Inge Hannemann über Linke-Parteiaustritt: „Da muss man hart bleiben“
Inge Hannemann, Deutschlands bekannteste Hartz-IV-Kritikerin, ist aus der Linken ausgetreten. Sie sieht die Hinwendung zu Rot-Rot-Grün kritisch.
taz: Frau Hannemann, Sie sind wohl Deutschlands bekannteste Hartz-IV-Kritikerin. Nun verlassen Sie die Anti-Hartz-IV-Partei Die Linke. Was ist denn da geschehen?
Inge Hannemann: Es gab nicht den einen ausschlaggebenden Moment für die Entscheidung. Das hat sich insbesondere in den letzten Monaten für mich gezeigt. Mein Eindruck ist, dass die Partei das Thema nicht mehr wirklich anfassen will. Man hat eine Reihe von Themen wie Anti-Rassismus-Arbeit, Gender oder Mieten groß gespielt. Die sind natürlich ebenso wichtig und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Nur Hartz IV und Menschen, die aus vielen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen, spielen leider keine zentrale Rolle mehr. Und ich denke, das ist auch so gewollt.
Aber gerade mit der nun scheidenden Parteichefin Katja Kipping hatte das Thema ja eine sehr prominente Fürsprecherin?
Ja, Katja Kipping nehme ich explizit aus. Sie ist auf Bundesebene aber auch die Einzige, die noch regelmäßig in die Plattenbauten geht und sich noch vor Jobcenter stellt. Sie ist sehr engagiert. Aber auch sie kommt mit dem Thema in der zerstrittenen Partei nicht wirklich durch, das Thema spielt sich an der Spitze unter „ferner liefen“ ab.
Hat der absehbare Wechsel an der Spitze eine Rolle gespielt?
Dass Katja Kipping nicht mehr antritt, war abzusehen und hat mich nicht überrascht. Was durchaus eine Rolle gespielt hat, war das Interview ihrer möglichen Nachfolgerin Susanne Hennig-Wellsow im Spiegel. Da musste ich mich erst einmal hinsetzen. Wie sie da unverhohlene Avancen an den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz macht, das fand ich ziemlich heftig. Aus dem gesamten Interview las ich heraus: unbedingt Rot-Rot-Grün – um jeden Preis.
Allerdings formuliert sie dort auch Haltelinien.
52, hat früher selbst im Jobcenter gearbeitet. Sie ist eine der prominentesten Hartz-IV-Kritikerinnen Deutschlands.
Aber nicht bei Hartz IV. Gegenüber dem Freitag hat sie bereits gezeigt, wie wenig wichtig ihr das Thema ist. Da erklärte sie, dass die thüringische Landesregierung die Abschaffung von Hartz IV nicht einmal versprechen will. Das ist falsch und zeigt für mich, dass das Thema keine große Bedeutung mehr hat. Denn man kann sehr wohl auch auf Landesebene, beispielsweise über Bundesratsinitiativen, darauf hinwirken.
Rot-Rot-Grün wäre für Sie keine Option?
Wenn es um jeden Preis ist, nicht. Generell sehe ich, dass dort, wo die Linke regiert oder sich auf Regierungen vorbereitet, ausgerechnet das Thema Grundsicherung ganz schnell hintenrunterfällt. Bevor man da in einen Streit mit der SPD reingeht, einigt man sich lieber auf schlechte Kompromisse – und das auf Kosten der Erwerbslosen.
Zum Beispiel in Bremen, wo man nur noch das Ende der Sanktionen für Haushalte mit Kindern in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben hat. Statt ein klares Nein wird nur noch das Ziel verfolgt, Sanktionen bei Hartz IV zu senken. Ich sehe auch die Abwendung von dem Thema auf Bundesebene dadurch bedingt, dass man sich in Richtung Rot-Rot-Grün positionieren will.
Die Abschaffung von Hartz IV muss für die Linke eine rote Linie sein?
Die Betroffenen leben jetzt seit fast 16 Jahren damit. Die können nicht mehr. Bei Hartz IV muss man als Linke hart bleiben.
Ist das nicht unrealistisch?
Klar, Kompromisse gehören dazu. Aber es geht hier um eine zentrale Frage, wie man linke, emanzipatorische Politik macht – da können wir nicht unsere Werte verkaufen. Konkret heißt das: Regelsatz hoch, Sanktionen abschaffen und wirkliche Alternativen zum jetzigen System der Jobcenter. Die Linke muss den Menschen an sich in den Blick nehmen und darf seinen Wert nicht davon abhängig machen, ob er Erwerbsarbeit nachgeht. Das macht schon die SPD.
Wie erleben Erwerbslose die Linke?
Die haben inzwischen oft große Skepsis entwickelt. Das sieht man zum Beispiel auch daran, wie viel weniger Erwerbslose die Linke noch wählen im Vergleich zu noch vor einigen Jahren. Das ist ein Alarmsignal für die Linke. Aber es hat mich schon überrascht, wie viel Zustimmung ich bekommen habe, als ich meinen Austritt öffentlich gemacht habe. Mit dem Ausmaß habe ich nicht gerechnet.
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