Johnny Depp gegen Amber Heard: Widerlicher Hass auf Frauen
Ein Jahr nach dem Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard entschuldigen sich viele dafür, die Schauspielerin verhöhnt zu haben. Leider zu spät.
E s gibt ein Thema, über das ich schon länger schreiben wollte, und die Nachricht, dass Amber Heard nach Madrid gezogen sein soll, nehme ich zum Anlass, das endlich zu tun. Erst mal: Good for her, wenn das stimmt, Madrid ist eine tolle Stadt und Abstand zu Hollywood, Los Angeles und zur ganzen Filmbranche zu bekommen, ist für sie im Moment bestimmt das Beste, was sie tun kann. Mir geht es hier aber weniger um Amber Heard denn um die öffentliche Wahrnehmung von ihr.
Der schreckliche Heard/Depp-Prozess ist genau ein Jahr her. Ich habe damals (so gut es ging als Person, die daueronline ist) versucht zu vermeiden, mir die Videos anzuschauen, zum einen, weil die Details, die über Johnny Depp zutage kamen, so dermaßen widerlich waren, vor allem aber, weil die Reaktionen auf Heard so dermaßen widerlich waren.
Es wurde inzwischen viel darüber geschrieben, wie daneben es war, dass sich so viele Johnny-Stans und Heard-Anti-Fans, andere Promis und Unternehmen über ein Opfer von Missbrauch und häuslicher Gewalt lustig gemacht haben, auch ich habe das nach Ende des Prozesses getan, also muss ich das nicht wiederholen. Wir alle erinnern uns gut genug, es war ja kaum möglich, dem Thema zu entgehen.
Mir war ehrlich gesagt bereits damals klar, dass viele derjenigen, die Heard verhöhnten, früher oder später eine 180-Grad-Wendung machen würden. Ich wusste das nicht, weil ich so ein toller und schlauer Mensch bin, sondern weil das immer so ist, Geschichte wiederholt sich einfach.
Digitale Wiedergutmachung
Ich hätte allerdings erwartet, dass es länger dauert, fünf Jahre vielleicht, und nicht, dass das ein Jahr später schon der Fall ist. Plötzlich trendet der Hashtag #IStandWithAmberHeard, plötzlich wird die Schauspielerin als „Mother“ (in bestimmten Szenen das höchste Lob) bezeichnet, plötzlich feiern die Leute Amber und sagen viele, es täte ihnen leid, nicht vorher erkannt zu haben, dass Amber das Opfer war und nicht Johnny.
„Ich schulde euch allen eine Entschuldigung“, schrieb beispielsweise eine Userin auf Twitter. „Jetzt sehe ich anhand weiterer Beweise, dass Amber Heard tatsächlich das Opfer war. Und ich bereue alles, was ich letztes Jahr über den Fall gesagt habe.“
Ich stehe dieser ganzen digitalen Wiedergutmachung zwiegespalten gegenüber. Einerseits bin ich froh, dass es überhaupt geschieht (und wie gehabt früher als von mir erwartet), andererseits ist es frustrierend, dass es wieder so weit kommen musste. Britney Spears, Paris Hilton, Monica Lewinsky: So oft wurden Frauen in der Öffentlichkeit aufs Schlimmste verunglimpft, bis der Gesellschaft irgendwann ihr Verhalten bewusst wurde und das große Bereuen einsetzte samt dem impliziten Versprechen, so was würde nie wieder passieren.
Aber der Heard/Depp-Prozess hat gezeigt: Wir haben nichts gelernt. Und deswegen bleibe ich frustriert. Weil ich nicht glaube, dass wir dieses Mal dazulernen. Weil es eine nächste Amber Heard geben wird, und eine nächste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut