Geiselbefreiung im Gazastreifen: „Unser Überleben hatte Priorität“
Unser Autor lebt im Gazastreifen – genau in dem Viertel, aus dem die israelische Armee vor einer Woche Geiseln befreite. Ein persönlicher Bericht.

G egen 11 Uhr vormittags kehrte ich nach Hause zurück. Ich hatte das Grab eines Freundes besucht, der bei einem Bombenangriff auf eine UNRWA-Schule getötet worden war. Plötzlich hörte ich heftige Explosionen. Sie waren viel lauter als der gelegentliche Beschuss, den wir im Flüchtlingslager Nuseirat hören. Bald hörte ich auch Feuer von Maschinengewehren. Etwas stimmte nicht.
Am Himmel sah ich mehrere Apache-Hubschrauber und zahlreiche Drohnen. Ein Mädchen rannte durch das Lager, weinte und rief, dass Panzer die Straße Salah al-Din erreicht hätten. Die Szene war chaotisch und weckte in mir Erinnerungen an die Flucht aus meinem Haus in Chan Junis, als die israelische Armee in unser Viertel einmarschierte.
Ich eilte zurück nach Hause und sagte meiner Mutter, dass wir sofort evakuieren müssten. Sie fragte nach unseren Habseligkeiten, aber ich bestand darauf, dass unser Überleben jetzt Priorität hat. Inmitten des Bombardements liefen mein fünfjähriger Bruder, meine Mutter und ich die Straße entlang – ohne zu wissen, wohin. Wir schlossen uns einfach anderen an, die Richtung Süden liefen. Was wir sahen, erinnerte an einen Kriegsfilm.
Wir waren zu Fuß, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, und ich trug schweres Gepäck. Nach einiger Zeit hielten wir an, um eine Pause zu machen. Erschöpft hörten wir die Leute sagen, es würde sich um eine begrenzte Aktion handeln. Wir fanden einen Platz zum Ausruhen am Straßenrand.
Nach etwa zwei Stunden beruhigte sich die Lage. Erst dann erfuhren wir, dass die israelischen Streitkräfte erfolgreich Geiseln aus unserem Lager befreit hatten und die Operation beendet war. Doch zurück blieb die tragische Zahl von mindestens 274 Märtyrern und Hunderten verletzten Zivilisten.
Mohammed A. Abu Saif (24) lebt aktuell im Flüchtlingslager Nuseirat im mittleren Gazastreifen. Er floh im Januar aus Chan Junis, wo er für die das Telekommunikationsunternehmen Jawwal arbeitete.
In der Reihe „Gaza-Tagebuch“ berichten unsere Autor*innen von ihrem Leben im Gazastreifen. Alle Beiträge der Reihe finden Sie hier.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?