Gaza-Proteste bei Demokraten-Parteitag: Willkommene Konsensstörung
Die US-Demokraten wollen das Thema Nahost auf ihrem Parteitag totschweigen. Doch der propalästinensische Protest in Chicago baut wichtigen Druck auf.
D ie Demokraten wollten zum Beginn ihres Parteitags ein Bild der Geschlossenheit präsentieren: Joe Biden bekommt seinen großen Auftritt, reicht das Zepter an Kamala Harris weiter, und alle haben sich lieb. Selbst die Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez ließ sich in Chicago für diese warme Gruppendusche einspannen und hielt eine Rede, in der sie Donald Trump angriff und Harris als Kämpferin für die Arbeiter:innen US-Amerikas pries.
Bei einem gewichtigen Thema, das AOC sonst hoch hängt, sparte sie am Montag jedoch mit Kritik: der Unterstützung der Biden-Regierung für Israels Krieg in Gaza.
Konsensstörung betrieben dagegen tausende Demonstranten, die vor dem United Center in Chicago einen Wandel der US-Politik forderten. Erst vergangene Woche hat das Außenministerium weitere Waffenverkäufe an Israel in Höhe von 20 Milliarden Dollar genehmigt. Und das, während die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung Gaza in Schutt und Asche legt und Hunger und Seuchen die Zivilbevölkerung plagen.
Angesichts dieser Kriegsverbrechen tun die Demonstranten das richtige: Sie sollten erst schweigen, wenn es die Waffen in Gaza tun, aller demokratischen Einheitsgelüste zum Trotz.
Demokraten drohen mit Stimmenthaltung
Die Palästinasolidarischen haben zwei Hauptanliegen: einen Waffenstillstand (fordert auch Harris) sowie ein Ende der Waffenverkäufe an Israel (fordert Harris nicht). Schon während der Vorwahlen im Frühjahr erreichte es die „uncommitted“-Bewegung, dass über 700.000 Wähler:innen sich aus Protest gegen die Linie der Regierung nicht auf einen Kandidaten festlegten. Öffentlich drohen Linke, sich bei der Wahl Anfang November ihrer Stimme zu enthalten.
Als Harris bei einem Auftritt in Michigan Protest entgegenwehte, reagierte sie patzig: „Wisst ihr was? Wenn ihr wollt, dass Donald Trump gewinnt, sagt das. Ansonsten spreche ich.“ In der Tat wäre Trump für die Palästinenser wohl schlechter als Harris. Aber nur mit dem größeren Übel drohen, darf nicht ausreichen.
US-Außenminister Antony Blinken, der derzeit den Nahen Osten bereist, steht deshalb unter Druck, bis zum Abschluss des Parteitags am Donnerstag Fortschritte bei den Waffenstillstandsgesprächen zu liefern.
In der Geopolitik würde man mit Blick auf die „uncommitted“-Bewegung wohl von „strategischer Ambiguität“ sprechen: Die USA etwa legen sich in der Taiwan-Frage nicht fest, ob sie im Falle einer chinesischen Invasion militärisch eingreifen würden, was die Führung in Peking vor einem Angriff abschrecken soll.
Wenn Teile der demokratischen Basis jetzt mit einer Stimmenthaltung kokettieren, könnte das die Partei dazu bringen, mehr Druck auf Israel auszuüben, endlich den Bombenhagel einzustellen. Den verbleibenden israelischen Geiseln und den Palästinensern in Gaza ist es zu wünschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?