Joe Bidens Nachfolge: Die Frage der Stunde
Wird es Kamala Harris? Und: Ist es entscheidend, wer für die Demokraten antritt? Sicher. Aber sicher nicht so entscheidend wie Joe Bidens Verzicht.
K ann US-Vize-Präsidentin Kamala Harris im November gegen Ex-US-Präsident Donald Trump gewinnen? Aller momentanen Euphorie der Demokraten in den USA zum Trotz: Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sonderlich hoch. Die Vereinigten Staaten sind mutmaßlich noch nicht so weit, eine Frau ins Oval Office des Weißen Hauses zu wählen, zumal eine afroamerikanische Frau mit zugleich südasiatischen Wurzeln. Und dann auch noch eine Frau, die als Persönlichkeit und als Rednerin zumindest bislang (noch) nicht besonders einnehmend herüberkam und als Vize-Präsidentin weder gemocht noch geliebt wird.
Könnte sie die falsche Kandidatin sein? Mag sein, aber das ist nicht die Frage der Stunde. Denn voraussichtlich wird keine und keiner der potenziellen anderen Kandidat.innen ohne massive Unterstützung nach vorne treten und Kamala Harris herausfordern. Die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, hat schon abgewunken, Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien ebenfalls. Und das, obwohl den beiden und weiteren Gouverneur.innen in den Umfragen größere Chancen gegen Donald Trump eingeräumt werden.
Doch US-Präsident Joe Biden hat Harris mit seinem Rückzug von der Kandidatur offiziell als Kandidatin unterstützt. Wenig später kamen die immer noch einflussreichen Clintons, Bill und Hillary, und riefen die Demokraten und Demokratinnen auf, Kamala Harris zu unterstützen „und mit allem, was wir haben, zu kämpfen, um ihre Wahl zu erreichen. Amerikas Zukunft hängt von ihr ab.“ Die nächsten Tage werden mehr und mehr solcher Aufrufe bringen.
Demokratie und Gewaltenteilung stehen auf dem Spiel
Aber es geht ja längst um viel mehr als um das Weiße Haus. Es geht um die Frage, ob es in der US-amerikanischen Demokratie noch irgendeine Form von Gewaltenteilung geben kann, bei der nicht Donald Trumps Maga-Sturmtruppen (Make America Great Again) alle Macht in den Händen halten. Denn die Umfragen in den vergangenen Wochen haben mehr und mehr gezeigt, dass Joe Biden auf dem Wahlzettel auch die Kandidaten und Kandidatinnen für das Repräsentantenhaus und den US-Senat mit herunterziehen würde.
Zu viele, nicht nur aber insbesondere auch junge Wähler.innen und Gegner.innen der Unterstützung Israels im Gaza-Krieg, schienen entschieden, dann gar nicht zur Wahl gehen zu wollen. Nach seinem katastrophalen Auftritt in der TV-Debatte gegen Donald Trump vor vier Wochen war das Vertrauen in den alternden Präsidenten geschwunden. Die Chancen für die Demokrat.innen, die Mehrheit im Senat zu behalten oder im Repräsentantenhaus wiederzugewinnen, schwanden mit. Das Wort ist sehr strapaziert, aber von der Demokratie bliebe in dem Fall möglicherweise wirklich nicht mehr viel übrig. Allein die Tatsache, dass Joe Biden jetzt nicht mehr als Kandidat antreten wird, erhöht die Chancen der Demokrat.innen, in den USA eine Form von Checks und Balances zu erhalten.
Kamala Harris mit keinem Wort erwähnt
Am Sonntag schon gab es die ersten Zeichen, das Wahlkampf-Großspenden wieder anlaufen. Kommentator.innen aus dem demokratischen Camp bezeugten Biden in US-Medien Respekt – und ließen eine neue Wahlkampfenergie spüren. Der Rückzug Joe Bidens, des Mannes also, der 2020 Donald Trump aus dem Oval Office geschlagen hatte, gibt der demokratischen Mobilisierung ein neues Momentum.
Ob seine Vize-Präsidentin am Ende die Kandidatin wird? Auffällig ist, dass Kamala Harris im ersten Statement von Ex-US-Präsident Barack Obama mit keinem Wort erwähnt wird. Noch immer denken demokratische Funktionär.innen über die Möglichkeit nach, erst auf dem Nominierungsparteitag im August zu entscheiden, wer für sie antritt.
Ist also entscheidend, wer für die Demokraten antritt? Sicher. Aber sicher nicht so sehr wie dieser Schritt des Verzichts von Joe Biden.
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