Gesundheitssenatorin über Impfpflicht: „Es geht nur mit Überzeugung“

Bremen hat die höchste Impfquote. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) erläutert, warum sie auf Vertrauen statt auf eine Impfpflicht setzt.

Ein Mensch bekommt eine Spritze in den Arm

Bremen hat die bundesweit höchste Impfquote – und das ganz ohne Zwang Foto: Sina Schuldt/dpa

Frau Bernhard, Bremen hat bundesweit die höchste Impfquote. Fast 80 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Und das sind über 20 Prozentpunkte mehr als beim Schlusslicht Sachsen. Was machen Sie denn besser als andere Bundesländer?

Claudia Bernhard: Wir haben hier in Bremen sehr früh, sehr gut aufgeklärt und sofort auch mehrsprachige Informationsmaterialien herausgegeben. Ein großes Pfund war, dass wir Gesundheitsfachkräfte in die Stadtteile geschickt haben, die dort Vertrauen aufgebaut haben. Bis heute sind unsere mobilen Impfteams in den Stadtteilen unterwegs.

Von Anfang an hatten wir als Stadtstaat unser eigenes Callcenter, das sich gekümmert hat. Wer anrief, bekam sofort einen Termin und landete in keiner Warteschleife. Und so kamen eben mehrere Faktoren zusammen.

Beim Callcenter haben Sie eng mit der Wirtschaft zusammengearbeitet. Das ist doch eher ungewöhnlich ist für eine linke Gesundheitssenatorin?

ist seit 2019 Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz in Bremen.

Wir haben uns relativ früh auf eine gemeinsame Mission verständigt, nämlich, wie kriegen wir unsere Bevölkerung am schnellsten durchgeimpft. Und da haben Betriebe und Unternehmen das Angebot gemacht, ein Callcenter samt Personal zur Verfügung zu stellen. Es gab ja viele Leute aus Hotellerie, Kultur- und Veranstaltungsbetrieben, die im Lockdown fast nichts zu tun hatten. Diese Kooperation hat sehr gut funktioniert.

Ich möchte aber in dem Zusammenhang auch betonen, Impfen ist eine staatliche Angelegenheit, und wir haben es immer als unsere Aufgabe angesehen, es all jenen anzubieten, die keine große Hausarztbindung haben.

Wie haben Sie es es geschafft, Vertrauen aufzubauen, gerade bei Leuten, die dem Staat misstrauen oder sich im Stich gelassen fühlen?

Indem wir vor Ort waren. Wir haben ja Daten erhoben, wo die Inzidenzen besonders hoch sind. Nämlich dort, wo die Arbeits- und Wohnverhältnisse prekärer sind. Und für uns war klar, hier muss man unterstützen, aufklären und Angebote schaffen.

Wir arbeiten dazu mit den Menschen zusammen, die Kontakte in die Communities vor Ort haben. Wir haben das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter und den Arbeiter-Samariter-Bund eingebunden und wir haben an bestehende Stadtteilprogramme angedockt. Dieses Vertrauen lässt sich nicht in zwei, drei Tagen herstellen, das muss man langfristig aufbauen. Aber wenn Vertrauen da ist, werden die Angebote auch wahrgenommen.

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Ist dieses Konzept überhaupt auf ein Flächenland übertragbar oder geht es nur in einem Stadtstaat, wo jeder jeden kennt?

Natürlich haben wir hier in Bremen kürzere Wege. Aber es geht ja vor allem darum, sich mit den Gegebenheiten vor Ort auseinanderzusetzen und sich zu überlegen, wie kommt man an die Menschen ran, wie bindet man sie ein. Das braucht Zeit.

Klar, in einem Flächenland ist die Herausforderung eine andere. Aber ich glaube, langfristig ist das die erfolgreichere Methode. Und die Corona-Problematik bleibt uns erhalten. Es wird nicht gehen, wenn man nur sagt, man rückt aus, schlägt irgendwo ein Impfzentrum auf und das mit Menschen, die vor Ort niemand kennt.

Jetzt geht es darum, schnell die Impflücken zu schließen und die Menschen zu boostern. Wie kriegen Sie das in Bremen hin?

Das ist nicht ganz einfach zu stemmen. Aber wir eröffnen jetzt noch mal ein großes Impfzentrum, und ich bin optimistisch, dass wir es schaffen, einen großen Teil der Menschen vor Weihnachten zu boostern – wenn die Impfstofflieferungen ausreichen. Für die Kinder und Jugendlichen bauen wir ein eigenes Impfzentrum mit Kinder- und Jugendärzten auf. Wir merken aber auch, dass die Erstimpfungen unter Erwachsenen wieder zunehmen. Die haben sich verdoppelt und verdreifacht.

Worauf führen Sie das zurück?

Es spielt mit Sicherheit eine Rolle, dass jetzt die 3G-Regelung am Arbeitsplatz gilt. Und in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens haben nur Geimpfte und Genesene Zutritt, das ist also mit massiven Einschränkungen für Ungeimpfte verbunden.

Aktuell wird über eine Impfpflicht diskutiert, die Arbeitgeber sind offen dafür, auch in Ihrer eigenen Partei der Linken gibt es jetzt Stimmen, die dafür sind, unter anderem die Parteivorsitzende. Sie selbst halten aber wenig von so einem Instrument. Warum?

Zum einen, weil uns eine Impfpflicht in der aktuellen Situation nicht voranbringt. Selbst wenn wir morgen eine Impfpflicht verabschieden, würde sie übermorgen noch nicht wirken. Zum anderen, weil ich nicht glaube, dass wir über eine Impfpflicht tatsächlich die Impfquote erhöhen. Unsere Erfahrung hier in Bremen ist eine andere. Ich glaube, es wird nur mit Überzeugung gehen. Das mag anstrengender und aufwändiger sein, aber es ist nachhaltiger.

Aber selbst in Bremen sind zehn Prozent der Erwachsenen hartnäckige Impfverweigerer. Die zu überzeugen ist schwierig, geht das nicht nur über eine allgemeine Impfpflicht?

Eine allgemeine Impfpflicht würde aber bedeuten, dass auch Kinder und Jugendliche geimpft werden müssen.

Man kann sie doch davon ausnehmen.

Eine Impfpflicht nur für Erwachsene? Dann kommen wir doch sowieso nicht deutlich über 80% hinaus und das haben wir in Bremen schon. Im Unterschied zu Masern müssen die Menschen auch ständig nachgeimpft werden, weil der Impfschutz abnimmt. Und dann ist da noch die Frage der Sanktionen: Wie will man Menschen sanktionieren, die sich nicht impfen lassen wollen?

Mit Bußgeldern zum Beispiel. Das schlägt Ihre Bundesvorsitzende vor.

Und wenn man nicht zahlen kann, was dann? Außerdem weiß ich nicht, ob die Krankenhäuser und Pflegeheime begeistert wären, wenn sich dann das ungeimpfte Pflegepersonal zurückzieht.

Auf der anderen Seite wäre die Lage auf den Intensivstationen nicht so dramatisch, wenn sich mehr Menschen hätten impfen lassen. Dort liegen mehrheitlich Ungeimpfte.

Man hätte das an anderen Stellen energischer verfolgen müssen. Das ist doch ein Wahnsinn. Erst kam zu wenig Impfstoff. Dann wurden die Impfzentren geschlossen. Dann die kostenlosen Tests abgeschafft. Die Ausstattung mit Pflegepersonal in den Krankenhäusern ist miserabel. Bevor man mit der Impfpflicht kommt, sollte man diese Missstände angehen. Für mich ist die Impfpflicht eine Symboldebatte, weil die Hütte brennt. Die brennt aber auch an anderen Stellen. Eine schwierige Debatte.

Auch in Ihrer eigenen Partei.

Oh ja. In unserem Landesverband ist das total umstritten.

Sollte sich die Linke geschlossen für oder gegen eine Impfpflicht positionieren?

Das verlangt man doch an anderen Punkten auch nicht, ob das jetzt das bedingungslose Grundeinkommen ist oder Auslandseinsätze. Da gibt es ebenfalls Auseinandersetzungen, was gut und richtig ist. Ich finde es merkwürdig, zu verlangen, eine Partei müsse da immer super geschlossen auftreten.

Ein Skeptikerin des Impfens ist Sahra Wagenknecht. Stört es Sie eigentlich, dass sie mit ihrer Impfskepsis viel prominenter ist, als Sie als Gesundheitssenatorin, die alles dafür tut, damit möglichst viele Leute geimpft werden?

Die öffentliche Debatte ist doch wirklich nicht alles. Mir geht es nicht um Prominenz, sondern darum, eine ordentliche Arbeit zu machen und die Impfquote zu erhöhen.

Auch in Bremen beträgt die Inzidenz trotz hoher Impfquote fast 200, bei Kindern und Jugendlichen ist sie mehr als doppelt so hoch. Sollten die Länder wieder in der Lage sein, Betriebe und Schulen zu schließen und Ausgangssperren zu verhängen?

Man kann das nicht ausschließen und ich würde auch nichts ausschließen. Ich gehe jetzt aber erst mal davon aus, dass die 3G- und 2G-Maßnahmen hoffentlich einen Effekt haben.

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