„Friedensdemonstration“ am 3. Oktober: Die Friedensbewegung ist tot
Die Demo am Einheitstag in Berlin hat erneut gezeigt: Diejenigen, die dort nach Frieden riefen, meinen etwas ganz anderes – die Kapitulation der Ukraine.
![Ralf Stegner, SPD MdB, als Redner auf der Demonstration "Nie wieder Krieg" in Berlin Ralf Stegner, SPD MdB, als Redner auf der Demonstration "Nie wieder Krieg" in Berlin](https://taz.de/picture/7279318/14/36702686-1.jpeg)
M ehr als zweieinhalb Jahre tobt der Krieg in der Ukraine. Ein Ende des Wütens der russischen Soldateska ist nicht in Sicht. Bei vielen Menschen ist die Angst groß vor einer Eskalation über die Grenzen des überfallenen Landes hinaus. Gleichzeitig findet eine innere Mobilmachung in der Bundesrepublik statt. Wer sich nicht der schlichten Logik des Militärischen ergeben will und zu verstärkten diplomatischen Bemühungen auffordert, steht schnell in der Gefahr, als weltfremder Träumer verspottet zu werden. Das angesichts der deutschen Geschichte geradezu obszöne Gerede von der „Kriegstüchtigkeit“, die wieder erlangt werden müsse, ist nur schwer erträglich. Es wäre also höchste Zeit für eine große Friedensbewegung. Doch in Deutschland gibt es keine Friedensbewegung mehr. Nach längerem Siechtum ist sie am 3. Oktober in Berlin gestorben.
Das ist eine harte, eine bittere Feststellung. Aber wer sich die wütenden Pfiffe und Buhrufe während der Rede des SPD-Politikers Ralf Stegner vor Ort anhören musste, kann kaum zu einem anderen Befund kommen. Selbstverständlich handelt es sich bei dem Überfall auf die Ukraine um „einen russischen Angriffskrieg, der jeden Tag Tod und Zerstörung“ bringt. Wer schon die Aussprache einer solch unbestreitbaren Tatsache für unerträglich hält, der demonstriert nicht für den Frieden, sondern für den Okkupanten. Putins deutscher Resterampe, die da so lautstark gepfiffen hat, geht es nicht, wie ihre Ikone Sahra Wagenknecht behauptet, um Friedens-, sondern um Kapitulationsverhandlungen. Mit einer Friedensbewegung, die diesen Namen verdient, hat das nichts mehr zu tun. Denn dazu gehört zwingend die Empathie und die Solidarität mit den Opfern kriegerischer Aggressionen.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Unter den Demonstrant:innen in Berlin waren auch viele aufrechte Friedensbewegte. Aber sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nur als Staffage gedient zu haben. Und das war absehbar. Aus gutem Grund hatte der Bundessprecher:innenkreis der traditionsreichen Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) der Demo ihre Unterstützung verweigert. An den wüsten Reaktionen auf die Rede Stegners lässt sich unschwer erkennen, warum in dem zentralen Aufruf der Organisator:innen nicht benannt worden ist, wer wen angegriffen hat.
Es war auch kein Versehen, dass sich der mehrheitlich mit dem BSW sympathisierende Kreis um den Altfriedensbewegten Reiner Braun dagegen ausgesprochen hat, die Forderungen nach einem Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine oder nach Asyl für Kriegsdienstverweiger:innen und Deserteur:innen aus Russland, Belarus sowie der Ukraine aufzunehmen. Beides sollte, ja muss jedoch zum Minimalkonsens gehören, um gemeinsam auf die Straße zu gehen.
Die alte Friedensbewegung ist tot, eine neue wäre notwendig. Immerhin gibt es noch zahlreiche Friedensbewegte sowie Organisationen wie die DFG-VK, die sich weder „kriegstüchtig“ noch zum Handlanger eines rechten Autokraten machen lassen wollen. Sie sind wertvoller denn je.
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