Innenminister gegen Coronaprotest: „Querdenkern“ Paroli bieten
Der Coronaprotest widersetzt sich Verboten, impfende Ärzte beklagen Bedrohungen. Die Innenminister:innenkonferenz will nun reagieren.
![Blick in ein Impfzelt,2 Personen sitzen am Tisch, eine Person beugt sich mit einer Spritze über eine Sitzende Blick in ein Impfzelt,2 Personen sitzen am Tisch, eine Person beugt sich mit einer Spritze über eine Sitzende](https://taz.de/picture/5253546/14/28898180-1.jpeg)
All dies sind Vorfälle aus den vergangenen Tagen. Zudem gingen erst am Montag in Sachsen und Thüringen wieder Hunderte gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße – obwohl solche Versammlungen aus Infektionsschutzgründen untersagt sind. Es sind Zustände, die zunehmend die Politik besorgen.
Wenn am Mittwoch die Innenminister:innen zu ihrer halbjährlichen Konferenz zusammenkommen – diesmal pandemiebedingt digital und ein letztes Mal mit Noch-Bundesinnenminister Horst Seehofer –, wird dieses Thema deshalb eines der zentralen sein.
„Besorgniserregende Entwicklung“
„Der Coronaprotest nimmt eine besorgniserregende Entwicklung“, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) der taz. „Es ist sehr deutlich, dass dort großes Konfliktpotential besteht und die Radikalisierung voranschreitet.“ Auch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) nennt die Protestierenden angesichts der Pandemielage „ignorant und egoistisch“. Die Aufzüge seien, ohne Maske und Abstand, „Brandbeschleuniger und gefährden die Gesundheit von uns allen“. Und ein Sprecher von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) betont, dass die Teilnehmenden „immer stärker verbal aggressiv gegen Einsatzkräfte auftreten, hinzu kommt auch körperliche Gewalt“.
Das BKA rechnet der Szene zwar weiterhin „größtenteils Beleidigungen und Bedrohungen“ zu. Auch Seehofers Ministerium sieht zwar „keine konkreten Hinweise auf weitere Radikalisierung der zentralen Akteure“. Dennoch sei zuletzt verbal aggressives und gewaltbereites Verhalten festzustellen.
Und die Polizei registrierte auch schwere Straftaten: Im Münsterland wurden ebenfalls Brände vor zwei Teststationen gelegt, in Brandenburg/Havel vor zwei Stationen Buttersäure verkippt, in Berlin schleuderten Unbekannte vor Monaten einen Brandsatz gegen ein Gebäude des Robert Koch-Instituts. Vor allem aber ein Fall erschütterte Behörden und Politik: Die Ermordung eines Tankstellenmitarbeiters durch einen Coronaskeptiker im September in Idar-Oberstein. Dieser hatte den Täter auf die Maskenpflicht hingewiesen.
Verfassungsschutz sieht „rote Linien“ überschritten
Schon im Frühjahr hatte der Verfassungsschutz Teile des Coronaprotests als Beobachtungsobjekt eingestuft, Präsident Thomas Haldenwang warnte vor einer Gewaltspirale, die angefacht etwa durch Hass im Internet auch „tödlich enden kann“.
Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian spricht aktuell von längst überschrittenen „roten Linien“, mit Angriffen auf Polizist:innen, Journalist:innen oder strafbewehrten Verbalattacken gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Die Idee eines gewaltsamen Widerstands gegen demokratische Regeln sei inzwischen eine „Standardforderung“ der Bewegung.
Ärzte und Impfzentren bekommen Hass ab
Der Hass der Coronaprotestierenden richtet sich dabei neben Politiker:innen vor allem auf Impfzentren, impfende Arztpraxen oder Testzentren. So musste gerade erst im sächsischen Zittau ein Testzentrum schließen – laut Betreiber wegen Ausrastern von positiv Getesteten.
Der Deutsche Ärztetag warnte zuletzt: „Die Situation ist alarmierend.“ Impfende Ärzte erhielten Drohschreiben, würden beschimpft oder Opfer körperlicher Gewalt. Gäben sie Patienten Hinweise auf Coronaregeln oder fragten nach dem Impfstatus, sei Aggressivität inzwischen alltäglich. Viele Mediziner reagierten mit „Unsicherheit und Angst“, ihre Arbeit erschwere sich „ganz erheblich“.
Auch das BKA nennt Impfgegner und Coronaleugner ein „relevantes Risiko“ für Angriffe auf Impfzentren oder Arztpraxen. Für das dortige Personal bestehe „die Gefahr, zumindest verbalen Anfeindungen bis hin zu Straftaten ausgesetzt zu sein“. Vereinzelt könne dies auch „körperliche Übergriffe“ bedeuten.
„Mein Verständnis ist aufgebraucht“
Auf der Innenministerkonferenz sollen nun Gegenmaßnahmen besprochen werden. Thüringens Innenminister Maier will den Coronaprotest härter angehen. „Die Politik muss hier eine deutliche Sprache sprechen und konsequent agieren.“ Maier vermutet vorwiegend Ungeimpfte unter den Protestierenden. „Lange hat die Politik auf sie Rücksicht genommen. Wenn diese aber teilweise mit Extremisten paktieren, ist mein Verständnis aufgebraucht.“ Denn laut Maier seien es oft bekannte Rechtsextremisten, die zu den Protesten aufriefen. Dennoch würden Bürgerliche dem Aufruf folgen. „Das Ziel der Extremisten, eine Entgrenzung zu erreichen, ist hier teils erreicht. Und da dürfen wir nicht zuschauen.“
Auch NRWs Innenminister Herbert Reul spricht von einer inzwischen „gewaltbereiten Szene“. Er fordert mehr Onlineüberwachung des Coronaprotests, um frühzeitig mutmaßliche Gewalttäter aufzuspüren. „Wir müssen Täter schon vor einer Tat identifizieren“, so Reul. Verfassungsschutz und Polizei bräuchten dafür die nötigen Instrumente.
Der Ärztetag sieht indes nicht nur die Behörden gefordert. Die Gewalt gegen Ärzte müsse „gesellschaftlich geächtet“ werden, heißt es in einem aktuellen Beschluss. Auch brauche es Maßnahmen der Gewaltprävention und Aufklärungskampagnen über die Arbeit von Ärzt:innen. „Der gesesellschaftliche Zusammenhalt und die Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen sind gerade in Zeiten wie diesen wichtiger denn je.“
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