ICE soll „Anne Frank“ heißen: Geht es noch geschmackloser?
Die Bahn will einen ICE „Anne Frank“ nennen. Sie vermarktet das Mädchen, mit dessen Deportation die Reichsbahn gutes Geld verdiente.
Die Lokomotiven und Triebwagen der Deutschen Bahn tragen Nummern. Das ist für die Verwaltung und technische Instandsetzung praktisch, aber für den Kunden ziemlich unpersönlich.
Die Bahn gibt ihren Flaggschiffen – den ICE-Triebzügen – deshalb gerne Namen. Das waren bisher Städtebezeichnungen. Ob es einen messbaren PR-Effekt gibt, wenn man mit „Cottbus“ von Köln nach Bielefeld reist, mag dahingestellt sein; Cottbus gefällt es vermutlich. Nun aber sind die Bahn-Werber auf die Idee verfallen, der neuesten ICE-Generation vom Typ 4, die die Baureihennummer 412 trägt, die Namen von Persönlichkeiten der Geschichte zu verleihen. Kann man machen.
Bei der Namenswahl sollten die Reisenden mit einbezogen werden. Deshalb bat die Bahn in großflächigen Anzeigen das Publikum um Vorschläge. 19.000 davon trafen ein, denn Preise gab es auch zu gewinnen. Kundenbindung, Sie verstehen, auch wenn die letzte Entscheidung selbstverständlich beim Unternehmen lag.
Und das Ergebnis dieser letzten Entscheidung lautet nun: Die Deutsche Bahn, ein Unternehmen im 100-prozentigen Besitz des deutschen Staates, will einem dieser schönen weißen Züge den Namen „Anne Frank“ geben. Und das kann man nun wirklich gar nicht machen.
Die Reichsbahn gab der SS Rabatt
Anne Frank war ein Opfer des Rechtsvorgängers der Deutschen Bahn. Die Reichsbahn besorgte zunächst am 3. September 1944 ihre Deportation von Amsterdam, wo ihr Versteck aufgeflogen war, nach Auschwitz. An Bord waren 1.019 Passagiere. Am 28. Oktober 1944 wurde sie zusammen mit 1.308 weiteren Frauen von Auschwitz in das KZ Bergen-Belsen verschleppt. Dabei war die Bahn sehr großzügig – gegenüber SS-Chef Heinrich Himmler. Für Massentransporte mit über 400 Teilnehmern berechnete sie der SS nur den halben Regeltarif. So kostete Anne Franks doppelte Verschleppung nur zwei Reichspfennige pro Kilometer.
Es ist also so, dass sich die Bahn mit dem Namen eines im Alter von 15 Jahren ermordeten jüdischen Mädchens schmücken möchte. Eines Mädchens, das ihr Vorgänger umzubringen half. Und nicht nur das: Werbung wird bekanntlich gemacht, um den Verkauf eines Produkts zu erhöhen. Um demzufolge mehr Geld verdienen zu können. Die Bahn möchte also mit Anne Frank Geld verdienen. Vielleicht war der Massentarif 1944 doch zu niedrig?
Nein, antisemitisch ist das Verhalten der Bahn gewiss nicht zu nennen. Aber es zeugt von einer Geschmacklosigkeit, die sich nur mit Mühe unterbieten lässt. Versuchen wir es trotzdem: Möchte die Bundeswehr vielleicht ihren Übungsplatz in Bergen nach Anne Frank benennen? Das könnte der Truppe in der Öffentlichkeit doch eine viel wärmere, menschlichere Ausstrahlung bringen. Wie wäre es, wenn der Konzern Evonik-Degussa einer ihrer Chemikalien den Namen „Anne Frank“ verpassen würde? Blausäure wäre natürlich unpassend.
Massenmord als Geschäftsmodell
Oder könnte man nicht ernsthaft darüber nachdenken, ob die Firma Diehl Defense in ihre Großkalibermunition den Gruß „Dieses Geschoss wird Ihnen von Anne Frank präsentiert“ eingravieren lässt? Das wäre doch bestimmt eine Werbung, die ordentlich einschlägt.
Die Entgleisung der Bahn bei der Namensgebung eines ICE-Zugs ist ein Zeichen für die wachsende Kommerzialisierung der Schoah. Bekanntlich lässt sich mit allem Geld verdienen, was auf eine gewisse Nachfrage stößt.
Noch gibt es keine rostigen Stacheldrahtreste mit Echtheitszertifikat aus der KZ-Verwaltung zu erwerben. Aber dafür immerhin: Anne-Frank-Amulette für 8 Euro 17 Cent, ein Anhänger in Herzform mit dem Bild des ermordeten Mädchens für 98 US-Cent oder ein Roman mit Sexszenen Anne Franks für 9,99 britische Pfund. So wird der Massenmord zum Geschäftsmodell.
Übrigens hat die Bahn ihre Wahl nach erster scharfer Kritik verteidigt. Anne Frank stehe für Toleranz und für ein friedliches Miteinander verschiedener Kulturen, und das sei „in Zeiten wie diesen wichtiger denn je“, heißt es da.
Wenn es noch eines Beweises bedurfte, wie man mit einer richtigen Begründung alles falsch machen kann: Hier ist er.
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