kibalnyk, ihre Geschäfte auszuweiten.

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