Forscherinnen über Political Correctness: „Gender ist symbolischer Klebstoff“

Gender Studies? Sind das nicht diese politisch Korrekten? Zwei Geschlechterforscherinnen sprechen über das Image ihres Fachs und den Kampf um Deutungsmacht.

Diskussion zwischen zwei AktivistInnen

Zwei Demos treffen aufeinander – eine für und eine gegen die Demo für alle. Auf dem Schild steht: „Eure Ängste, so kleingeistig“ Foto: Markus Heine/imago

taz: Frau Motakef, Frau Cattien, was sind Gender Studies?

Jana Cattien: Sie sind Teil eines emanzipativen Projekts. Eine akademische Disziplin, die aus politischen Bewegungen erwachsen ist – und diesen immer verpflichtet bleibt.

Mona Motakef: Die Gender Studies sind ein Forschungsfeld mit vielen Disziplinen, entstanden aus der Frauenbewegung, aus queeren Protesten. Heute gibt es ganz unterschiedliche Arten, Gender Studies zu betreiben. Jana Cattien steht für eine Richtung, die vor allem Macht und Hegemonie kritisch in den Blick nimmt. Es gibt aber auch Forscher_innen, die sich nicht als so politisch verstehen. In meinem Fach, der Soziologie, geht es zum Beispiel darum, wie genau zwischen Frauen und Männern unterschieden wird und welche Ungleichheiten dadurch entstehen. Gender Studies erforschen aber nicht nur Geschlecht allein, sondern zum Beispiel in der Verschränkung mit Rassismus.

Die breite Öffentlichkeit assoziiert Gender Studies vor allem mit Binnen-I oder genderneutralen Toiletten. Was ist da schiefgelaufen?

Motakef: Das liegt daran, dass sich gerade unterschiedlichste Akteur_innen gemeinsam gegen Gender in Stellung bringen. Da ist die Rede von „Genderwahn“, von „Femokratie“ oder „Homolobby“. Diese Akteur_innen würden sich vielleicht sogar wundern, wie ähnlich sie argumentieren.

Wir sprechen von der Rechten?

25, promoviert an der School of Oriental and African Studies in London. Ihre Disziplin ist die Feministische Philosophie.

Motakef: Nicht nur. Attacken kommen auch aus der katholischen und aus den evangelikalen Kirchen. Oder von sogenannten besorgten Eltern. Die stellen sich uns als eine „Genderelite“ vor, die Frühsexualisierung oder Homosexualisierung der Gesellschaft vorantreibt. Andere wiederum sagen, man habe es übertrieben, inzwischen seien Männer im Nachteil, oder Frauen dürften keine Hausfrauen mehr werden. Gender eignet sich einfach gut als Feindbild, denn der Begriff ist fluide und schwer abzugrenzen. Man sagt auch: Gender ist ein symbolischer Klebstoff. Er bringt alle diese Akteur_innen gegen den gemeinsamen Feind zusammen. Wir würden sagen: Das ist eine Reaktion auf Prekarisierung. Es gibt immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse. Das verunsichert.

Wirklich? Je schlechter die wirtschaftliche Situation, desto schlimmer findet man Gender?

40, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität. Sie erforscht den Zusammenhang von Geschlecht und unsicherer Arbeit.

Motakef: Das habe ich nicht gesagt. Es ist eben nicht nur die wirtschaftliche Situation prekär geworden, sondern auch bestimmte Gewissheiten: was Männlichkeit ist, Weiblichkeit, Sexualität, eine gute Kindheit. Gerade rechte Gruppen versuchen deshalb, Gegenhegemonien aufzubauen. Natürlich schließen sich dem keinesfalls nur die so genannten Modernisierungsverlierer an.

Cattien: Wir müssen aufpassen, dass wir das Problem nicht auf Gender einengen. Ich finde, statt von Anti-Gender sollten wir von Anti-Political-Correctness sprechen. Am Ende geht es diesen Menschen darum, Privilegien zu erhalten – dazu gehören auch rassistische Einstellungen.

Dann reden wir doch über Political Correctness. Gerade haben zwei PC-kritische Texte den Deutschen Reporterpreis gewonnen. Die prämierten Essays sehen die Rede- und Kunstfreiheit in Gefahr: durch eine rigide Vorstellung von dem, was man sagen oder durch Kunst ausdrücken darf. Haben Sie Verständnis dafür, dass Menschen so auf antisexistische und antirassistische Bewegungen blicken?

Cattien: Von welchen Menschen sprechen Sie?

In einem der prämierten Essays aus der Zeit geht es zum Beispiel um Werke der zweier US-Künstler_innen. Die beiden hatten Gewalt gegen schwarze Menschen und Ureinwohner_innen in den USA thematisiert. Betroffene Gruppen kritisierten aber, die weißen Künstler_innen hätten sich eine Geschichte zu eigen gemacht, die nicht ihre sei. Viele Menschen finden: Es gibt hier ein legitimes Anliegen, aber in der Ausformung geht das zu weit.

Cattien: Ich hatte bei dem Text keineswegs das Gefühl, dass der Autor ein legitimes Anliegen anerkennt, sondern dass er diffamieren wollte. Er beruft sich auf aufklärerische Ideale von Kunstfreiheit – die basierten aber von Anfang an auf kolonialistischen, rassistischen und sexistischen Ausschlüssen. Es ist interessant, wie die Anti-Political-Correctness versucht, den Westen als Zentrum von Kultur und Werten zu verteidigen; „Vor 30 Jahren, bevor die People of Color und die Frauen uns alles kaputtgemacht haben, haben wir so tolle Kunst produziert.“ Ich finde diese Rhetorik problematisch.

Motakef: Ich finde, man muss die einzelnen Fälle diskutieren. Es gab ja in diesem Jahr auch die Debatte um das Gedicht an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule, das nach Ansicht der Studierenden frauenfeindlich ist. Dieses und andere Beispiele, die PC-Kritiker_innen anführen, müssen natürlich ausgehandelt werden. Es hat aber auch etwas von Scheindebatte. Auch im Fall von #metoo ist ja immer von Moralaposteln oder Tugendwächtern die Rede. Es wäre doch schön, wenn unser Problem nur darin bestünde, dass wir von Tugendwächterinnen und Tugendwächtern bestimmt würden. Das Problem ist aber ein ganz anderes, nämlich sexualisierte Gewalt und Sexismus.

Viele haben das Gefühl, dass hier etwas von oben herab verordnet wird. Akademiker_innen bestimmen, was okay ist zu sagen und was nicht. Ich nehme an, dass Sie das anders sehen…

Motakef: Naja.

Oder nicht?

Motakef: Wenn Universitäten sagen: Unsere Sprachregelung ist die und die, dann ist das durchaus eine Verordnung. Aber wer sich ärgert, man werde zum Gendern gezwungen, sollte dann auch zugeben: Was wir vorher gemacht haben, war auch Gendern. Nur eben männlich. Die Frage ist, welche Entscheidung man trifft.

Wer sollte solche Entscheidungen treffen, und wie?

Cattien: Ich bin bei Verordnungen eher skeptisch. Für mich muss es immer einen Entscheidungsprozess von unten geben, einen, der ständig in Bewegung bleibt. Interventionen von oben würgen die Debatte über Gender und Sprache eher ab.

Übertragen wir das auf die Kunst. Eine Gruppe Aktivist_innen verlangt, dass eine Künstler_in ihr Werk zerstört oder ihnen übergibt – ist das aus Ihrer Sicht ein Beispiel für einen Entscheidungsprozess von unten?

Cattien: In dem Fall ist entscheidend, dass die Künstler_in selbst die Botschaft des Protestes gegen ihr Werk wahrgenommen und für sich angenommen hat. Aus Sicht der Anti-Political-Correctness ist das alles immer gleich Zensur. Damit wird so getan, als gäbe es für den Protest gegen das Kunstwerk keine legitimen Argumente. Im Grunde ist es eine Depolitisierung von Debatten, wenn man behauptet, es ginge einzig und allein um Meinungsfreiheit oder -unfreiheit. Schließlich verhandelt man doch jedes Mal politische Inhalte.

Motakef: Es geht um Deutungsmacht. Also darum, dass bestimmte Gruppen definieren und andere Gruppen definiert werden. Letztere wollen aber für sich selbst sprechen.

Befinden wir uns also in einem Kampf um Deutungsmacht, der gerade ein bisschen egalitärer wird?

Motakef: Er macht mehr sichtbar als vorher. Er führt sogar hier und da zu rechtlicher Gleichstellung – Stichwort Ehe für Alle oder drittes Geschlecht. Es hat sich zwar noch nicht so viel verändert wie oft behauptet wird. Aber die Ungleichheiten werden sichtbarer. Sexualisierte Gewalt ist ein Beispiel dafür.

Gleichzeitig gibt es einen Backlash, ein Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland und im Ausland. Wie passt das zusammen?

Cattien: Ich sehe das ein bisschen anders. Wenn man von Backlash spricht, lässt man vieles unter den Tisch fallen: die Angriffe auf Asylbewerberheime in den 90ern, die NSU-Morde. Wir sollten keine Brüche diagnostizieren, wo eigentlich Kontinuitäten bestehen. Rassismus hat schon immer eine Rolle gespielt in Deutschland.

Und doch ist erst jetzt mit der AfD eine Partei im Bundestag, die explizit fordert, dass Gender Studies abgeschafft werden. Ist das kein Bruch?

Cattien: Dass Rassismus in deutschen Institutionen wirkmächtig ist, haben wir doch schon im Fall der NSU-Morde gesehen. Der Verfassungsschutz hat sich hier beinahe der Komplizenschaft schuldig gemacht. Ich finde es naiv so zu tun, als sei jetzt auf einmal alles viel schlimmer, weil die AfD im Bundestag ist. Was wird wann als „schlimmer“ beurteilt – und von wem? Wer nimmt Probleme wann wahr? Da geht es schon wieder um Deutungsmacht.

Dieser Kampf um Deutungsmacht – ist es möglich, den einigermaßen freundschaftlich auszufechten?

Cattien: Ich glaube, es geht nicht ohne Konflikte. Immerhin sprechen wir über das Verschieben von Machtverhältnissen. Niemand wird freiwillig und ohne Druck irgendwelche Privilegien aufgeben. Ich und viele andere sind auch bereit, diesen Konflikt zu suchen.

Motakef: Das sind eben soziale Kämpfe, die da gerade ausgetragen werden. Ich finde das für den Moment erst einmal produktiv.

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