Identitätspolitik und ihre Webfehler: Aushalten und mitnehmen

Kritik der linken Identitätspolitik und ihrer Konstruktionsfehler: Warum sie auf ihre klassische Weise keinen Erfolg haben kann.

Grell bunte in Regenbogenfarben gekleidet, Röckchen aus Tüll und schwarze Shirts "gegen rechts"

Geht es in der Trans-Frage um Identitäten? Foto: Karsten Thielker

Die so gut gemeinte linke Identitätspolitik hat mehrere Webfehler, in die sie wie in einer selbst gestellten Falle verstrickt ist. Da ist die „Essenzialisierung“ von Merkmalen wie Hautfarbe oder sexuelle Identität. Ein weiterer Webfehler ist die Überhöhung des Opferstatus ganzer Gruppen nach vor allem äußeren Merkmalen mit der seltsamen Unterfütterung, dass sich eigentlich alle (abgesehen von Die alten weißen Männer) am Ende als Opfer selbst bezeichnen können und diese Selbstcharakterisierungen auch nicht infrage gestellt werden dürfen.

Das führt zu einem entgrenzten Opferbegriff, der nur funktionieren kann, wenn zugleich das Konzept der „Mikroaggressionen“ akzeptiert wird, wonach alles Aggression ist, was von den sich selbst so definierten Opfern subjektiv so erlebt wird, und auch dies darf nicht angezweifelt werden.

Eine dritte Fehlkonstruktion ist der verschämte De-facto-Rückgriff auf ähnliche Argumentationsmuster, wie sie rechte Identitätspolitik-Fans pflegen, nämlich eine Einteilung der Welt nach Hautfarben, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Da wird der weiße Hartz-IV-Empfänger unentrinnbar zum Vertreter der white supremacy, sein Status als Ausgebeuteter kapitalistischer Strukturen ist in dieser Logik nicht mehr denkbar. Die klassische linke Orientierung an der Klassenfrage, an der Matrix sozialer Gerechtigkeit geht verloren.

Völlig absurd wird dieses Denken, wenn Schwarze untereinander colorism betreiben, also schauen, wer besonders schwarz ist – und der weißen Mehrheitsgesellschaft vorwerfen, man treibe nicht selbst diesen rassistischen Spaltpilz in die Persons-of-Color-Community, sondern die „Weißen“ oktroyierten ihnen dieses Denken, wie etwa bei einer gescheiterten Preisverleihung eines feministischen Onlinemagazins an PoC zu beobachten war.

„Rechts“ ist eine fast beliebige Chiffre geworden

Klassisch in der oft linken Identitätspolitik-Argumentation ist auch die fast hysterische Angst vor einem derzeit in Deutschland keinesfalls zu erkennenden „Rechtsruck“, der immer wieder an die Wand gemalt werden muss, um die angebliche Dringlichkeit linker Identitätspolitik besser legitimieren zu können. Und mit „Rechten“ darf man auf keinen Fall reden – wobei auch hier der Begriff „rechts“ völlig entgrenzt wird …

Dass er das ist, dass „rechts“ eine fast beliebige Chiffre geworden ist, hat mit einem entscheidenden Merkmal der sogenannten Identitätspolitik zu tun: einer aus der in der Tat rechten Staatsphilosophie um Carl Schmitt entliehenen Fähigkeit zum Freund-Feind-Denken. Wer nicht für die woke, die intersektional politisierte Sache ist, ist feindlich. Ist rassistisch, homophob, schlimmer noch: transphob, misogyn oder sonst wie feindlich und, eben, dies vor allem „rechts“.

Bei dieser Markierung als „rechts“, die Assoziationen mit Nazi und Ähnlichem aufzurufen beliebt, gehen alle in der Tat möglichen Fragen zur Sache unter. Es kommt diesen Milieus eben, um es mit einer beliebten Pathosformel von Carolin Emcke zu sagen, auf Sagbarkeit an – der Effekt, der sich aus der geißelnden Vokabel „rechts“ ergibt, ist Stummheit und Unsagbarkeit.

Dabei geht es um Fragen wie: Ist das Kopftuch bei muslimischen Frauen ein Zeichen von Emanzipation oder religiöser Indoktrination?; Geht es in der „Trans“-Frage um Identitäten – oder verbirgt sich hinter der Mode um „Trans“ nicht ein tief antihomosexuelles Begehren?; Ist es wirklich „rechts“, die Idee von Sternchen und Doppelpunkten in der deutschen Sprache für fragwürdig zu halten?;

Blicke hinter die Haustüren des Multikulturalismus

Ist es schon rechts, einen Begriff wie „antimuslimischer Rassismus“ abzulehnen, weil es Rassismus gegen Menschen geben kann, aber nicht gegen eine Religion?; überhaupt: Ist es statthaft, Menschen, die aus muslimisch geprägten Staaten zu uns flüchten, als religiös und also muslimisch zu verstehen?; ist es „rechts“, den Islam für Bullshit zu halten, wie prinzipiell jede andere Religion auch?

Ist es, anders gesagt, nicht ein Skandal, dass Menschen wie Seyran Ateş, Hamed Abdel-Samad und Necla Kelek zu Rechten oder Rechtspopulisten, insinuierend: AfD-nah und Erika-Steinbach-haft, gemacht werden? In Wahrheit sind sie allesamt Bürgerrechtler*innen, die aus linker bis liberalkonservativer Perspektive Blicke hinter die Haustüren des Multikulturalismus warfen – und auch Unappetitliches fanden.

In Wokistan ist „rechts“ eine fast beliebige Chiffre geworden

Das ist nur ein markantes Beispiel für das, was Identitätspolitisches konkret bedeutet: eine ewig dauerpädagogische Belehrung in Do’s und Don’ts der identitätslinken Agenda.

Worauf es aber ankäme, wäre eine politische und kulturelle Perspektive universalistischen Zuschnitts. Mit einem Appell an das Gemeinsame, an das, womit einer wie Olaf Scholz und die SPD ihren Wahlkampf bestritten und gerade unter migrantischen Deutschen auch spektakulär gewannen: mit dem Wort „Respekt“.

Identitätspolitik können echte Rechte besser

Eingewoben in diese vage Formel ist auch die Fähigkeit, mal fünfe gerade sein zu lassen, nicht jedes Wort, das ei­ne*r äußert, mit dem Zuchtstock zu geißeln – sondern auch in der öffentlichen Kommunikation Maß und Mitte walten zu lassen, großzügig zu sein, verständig und damit erst ernsthaft lernfähig.

Rassistisches, umrissen mit Worten wie „Hanau“ oder „NSU“, gehört verfolgt, viel stärker, drakonischer, sodass Nazis wirklich auf keine gemütliche Minute in ihren Leben mehr rechnen können. Alles andere gehört ins gesellschaftliche Gemurmel, ob da gewisse Messages nun trans- oder homophob, antimuslimisch oder sonst wie -istisch rüberkommen. Identitätspolitik können echte Rechte besser.

Vielleicht wäre es sogar besser, Ereignisse, bei denen Rechtes nachbarschaftlich wird, wie aktuell bei der Buchmesse, nicht boykottieren zu wollen – sondern mit dem Eigenen zu fluten, die Rechten damit zu konfrontieren, dass sie vor allem eines nicht sind: mehrheitlich. Ganz im Gegenteil. Wir plädieren für Beherztheit, Siegeswillen und eine gewisse Robustheit – nicht für das Bekenntnis zur ideologischen Sauberkeit.

Jan Feddersen und Philipp Gessler, taz-Redakteur und taz-Autor, haben aktuell das Buch „Kampf der Identitäten. Für eine Rückbesinnung auf linke Ideale“ (Chr. Links Verlag, Berlin) geschrieben.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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