Grünen-Abgeordnete Emilia Fester: Politik der schnellen Schnitte
Emilia Fester bringt Parlamentsalltag auf Instagram und Gefühle in den Plenarsaal. Nach Shitstorms fragt sie sich: Sollte ich vorsichtiger werden?
E milia Fester lässt sich auf einen Stuhl in der Bundestagskantine sinken. „Geschafft!“ Vor ihr stehen ein Cappuccino und eine Brezel, das Erste, was sie heute isst. Es ist kurz vor 12 Uhr an einem Donnerstag Mitte März. Vor wenigen Minuten hat die Grünenpolitikerin nur ein paar Meter weiter ihre erste Rede im Bundestag gehalten. Es war ein emotionales Plädoyer für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Jetzt blinkt ihr Handy im Sekundentakt. Über 1.000 neue Follower:innen auf Twitter hat sie in den wenigen Minuten, die seit ihrer Rede vergangen sind, dazubekommen. Ständig kommen Leute zu ihr an den Tisch, um ihr zu gratulieren.
Fester nimmt die Glückwünsche lächelnd entgegen. Noch weiß sie nicht, dass sie in den nächsten Stunden und Tagen Tausende Hassnachrichten und sogar Morddrohungen erhalten wird.
Emilia Fester ist „die mit dem Superlativ“, wie der Spiegel vor Kurzem treffend schrieb. Sie ist die jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag, mittlerweile ist sie 24. Das bringt Aufmerksamkeit. Etwa 80 Interviews habe sie in den ersten Wochen nach der Wahl gegeben. Sie durfte zum Festakt am 9. November, der an die Ausrufung der Weimarer Republik, die Reichspogromnacht und den Mauerfall erinnern sollte, im Schloss Bellevue eine Rede halten. Auch diesen Text gäbe es ohne diesen Superlativ wahrscheinlich nicht.
Lauter, präsenter, emotionaler
Dabei ist Festers Alter gar nicht so besonders. Es gab Bundestagsdebütant:innen, die noch jünger waren. Anna Lührmann beispielsweise, heute Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt, war 19, als sie 2002 erstmals ins Parlament gewählt wurde. Jens Spahn war 22 bei seiner ersten Wahl. Das wirklich Spannende an Emilia Fester ist ihr Selbstverständnis als Politikerin, das sie in den ersten neun Monaten als Parlamentarierin entwickelt hat.
Fester ist – auch im Gegensatz zu anderen jungen Politiker:innen – lauter, präsenter und vor allem emotionaler. Sie ist nahbar und gleichzeitig gut darin, sich zu inszenieren, vor allem in den sozialen Medien. Das bringt Fester Aufmerksamkeit für ihre politischen Themen. Es lässt sie in den ersten neun Monaten als Bundestagsabgeordnete aber auch an ihre eigenen Grenzen stoßen.
Anfang November 2021, eine Woche nach der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestags, sitzt Emilia Fester in einem Café in der Nähe des Reichstags. In ihrem Büro kann man sich noch nicht treffen, weil sie noch keines hat. Neue Abgeordnete kommen in den ersten Wochen nach der Wahl bei dienstälteren unter – so lange, bis alle ausscheidenden Abgeordneten ihre Büros geräumt haben.
Fester erzählt, was sie vorhat, was sie erreichen will im Parlament. Ihr Fachgebiet ist die Kinder- und Jugendpolitik. Sie setzt sich für die Kindergrundsicherung ein, für Kindergrundrechte im Grundgesetz, für das Absenken des Wahlalters – am liebsten auf 0 Jahre, für die bessere Ausstattung der Freiwilligendienste, für Partizipationsmöglichkeiten junger Menschen. „Ich will die Perspektive von jungen Menschen in den Bundestag einbringen, weil die bislang fehlte“, sagt sie und schließt damit explizit ihre eigene Perspektive ein.
Fester sieht sich nicht nur als Abgeordnete im Wortsinn, als Anwältin für Jugendliche und deren Interessen, sondern als junger Mensch im Bundestag, der die gleichen Interessen hat und diese energisch vertritt. Am deutlichsten wird dieses Verständnis an jenem Donnerstag, dem 17. März, bei ihrer ersten Rede im Bundestag.
Fester hat sich intensiv auf diese Rede vorbereitet, mit ihren Mitarbeiter:innen an der Wortwahl gefeilt, Ton und Tempo der Rede geübt. Um 10.59 Uhr tritt Fester an das Rednerpult. Haltung, Gestik, Mimik – alles wirkt aufeinander abgestimmt, fast choreografiert, auch wenn sich ihre Stimme an der ein oder anderen Stelle überschlägt.
Inhaltlich argumentiert sie nicht mit Zahlen und Fakten zur Wirkung der Impfung, sondern mit ihrer eigenen Erfahrung während der Pandemie. Und mit ihrer Wut. Sie sagt: „Als die Pandemie begonnen hatte, war ich 21 Jahre alt.“ Kurze Pause. „Wissen Sie noch, was Sie gemacht haben, als Sie 21 waren?“ Es folgt eine Aufzählung, auf was sie alles aus Solidarität verzichtet habe. Dann sagt sie, nein, schreit fast: „Aber ich fordere jetzt den Payback. Wir haben nämlich was gefunden, das uns schützen kann. Deshalb will ich meine Freiheit zurück. Ich will sie zurück!“
Ihre Art zu reden, fällt auf im Plenarsaal. Vizekanzler Robert Habeck, der einen Großteil der Debatte gebeugt über seine Akten verbringt, hört auf einmal zu. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel guckt im „Kürschner“, dem Handbuch über Bundestagsabgeordnete, nach, wer sie da von vorne anschreit. Ein Ausschnitt der Rede schafft es in die „Tagesschau“. Fester ist zufrieden. „Ich glaube, das hat Wirkung gezeigt“, sagt sie, als sie etwas erschöpft in der Bundestagskantine vor ihrer Brezel sitzt, die Körperspannung von vor wenigen Minuten ist verflogen.
Festers Politikstil hat einen großen Vorteil. Da sie Jugendpolitik macht, hat sie gewissermaßen einen Wissensvorsprung. Fester ist selbst jung, sie muss sich nicht ständig Gefühle und Interessen anderer aneignen, weil es ihre eigenen sind. Sie muss dadurch auch nicht zwanghaft Authentizität nach außen herstellen. Als sie im Bundestag einmal auf junge Auszubildende trifft, die eine Tour durch den Bundestag machen und mehrere Politiker:innen treffen, sagt Fester: „Und was fragt ihr die so?“ Die, nicht uns. Die eigene Jugend ist für eine Jugendpolitikerin eine nicht zu unterschätzende Legitimation.
Festers Politikstil hat aber auch einen großen Nachteil. Sie steht stets mit ihrer ganzen Person im Mittelpunkt. Wer seine Persönlichkeit derart mit seinen politischen Inhalten verknüpft, wie Fester es tut, macht sich angreifbar. In einem gemeinsamen Interview mit Wolfgang Schäuble ermahnte sie der ehemalige Bundestagspräsident kürzlich, dass sie nicht nur Abgeordnete für junge Menschen sein könne. Fester wird auch mehr als andere zur Zielscheibe für Hass und Hetze, denen junge Frauen in der Politik ohnehin schon regelmäßig ausgesetzt sind.
Ihr erster Shitstorm folgt auf die Impfpflicht-Rede. Fester hatte in der Rede behauptet, dass auch sie auf Auslandsreisen verzichtet hat, dabei belegt ihr Instagram-Account, dass sie in Dänemark war. Für einige ein willkommener Anlass, Fester mit Beleidigungen zu überschütten. Auch die Art ihrer Rede – laut, fordernd, auf sich bezogen – triggert viele. Es folgen Hasskommentare, sogar Morddrohungen. Auf Twitter trendet der misogyne Hashtag #Göre.
„Das war wild“, beschreibt Emilia Fester einige Wochen später die Tage nach ihrer Rede. Es habe sie und ihre Mitarbeiter:innen Stunden gekostet, die Kommentare und E-Mails zu sichten. Rund 80 Beleidigungen und Bedrohungen habe sie der Organisation Hate Aid, einer Beratungsstelle für Betroffene von Hass und Hetze im Internet, geschickt, die einen Teil davon anzeigt. Nur irgendwann müsse man sich auch selbst schützen, sagt Fester: Nicht alles lesen, nicht alles angucken. Wenn es zu viel wird, löscht ihr Pressesprecher schon mal die Twitter-App von ihrem Handy. „Es wäre gelogen, zu behaupten, dass das nichts in einem auslöst“, sagt Fester.
Sie wohnt mit zwei anderen jungen Grünen-Politikerinnen, Saskia Weishaupt und Marlene Schönberger, in einer WG. Die hätten ihr in dieser schwierigen Zeit Halt gegeben. „Wir haben darüber geredet, aber sie haben mich auch abgelenkt“, sagt Fester. Dass sie mit anderen Politikerinnen zusammengezogen ist, sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Sie könne sich nicht vorstellen, das Politikerin-Dasein an der Haustür abzugeben.
Trotz des Shitstorms sagt Fester: „Das Vorhaben, auf das Thema Jugend in der Pandemie aufmerksam zu machen, ist mir geglückt.“ Zu dem Zeitpunkt geht sie davon aus, dass zumindest eine Impfpflicht ab 50 Jahren eingeführt wird. Am Ende wird auch diese Impfpflicht im Bundestag kläglich scheitern.
Gleichzeitig beklagt Fester, dass sie in den zahlreichen Interviews, die sie nach ihrer ersten Rede gegeben hat, vor allem über Hate Speech geredet hat, anstatt über die Impfpflicht. Auch das ist ein Nachteil ihres emotionalen Politikstils: Es kann passieren, dass sie die Kontrolle über die Themensetzung verliert. Ändern will Fester daran vorerst dennoch nichts. „Ich will keine Politik machen ohne Ecken und Kanten“, sagt sie.
Auf Instagram veröffentlicht sie einige Wochen später ein Reel, mehrere schnell hintereinander geschnittene Fotos, auf denen sie abwechselnd böse, traurig, kämpferisch, fröhlich, erschrocken und nachdenklich guckt. „Emotionen und Politik schließen sich nicht aus!“, schreibt sie dazu. „Das ist total normal und sollte auch nicht versteckt werden.“
Bei Fester hat man den Eindruck: Emotionen und Politik bedingen sich sogar. Wenn man sie nach ihren ersten politischen Erfahrungen fragt, erzählt sie nicht von ihrem Parteieintritt oder einem Wahlkampf, sondern von einer Schulfreundin, die ADHS hatte und es deshalb schwer bei den Lehrer:innen gehabt hätte. „Das hat mich aufgeregt“, sagt Fester. Später wird sie Schulsprecherin. Auch dass sie nicht wählen konnte, obwohl sie sich schon für Politik interessierte und mitentscheiden wollte, habe sie sauer gemacht. Ein Grund, warum sie heute für die Senkung des Wahlalters eintritt.
Nach dem Abitur geht Fester nach Hamburg, um als Regieassistentin zu arbeiten. „Das war naheliegend“, sagt Fester. Sie kommt aus einer Theater-Familie, ihre Eltern sind in der freien Theaterszene aktiv, haben sie früh zu Auftritten mitgenommen. In Hamburg bewirbt sie sich auch auf ein Studium an der Hochschule für Musik und Theater. Für die Bewerbung schreibt sie den Entwurf eines Stücks, in dem Jugendliche vieler Rechte beraubt sind, keine Stimme mehr haben. Es ist eine Dystopie, eine Anklage. Angenommen wird Fester nicht, aber die Hochschule habe sich bei ihr gemeldet, um über die Kritik, die auch an die Theaterszene gerichtet war, zu sprechen.
Heute erinnern Fester die Abläufe im Bundestag zum Teil an ihre Zeit am Theater, sagt sie. Der Gong am Anfang einer Plenarsitzung, die Reden, bei denen man aufgrund der Parteizugehörigkeit im Prinzip schon wisse, was gesagt werde, das rituelle Beklatschen der eigenen Leute. „Das hat sicher zum Teil seine Berechtigung, aber junge Menschen fühlen sich davon kaum angesprochen“, sagt Fester. In den institutionalisierten Bundestagsdebatten und -beratungen kann Fester ihre politischen Emotionen kaum ausleben. Und wenn sie es tut, wie bei ihrer ersten Rede, fällt es sofort auf.
In diese Rede habe sie auch ein, zwei Sätze für Social Media reingeschrieben. Vor allem die Plattform Instagram ist wichtig für Festers politische Kommunikation. Rund 20.000 Menschen folgen ihr dort. So viele wie den FDP-Bundesministern Volker Wissing oder Marco Buschmann zusammen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Fester nutzt die Plattform einerseits, um ihre Politik zu vermitteln. In einer langen Story laufen zum Song von „Mama Said“ von Lukas Graham mehrere Bilder und Videos über den Bildschirm: Fester wie sie einen Preis des Netzwerks Kinderrechte bekommt, ein Zitat von Annalena Baerbock, die Kinderrechte im Grundgesetz fordert, aber vor allem die Info, dass 20 Prozent der Kinder in Deutschland in Armut leben, woraus Fester ihre Forderung nach einer Kindergrundsicherung ableitet. Ähnliche Posts gibt es zu Themen wie Freiwilligendienste, Gewerkschaften oder Feminismus. Fester versucht auch, die etwas staubigen Strukturen im Bundestag zu erklären und beantwortet Fragen wie: Was sind Obleute? Wie arbeitet ein Ausschuss? Was ist ein Hammelsprung?
Andererseits ist Instagram vor allem jene Emotionsmaschine, die für Festers Politik so wichtig ist. Und Fester weiß sie zu bedienen.
Zähneputzen und Redenüben als Video
Nach der Ernennung des Kabinetts postet sie bei Instagram ein Freudentanzvideo im Bundestag. Sie zeigt ihren Alltag innerhalb und außerhalb des Parlaments: Vom Weckerklingeln übers Zähneputzen, Frühstücken, Longboardfahren bis hin zu Teamsitzungen, Redenüben, Wahlkampf- und Medienauftritten. Die Videos sind schnell geschnitten und mit Popmusik hinterlegt. „Ich will zeigen, dass da Menschen im Bundestag sitzen, die sich auch mal freuen oder denen es auch mal schlecht geht.“ Wenn das Parlament die Theaterbühne ist, nimmt einen Fester auch in den Backstagebereich mit.
Auch das ist eine Form der Inszenierung. Die Nähe, die Fester herstellen will, mag echt sein, aber sie erfüllt immer auch einen Zweck. Sie ist Teil ihrer politischen Kommunikation. „Wir gestalten den Instagram-Feed natürlich so, dass er auch gut aussieht.“ Abwechslung, die richtig Mischung. Fester achtet peinlichst darauf, dass bestimmte private Dinge, teils auch banale, nicht auf Instagram und nicht in der Zeitung landen.
Ein Porträt im Spiegel über Fester ist Ausgangspunkt des zweiten Shitstorms, der über sie fegte. Im Text wird Fester mit folgendem Satz zitiert: „Letztendlich opfere ich auch meine eigene Jugend für diesen Job auf.“ Im Grunde eine Nullaussage. Denn natürlich erlebt eine 24-Jährige, die zum Teil 60 Stunden und mehr in der Woche arbeitet und ständig in der Öffentlichkeit steht, keine Durchschnittsjugend – auch wenn Fester dafür viel Geld bekommt.
Im Text selbst geht der Satz fast unter, aber die Onlineredaktion des Magazins setzt das Zitat in die Überschrift. Fester wird Arroganz und Dekadenz vorgeworfen. Wieder erhält sie Hassbotschaften und Morddrohungen. „Ich hatte mich gerade so ein bisschen aus der Situation freigeschwommen, dass, egal wo ich auftrete, egal was ich sage, erst einmal etwas Negatives kommt“, sagt Fester. Ein andere Aussage im Spiegel-Text wird dagegen kaum beachtet. Fester sagt, dass sie kein Fan des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr sei, und ist damit auf Linie der Grünen Jugend, deren Mitglied sie ist.
Dennoch stimmt Fester, wie auch alle anderen Mitglieder der Grünen Jugend im Bundestag, am Ende dafür. Für die Begründung muss sich Fester etwas verrenken. Als Parlamentarierin sei es ihre Aufgabe, eine Parlamentsarmee auch ordentlich auszustatten, schreibt sie in einer Erklärung. Ein noch wichtigerer Grund dürfte allerdings gewesen sein: die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, die die Verhandlungen zum Sondervermögen geführt hat, nicht zu beschädigen.
An einem Donnerstag, anderthalb Wochen vor der parlamentarischen Sommerpause, sitzt Fester zusammen mit ihrem Pressesprecher in einem Linienbus Richtung Hamburger Süden. Sie besucht auf Einladung einen Kindergarten, der einen „Tag der kleinen Forscher*innen“ veranstaltet. Fester sieht müde und abgekämpft aus.
Auf ihrem Handy liest sie einen Artikel des Nachrichtenportals watson, der an dem Tag erschienen ist. Der Politikberater Bendix Hügelmann analysiert Festers Kommunikation und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass bei Abgeordneten die vollen Arbeitstage, das ständige In-der-Öffentlichkeit-Stehen zu Überlastungen bis hin zum Burnout führen kann. Jüngst musste sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, SPD, eine Auszeit nehmen, weil er mental erschöpft gewesen sei.
Frage an Fester: Wie überarbeitet ist sie? Sie winkt ab. Geht schon. Erst später erzählt ihr Pressesprecher, dass vor wenigen Tagen eine Hamburger Grünen-Politikerin bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Fester kannte sie gut, sei immer noch schockiert und traurig über den Verlust.
Im Kindergarten lässt sich Emilia Fester die Einrichtung zeigen, fragt nach Konzepten und Nachhaltigkeit, verbuddelt mit den Kindern Saatbomben im Garten und malt Regenwürmer. Sie scheint zu entspannen im Umgang mit den Kindern, die Trägheit der Busfahrt ist weg. Einige Kinder sind schüchtern, aber Fester gleicht das aus. Es wird gesungen und getanzt.
Auf der Rückfahrt in die Hamburger Innenstadt planen sie und ihr Pressesprecher die Termine für die kommenden Tage. Am Samstag wird Fester eine Rede auf der Abifeier ihres alten Gymnasiums in Hildesheim halten. Am Sonntag ist sie auf einer Debattenveranstaltung einer Zeitung.
Sind sie und ihr Team vorsichtiger geworden mit dem, was sie preisgeben? Muss man sich vielleicht sogar eine Art Panzer aus gesunder Eitelkeit zulegen, wie es viele Politiker:innen tun, um dem medialen Druck standzuhalten? Emilia Fester antwortet mit einer Anekdote. „Das Verrückte ist, dass die Arroganz zum Teil von außen an einen herangetragen wird.“
Sätze werden als arrogant ausgelegt
Als sie letztens bei einem Empfang der Hamburger Bürgerschaft bei jungen Politiker:innen gestanden habe, die über Parkraumbewirtschaftung sprachen, habe sie gesagt: „Oh, ich hatte vergessen, wie toll Kommunalpolitik ist.“ Das sei ihr als Arroganz ausgelegt worden – obwohl sie einfach nur habe ausdrücken wollen, wie nah Kommunalpolitik am Menschen sei.
Hallen die Shitstorms also doch nach? „Mit Sicherheit passiert da was unterbewusst, aber ich will mich nicht aktiv dafür entscheiden“, sagt Fester. „Dass ist ja das, was die Hater wollen. Die wollen, dass ich vorsichtiger werde.“
Sie sagt, sie müsse lernen, sich von Hass abzugrenzen. Wenn man mehrere Morddrohungen bekomme, wolle man sich irgendwann nicht mehr mit den Kommentaren der anderen beschäftigen. „Nur dadurch kommt vielleicht auch ernstzunehmende Kritik zu wenig bei mir an.“
Wie viel Vorsicht ist richtig? Wie viel Wagnis nötig? Fester balanciert.
Auf der Rückfahrt von der Kita unterhalten sie und ihr Pressesprecher sich auch über geplante Interviewtermine. Fester will zusammen mit ihren zwei Mitbewohnerinnen auf dem WG-Balkon mit einer Journalistin sprechen.
Ihr Pressesprecher wäre gern dabei, sagt er. Die letzten Texte hätten ja so hohe Wellen geschlagen. Aber Fester will es lieber ohne ihn wagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland