Größte Studie zu Milchvieh-Gesundheit: Viele Kühe sind krank
In Ostdeutschland lahmen 40 Prozent der Tiere, so die bislang umfangreichste Studie dieser Art. Viele sind zu mager. Die Bauern merken das nicht.
Für die deutschlandweit repräsentative und vom Bundesagrarministerium finanzierte Studie besuchten die TiermedizinerInnen etwa drei Jahre lang regelmäßig 765 Milchkuhbetriebe – in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (Region Nord), Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt (Region Ost) sowie in Bayern (Region Süd). Untersucht wurden insgesamt mehr als 186.000 Rinder, auch wurden Tierhalter interviewt.
Im Norden und Süden waren der Untersuchung zufolge 23 Prozent der Tiere lahm. „Über alle drei Studienregionen hinweg wurden hohe Lahmheitsprävalenzen ermittelt“, urteilen die ForscherInnen. Am besten schnitten Betriebe ab, die alle Tiere auf der Weide hielten. In Ostdeutschland etwa trat das Problem im Mittel nur bei 6 Prozent dieser Höfe auf – aber in 41 Prozent der dortigen Betriebe mit Boxenlaufstall. Der weiche Weideboden schone die Klauen, so die WissenschaftlerInnen: „Wir empfehlen, Weidegang in die Milchkuhhaltung zu integrieren.“
Dass der Ökolandbau das bereits tut, könnte eine Ursache für seine besseren Zahlen sein. Als möglichen weiteren Grund nennt die Studie, dass Ökobauern lahme Tiere eher erkennen würden. Biobetriebe werden von Ökokontrolleuren mindestens einmal pro Jahr inspiziert, während viele konventionelle Höfe jahrelang gar nicht von den Veterinärämtern besucht werden.
Zu wenig Futter, aber viel Antibiotika
Im Osten erkennt die Hälfte der Landwirte lediglich knapp ein Viertel ihrer lahmen Tiere. Im Norden betrug die Trefferquote weniger als 42 Prozent der erkrankten Kühe. Das liege einerseits „an mangelhafter Aufzeichnung von Lahmheitsfällen, zum anderen aber vielmehr an der mangelhaften Fähigkeit, lahme Tiere als solche zu erkennen“. Das koste auch viel Zeit, die Landwirte unter hohem Preisdruck nicht haben. Ökobauern hätten im Schnitt „eine eher mit der Realität übereinstimmende Selbsteinschätzung“ als konventionelle.
Massive Probleme existieren auch bei der Fütterung: Im Süden gaben laut Studie 39 Prozent der Betriebe ihren Kühen in der Zeit, in der sie wenig bis gar nicht gemolken wurden, Futter mit einem geringeren Energiegehalt als empfohlen.
In dieser Periode des „Trockenstellens“ behandelten viele Landwirte die Kühe jedoch großzügig mit Antibiotika. Die massenhafte Gabe trägt aber dazu bei, dass Krankheitserreger gegen diese Präparate resistent werden. In Deutschland sterben laut einer von der EU finanzierten Studie jährlich Tausende Menschen, weil sie sich mit derartigen Keimen infiziert haben. Im Süden aber behandelten nur 24 Prozent der Betriebe alle Trockensteller mit Antibiotika.
Bullenkälber werden offenbar schlechter gehalten. „Es fiel auf, dass die männlichen Kälber häufiger krank waren als die weiblichen Artgenossen und dass männliche Kälber von Milchrassen insgesamt schlechter versorgt wurden als weibliche“, so die Studie.
„Ein einheitlicher Einfluss der Betriebsgröße war nicht erkennbar, das heißt: Man kann nicht sagen, dass die Tiergesundheit in kleineren Betrieben besser ist als in größeren“, teilte die Studienleiterin Martina Hoedemaker der taz mit.
Bauernverband gesteht Probleme ein
Der Deutsche Bauernverband räumte ein, dass die Studie auf teils bekannten Verbesserungsbedarf hinweise. Die Untersuchung zeige aber auch, dass viele Betriebe ein hohes Tierwohlniveau erreichten, schrieb Generalsekretär Bernhard Krüsken der taz. Er forderte eine Herkunfts- und Haltungskennzeichnung von Milchprodukten. Dafür müssten die VerbraucherInnen mehr bezahlen, damit die Bauern mehr für das Tierwohl tun könnten.
Deutschlands größter Ökobauernverband, Bioland, freute sich, dass laut der Studie Biohöfe bei haltungsbedingten Leiden konventionellen überlegen seien.
Der Tierschutzbund verlangte, „eine verbindliche Verordnung zur Haltung von Rindern“. Bisher gebe es keine Vorschriften speziell für diese Art. Die Tierrechtsorganisation Peta sieht die Studie als Argument für eine vegane Lebensweise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!