Gutachten zum Westjordanland: IGH sieht Besatzung als illegal
Israels Siedlungen im Westjordanland sowie das damit verbundene Regime verstoßen gegen internationales Recht, erklärt der Internationale Gerichtshof.
Der IGH sollte untersuchen, welche rechtlichen Konsequenzen die seit 57 Jahren andauernde israelische Besetzung von palästinensischen Gebieten hat. Diesen Auftrag erteilte die UN-Generalversammlung im Dezember 2022 auf Antrag der palästinensischen Autonomiebehörde.
Das Gutachten, das Gerichtspräsident Nawaf Salam auszugsweise verlas, dürfte von der palästinensischen Seite als großer Erfolg gewertet werden. Zunächst stellte der IGH zahlreiche Rechtsverletzungen durch Israel fest. Dann zog er daraus weitgehende rechtliche Schlüsse, bis hin zum sofortigen Abzug der israelischen Siedler aus dem Westjordanland und Ostjerusalem. *
Israel hatte das Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen 1967 im Zuge des Sechstagekriegs besetzt, als man einem Angriff arabischer Staaten zuvorkam. Aus dem Gaza-Streifen hatte sich Israel 2005 zurückgezogen. Zwar gilt er immer noch als israelisch besetzt, so der EuGH, weil Israel zum Beispiel die Grenzen kontrolliert. Faktisch spielte Gaza (und auch der aktuelle Gaza-Krieg) im Gutachten keine Rolle.
IGH wertete Vorgehen Israels als unzulässige Annexion
Maßstab für den IGH war vor allem die 4. Genfer Konvention von 1949, die die Rechte und Pflichten eines Besatzungsstaats regelt. Dabei sei davon auszugehen, so der IGH, dass eine Besatzung nur vorübergehend und nicht dauerhaft ist. Israel aber hat schon durch die Legalisierung und Unterstützung der Siedlungen gegen Völkerrecht verstoßen. Zahl und Umfang der Siedlungen hätten auch immer mehr zugenommen. Durch Infrastruktur wie Straßen, habe Israel die Siedlungen möglichst gut ins Staatsgebiet integriert.
Israel habe die Ressourcen der palästinensichen Gebiete auch mehr ausgebeutet als es für militärische Zwecke notwendig war, so der IGH. Dagegen sei zum Beispiel der Zugang zu Wasser für die palästinensische Bevölkerung nicht ausreichend, sagte Richter Salam. Unzulässig sei auch, dass in den israelischen Siedlungen israelisches Recht gilt, obwohl im besetzten Gebiet grundsätzlich das bisherige Recht weitergelten müsse.
Auch die Verdrängung von Palästinensern verstoße gegen die 4. Genfer Konvention. Dabei gehe es nicht nur um gewaltsame Vertreibungen. Illegal sei es auch, eine Situation zu schaffen, in der Menschen keine andere Wahl haben, als ihre Heimatorte zu verlassen. Zudem habe Israel völlig versagt, die Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser zu verhindern und zu ahnden.
Der IGH wertete das gesamte Vorgehen Israels als unzulässige Annexion von zumindest Teilen der besetzten Gebiete. Eine Besatzung dürfe nicht zur Integration der besetzten Gebiete in den Besatzerstaat genutzt werden. Israel wolle die Kontrolle über die besetzten Gebiete offensichtlich unumkehrbar machen, so Richter Salam. Damit habe Israel mit Gewalt sein Staatsgebiet ausgeweitet. Dies verstoße gegen das Völkerrecht.
Glaubwürdiges Verhalten wird schwieriger
Einige Staaten hatten Israel in der mündlichen Verhandlung auch vorgeworfen, eine Situation der Apartheit errichtet zu haben, weil für israelische Siedler und Palästinenser unterschiedliches Recht gilt und die Bevölkerungsgruppen streng getrennt werden. Der IGH stellte fest, dass Israel damit gegen das Internationale Abkommen gegen Rassendiskriminierung (CERD) verstoßen hat, ließ aber offen, ob damit das Verbot der „Apartheit“ oder der „rassischen Segregation“ verletzt wurde.
Aus dieser Feststellung umfassender Illegalität zog der IGH nun mehrere weitreichende rechtliche Schlussfolgerungen. Mit 14:1 Richterstimmen entschied der IGH, dass Israel sofort alle neuen Siedlungsaktivitäten beenden und alle Siedler evakuieren muss. Mit 11:4 Richterstimmen wurde Israel aufgefordert, so schnell wie möglich die besetzten Gebiete zu verlassen. Mit 14:1 Richterstimmen wird Israel angehalten, den Palästinensern Schadensersatz für alle Rechtsbrüche zu zahlen. Hier dürfte es um gewaltige Summen gehen. Der IGH hält alle Staaten für verpflichtet, Israel nicht bei der Aufrechterhaltung der Besatzung zu helfen und zu unterstützen.
Das weitere Vorgehen müssten nun UN-Generalversammlung und UN-Sicherheitsrat klären, sagte Richter Salam zum Abschluss. Das Gutachten des IGH hat keine rechtliche Verbindlichkeit, ist aber als Gutachten zur Feststellung der Rechtslage von hohem Gewicht, insbesondere auch wegen der klaren Mehrheiten. Der deutsche IGH-Richter Georg Nolte stimmte immer mit der Mehrheit.
Israel wird das Gutachten vermutlich ignorieren. In der UN-Generalversammlung wird es dann wieder radikale, aber folgenlose Resolutionen geben. Im UN-Sicherheitsrat wird die USA zwingende Maßnahmen gegen Israel mit ihrem Veto verhindern, insbesondere falls Donald Trump als Präsident gewählt werden sollte. Für Staaten wie Deutschland, die Israell grundsätzlich unterstüzten, aber auch das Völkerrecht stärken wollen, wird es immer schwieriger, sich glaubwürdig zu verhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund