Initiative gegen Dumping bei Agrarwaren: Bauern schaffen eigene Milchmarke
Ab sofort gibt es in Supermärkten die „Du bist hier der Chef!“-Milch. Kunden haben über den Preis abgestimmt. Sie wollen 1,45 Euro pro Liter zahlen.
Lorenz, seit Jahren schon Biobauer, lässt seine Kühe jetzt noch länger auf die Weide, hat diese vergrößert, auch einen Hektar hinzugepachtet. Seit diesem Montag steht das Ergebnis als Erstes in Regalen von Rewe, später soll es bei anderen Lebensmittelketten folgen: die Milchmarke „Du bist hier der Chef!“. „Das gab es so alles noch nicht“, sagt Lorenz, „Sie sehen schon auf der Verpackung, was anders ist.“
Die ist denkbar schlicht, grün und blau. Auffällig die Aufschrift: „Diese Milch wurde von uns Verbrauchern gewählt“. Das Besondere: Bevor Lorenz und zwölf weitere Kollegen in den vergangenen Wochen ihre Arbeit verändert haben, konnten Verbraucher online unter dubisthierderchef.de abstimmen. Die Frage: Was für eine Milch soll zu welchem Preis in Läden verkauft werden?
Wie bio soll die Milch sein, woraus die Verpackung bestehen, wie gut der Bauer dabei vergütet werden? Knapp 10.000 Kunden haben sich insgesamt bei acht Fragen entschieden. Und je nachdem, was sie anklickten, verschob sich der Preis für die Milch. Nun steht unten auf der Vorderseite der Milchpackung „Unverbindliche Preisempfehlung, von Verbrauchern gewählt: 1,45 Euro.“
Alle zehn Jahre halbiert sich die Zahl der Milchhöfe
Entscheidend für Lorenz auch ein Satz auf der Seite: „Die Bauern erhalten pro Liter 58 Cent“ – mehr als üblich. Im Schnitt bekommen konventionelle Bauern derzeit 31 Cent pro Liter, 44 Cent halten sie aber erst für fair. Die Einkaufsmacht der großen Handelsketten, vor allem der Discounter, sei enorm, sagt Lorenz. Die einzelnen Landwirte könnten dem wenig entgegensetzen. Das ruiniere viele. „Alle zehn Jahre macht die Hälfte aller Milchhöfe in Deutschland dicht.“ 60.000 sind es heute noch.
Lorenz hat seinen Hof – er hat ihn von den Schwiegereltern im nordhessischen Vöhl übernommen – vor zehn Jahren auf Bio umgestellt. Biobauern bekommen immerhin 47 Cent pro Liter Milch, haben aber auch mehr Aufwand. „Der Preis rechnet sich auch bei Bio noch nicht richtig“, sagt Lorenz. Die Umfrage jedoch zeige, dass Kunden bereit seien, mehr zu zahlen, solange sie wüssten, dass beide glücklicher werden – die Bauern und die Kühe. Vielen behage nicht, wie bisher mit Tieren meist umgegangen werde.
Tiere artgerechter halten
Kühe sind auf Höchstleistung getrimmt. Eine konventionelle Kuh gibt am Tag nicht nur ein paar Liter für ihr Kälbchen, sondern gut 30 Liter für den Milchmarkt. Sie lebt selten länger als viereinhalb Jahre. Dabei können Kühe natürlicherweise leicht 20 Jahre werden. Das schaffen sie auch auf dem Biohof nicht. Dort leben sie im Schnitt sechs Jahre und geben 20 Liter Milch am Tag. Die neue Marke ist „eine Chance, einen guten Preis zu bekommen und die Tiere noch artgerechter zu halten“, meint Lorenz.
Er sagt – nein, er schwärmt –, es rieche im Stall nun nach dem frischem Gras, mit dem er seine Kühe jetzt vor allem füttert. Und wenn es doch mal Kraftfutter gibt, darf es nur aus der Region kommen. Viel öfter als vorher sind die Tiere aber ohnehin draußen. Mindestens vier Monate im Jahr laufen die Kühe von Lorenz nun vor seinem Hof auf der Weide. Er muss neue Regeln einhalten. Wie auch seine zwölf Kollegen, die ab jetzt ebenfalls die „Du bist hier der Chef!“-Milch liefern. Einige von ihnen mussten ihre Ställe umbauen, um den Tieren noch mehr Platz zu geben als zuvor. Lorenz nicht. Er hat erst vor zwei Jahren einen neuen Stall gebaut. Sie alle aber eint: Sie achten jetzt noch mehr auf das Wohl der Tiere und auf Regionalität, als sie es als Biobauern ohnehin schon gemacht haben – dem Kundenwunsch entsprechend.
Verkauf zunächst in 400 Filialen
Die Idee kommt ursprünglich aus Frankreich. Unter der Marke: „C’est qui le patron?!“ werden dort bereits gut 35 Produkte etwa bei der großen Supermarktkette Carrefour verkauft. Neben Milch gehören Äpfel und Butter dazu. In Deutschland hat die Idee Nicolas Barthelmé, ein gebürtiger Franzose, von seinem Wohnort aus, dem hessischen Eltville, angeschoben. Er hat die Onlineumfrage ins Leben gerufen. Er hat immer und immer wieder Gespräche geführt, um Mitstreiter zu finden. Und er gewann nicht nur Lorenz.
Bauer Lorenz ist Vorsitzender der Milcherzeugergemeinschaft Hessen, ein Zusammenschluss von Biobauern, die in eigener Regie auch die einzige Biomolkerei Hessens führen. Der Name: Upländer Bauernmolkerei. Sie holt die Milch von Lorenz und den anderen ab, verarbeitet sie, bevor Rewe sie dann in die Regale stellt. Die Handelskette startet mit dem Verkauf zunächst in 400 Filialen vor allem in Hessen, aber auch in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz. Rewe-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog hält die Milch für „eine wirkliche Bereicherung für den Markt“. Später soll sie auch andernorts angeboten werden.
Und wenn die Kunden trotz allem nicht zugreifen? Lorenz rechnet damit nicht. Im Moment sieht es so aus, als würden schon in vier Wochen auch andere Handelsketten die Milch verkaufen, dann zum Beispiel auch in Baden-Württemberg. Die Verhandlungen laufen. Eine fettarme Milch und eine H-Milch-Variante sollen folgen. Und Lorenz, dessen ältester seiner vier Söhne gerade eine Ausbildung zum Landwirt macht, sagt: „Wir haben bereits Bauern auf der Warteliste, die mitmachen wollen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Deutsche und das syrische Regime
In der Tiefe