Gesetzliche Rente: Finanzierbarkeit ist politisch, nicht neutral
Die Rente wird derzeit schlechtgeredet, ihre Vorteile werden bewusst ignoriert. Verloren geht dabei die Tatsache: Rentenpolitik ist auch Verteilungspolitik.

E s ist unstrittig: Die Rente steht vor vielen Herausforderungen – neben dem demografischen Wandel sind es die nicht absehbaren Folgen der kriselnden Wirtschaft für den Arbeitsmarkt und die Unsicherheit über die Spielräume für Sozialpolitik im Bundeshaushalt. Allerdings sieht sich die Rentenpolitik einer noch größeren Herausforderung gegenübergestellt. Keine Frage: Mit Blick auf Leistungen und deren Finanzierung wird auch künftig viel zu diskutieren sein.
Aber das ist rentenpolitische Normalität. Die Warnung vor einem Anstieg der Zahl der Rentner*innen und der dadurch verursachten Kosten ist seit Jahrzehnten zu hören. Dasselbe gilt für die Sorge um die Folgen eines Beitragssatzanstiegs („Lohnnebenkosten“), die Diskussion um die systematisch richtige Finanzierung der Leistungen und auch für die Frage, wie unterschiedliche Lebensläufe im Alter gut abgesichert werden können.
Die größte Herausforderung für die Rente aber liegt in der Debatte um die Rentenversicherung selbst. Interessenvertreter*innen, aber auch Medien und teils auch Wissenschaftler*innen stellen permanent die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung in Frage oder stellen gar ihren Kollaps in Aussicht. Letzteres ist schlicht falsch. Im Umlagesystem folgen aus steigenden Ausgaben bei stabilen Leistungen höhere Beiträge und/oder Bundeszuschüsse. Das System ist damit selbststabilisierend.
Ebenso falsch ist die Aussage, dass aus dem Bundeshaushalt eine „Lücke“ gestopft wird oder die Rentenversicherung „gerettet“ werden müsse: Die Bundeszuschüsse folgen politisch vereinbarten Regeln im Sozialgesetzbuch und Motiven. Das sind vor allem Zahlungen, um den Beitragssatz-Anstieg zu verringern und um nicht beitragsgedeckte Leistungen gegenzufinanzieren.
Und die Finanzierbarkeit? Finanzierbarkeit ist ein politischer Begriff. Was finanzierbar ist und was nicht, ist das Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und Interessenkonflikte darüber, was geleistet werden soll, und darüber, welche anderen Ausgaben getätigt werden sollen. Der Blick ins Ausland zeigt: Höhere Beiträge können durchaus konsensfähig sein, wenn die Leistung stimmt.
Die aktuelle Debatte tendiert dazu, die Rentenversicherung schlechtzureden – auch das ist nichts Neues. Es wird suggeriert, dass gerade Jüngere kaum eine Chance haben, eine Gegenleistung für ihre Beiträge zu erhalten – dass sich die Beitragszahlung nicht lohnt. Die „Lösung“ ist dann: weitere Leistungseinschränkungen und private Vorsorge (wodurch die Kosten nur verschoben werden).
Dabei zeigen Studien, dass sich die Beitragszahlung durchaus rechnet und sich die „Rendite“ der Rentenversicherung nicht verstecken muss. Diese Rendite wäre auch bei einem geringeren Beitragssatz und geringeren Leistungen tendenziell dieselbe. Nur gilt: Wenn wenig eingezahlt wird, kann auch wenig ausgezahlt werden, Rendite hin oder her.
Was in der so geführten Debatte verloren geht, ist erstens die Einsicht, dass Rentenpolitik auch Verteilungspolitik ist: Wer verliert bei welchen Maßnahmen, wer gewinnt? Und diese Frage berührt nicht nur „die Jungen“ und „die Alten“. Es geht hier auch um arm und reich, um Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen, um öffentliche Vorsorge oder private Anbieter von Kapitalmarktprodukten. Verloren geht zweitens, dass eine öffentliche Rentenversicherung zusätzliche Vorteile hat: Sie ist zunächst einmal demokratisch gesteuert und beruht auf wechselseitiger, solidarischer Absicherung.
Der Vorteil dieser Eigenschaft wird deutlich, wenn dem die individuelle Vorsorge gegenübergestellt wird. Denn wenn jede*r für sich allein spart, dann ist keine gemeinsame Verantwortung mehr für Lebensläufe gegeben, die aufgrund von Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt oder individuellen Schicksalsschlägen vom Ideal abweichen. Es kann auch nicht nachgesteuert werden, wenn die Eigenvorsorge misslingt – wenn das falsche Produkt ausgewählt oder nicht genug gespart wurde. Dass demokratische Rentenpolitik immer für alle die richtige Entscheidung trifft, ist damit nicht gesagt. Aber die Politik hat Spielräume zur Schwerpunktsetzung und Möglichkeiten der Korrektur, die die private Vorsorge nicht kennt.

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Die umlagefinanzierte Rentenversicherung ist erstaunlich flexibel. Der Blick in die Vergangenheit wie auch ins Ausland zeigt: Rentenversicherungen können unterschiedlichen Anforderungen und Gerechtigkeitsvorstellungen immer wieder angepasst werden.
Die Rentenversicherung ist schließlich stabil und verlässlich. Die gesetzlichen Regeln stellen sicher, dass Monat für Monat Renten ausgezahlt werden können, auch wenn es am Arbeitsmarkt oder an den Kapitalmärkten mal nicht läuft. Und die Politik hat immer wieder gezeigt: Herausforderungen werden angegangen und Verteilungskonflikte werden geführt und befriedet.
Mit dieser Darstellung der Vorzüge einer öffentlichen Rentenversicherung soll nicht gesagt werden, dass nicht weiter gestritten werden soll und die Rentenversicherung nicht kritisiert werden kann. Aber es sollte doch vor allem darüber gestritten werden, was die Ziele der Rentenpolitik sein sollen und wie sie erreicht werden: Was ist eine faire Rente nach einer langen Berufskarriere? Welchen Stellenwert soll Armutsvermeidung in der Rentenversicherung haben? Wann darf es mit der Arbeit genug sein und der wohlverdiente Ruhestand genossen werden?
Die Vorzüge öffentlicher Sozialpolitik auszublenden, „Finanzierbarkeit“ nicht als Verteilungsfrage zu identifizieren oder gar in Unkenntnis der Faktenlage zu debattieren, hilft überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil: Es trägt dazu bei, dass Vertrauen verloren geht, Handlungsspielräume verengt und Debatten verhindert werden. Die größte Herausforderung für die Rentenversicherung besteht aktuell darin, dass über Rentenpolitik richtig diskutiert werden muss.
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