Freie Fahrt für Bundeswehrangehörige: Die Uniform als Fahrausweis
Seltsame Verkehrswende: Soldat*innen sollen kostenlos Bahn fahren dürfen – aber nur in Uniform. Wo bleiben die Freifahrtscheine für alle anderen?
Einen Freifahrtschein für Soldat*innen soll es geben. Die Verteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer brachte die Idee ins Gespräch. Verhandlung in der Sache würden bereits geführt, wie eine Bahnsprecherin bestätigte, und zwar konstruktiv und vertraulich. Auch die Kanzlerin signalisierte Unterstützung für den Vorschlag. Um zur Freifahrt befugt zu sein, müsste die Uniform getragen und der Dienstausweis mitgeführt werden.
Jede Maßnahme, die mehr Menschen zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel animiert, ist sicherlich begrüßenswert. Jene, die sich grade freuen wollen, dass nun sicher im nächsten Schritt auch anderen Berufsgruppen die Wertschätzung zuteilwürde, kostenlos Bahn zu fahren, bis schließlich alle in den Genuss der totalen Verkehrswende gekommen wären: Rührt euch!
Denn Kramp-Karrenbauer scheint es nicht vordringlich um die Verkehrswende zu gehen. Zweck der Maßnahme soll nämlich eine Erhöhung der Sichtbarkeit des Militärs und seiner Uniformen im bundesdeutschen Alltag sein. Außerdem gehe es bei dem Ticket darum, „Anerkennung und Dankbarkeit“ für die geleisteten Dienste zu zeigen. Für Pflege, Kindererziehung, Fleischereifachverkauf oder Kanalreinigung sind „Anerkennung und Dankbarkeit“ offenbar nicht nötig.
Wie sähe das auch aus, wenn Hinz und Kunz permanent ausweislich ihrer Zunfttrachten Nah- und Fernverkehrszüge zu einer Art rollenden Hommage an die Village People verwandeln würden? Nein, die Uniform ist da was ganz besonderes, wenn auch in wechselnden Konjunkturen. Mitte der neunziger Jahre war es Wehrdienstleistenden in diversen Kasernen in Schleswig-Holstein explizit verboten, zivile Züge in Uniform zu betreten, ganz besonders wenn sie einen Hamburger Umsteige- oder Zielbahnhof hatten. Man wollte den jungen Männern, den Feldjägern und der Polizei offenbar unnötigen Ärger ersparen. Jene Wehrdienstleistenden mit ihrem mageren Sold erhielten übrigens ein kostenloses Ticket, mit dem sie sich ausschließlich zwischen Wohn- und Dienstort bewegen konnten.
Solange sie für ihre Dienstausübung nötig sind, sollten Soldat*innen selbstverständlich auch weiterhin nicht auf den Kosten für Reisen sitzen bleiben. Der Wunsch aber nach mehr Uniformen in der Öffentlichkeit und einem gegebenenfalls erheblichen geldwerten Vorteil für die Uniformierten ist eine Verneigung vor dem Korpsgeist und der bisweilen überhöhten Wahrnehmung bestimmter Berufe.
Dabei darf man doch hoffen, dass ihre Besoldung hinreichend Mobilität im privaten Alltag der Bundeswehrangehörigen garantiert. Ihre Uniformen als Fahrscheine zu entwerten, erscheint da recht überflüssig.
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