Generaldebatte im Bundestag: Angriff per Versöhnungsangebot
Mit vereinter Kraft will der Kanzler Deutschland wirtschaftlich wieder auf Kurs bringen. Damit nahm er dem Oppositionsführer den Wind aus den Segeln.
W ar das die beste Rede, die Olaf Scholz jemals gehalten hat? Möglicherweise. Es war auf jeden Fall die richtige Rede am richtigen Ort, im richtigen Tonfall. Souverän parierte der Kanzler die erwartbaren Attacken der Opposition, indem er auf diese im Detail gar nicht allzu sehr einging.
Stattdessen zauberte er flott einen großen Gegenentwurf aus der Tasche und lud den verdutzten Oppositionsführer Friedrich Merz, der sich vor den Rängen des Bundestags gerade erst in Rage geredet hatte, großmütig dazu ein, einem „Deutschland-Pakt“ für mehr Tempo beizutreten, um die anstehenden Aufgaben zu meistern. Zum Wohle des Landes, natürlich. Scholz beschönigte nicht, was derzeit im Argen liegt.
Er machte dafür zwar mal wieder allein die Union verantwortlich – sie habe Bahn und Bundeswehr kaputt gespart, die Digitalisierung, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Anwerbung von Fachkräften verschlafen, ganz so, als hätte die SPD in den vergangenen Jahren nicht mitregiert. Auch gegenüber der AfD, die er als „Abbruchkommando für unser Land“ bezeichnete, zeigte sich Scholz angriffslustig, und die Augenklappe unterstrich den Eindruck der Entschiedenheit.
Doch dann schlug er wieder gewohnt bedächtige Töne an. Mit dem aktuellen Zustand des Landes könne niemand zufrieden sein, gab Scholz zu. Deshalb bräuchte es jetzt eine „nationale Kraftanstrengung“, um die Infrastruktur zügig zu modernisieren. Sein Aufruf zum Schulterschluss und zur Kooperation richtete sich explizit auch an das eigene Kabinett: Dieses habe „zu viel gestritten“, räumte der Kanzler ein.
Trotz der Zumutungen, die der Haushalt in Form von teilweise empfindlichen Kürzungen bereithält, schaffte es Scholz damit, so etwas wie Zuversicht und Optimismus, ja gar Aufbruchstimmung zu verbreiten. Dieser Haushalt stehe für die „Rückkehr zur Normalität“ nach „drei außergewöhnlichen Krisenjahren“, beruhigte er. Und Merz nahm er den Wind aus den Segeln, indem er dem Motto des ehemaligen Bundespräsidenten und SPD-Urgesteins Johannes Rau beherzigte: Versöhnen statt spalten.
Dabei wirkte er wie ein gutmütiger Vater, der großzügig über das rüpelhafte Verhalten eines trotzigen Kindes hinwegsieht. Merz muss sich dazu nun verhalten. Gibt er den Staatsmann, der sich kooperativ zeigt? Oder will er weiter in der Trotzecke verharren? So oder so, Scholz hat ihn unter Zugzwang gesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind