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Forscherin über Demos gegen rechts„Das ist kein kurzer Empörungsmoment“

Die Massendemonstrationen gegen rechts werden bleiben, meint Protestforscherin Lisa Bogerts. Wichtig sei aber, auch im ländlichen Raum zu mobilisieren.

Der „Aufstand der Anständigen“ am 2. Februar 2025 in Berlin Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Marie Frank
Interview von Marie Frank

taz: Am Wochenende haben in Berlin und anderen Städten wieder Hunderttausende gegen rechts demonstriert. Wie entstehen solche Massendemonstrationen?

Lisa Bogerts: In der Protestforschung gibt es verschiedene Erklärungsmodelle dafür, wie so große Proteste erfolgreich mobilisiert werden. Die Menschen müssen ja nicht nur ein Problem sehen, sie müssen auch glauben, dass Protest das richtige Mittel ist, um zur Lösung dieses Problems beizutragen. Und Sie müssen glauben, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, um dafür auf die Straße zu gehen.

taz: Und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Bogerts: Die Wahlen spielen natürlich eine Rolle. Ein anderer Erklärungsfaktor ist das, was man einen moralischen Schock nennt. Also, dass ein bestimmtes Framing eines Problems als besonders empörend empfunden wird. Das war letztes Jahr das Geheimtreffen in Potsdam und dieses Mal der Versuch der CDU, ihren Antrag mithilfe der AfD durchzubringen und das Abstimmungsverhalten im Bundestag. Das stellt in der öffentlichen Wahrnehmung einen großen Tabubruch dar.

Bild: privat
Im Interview: 

Lisa Bogerts ist Politikwissenschaftlerin in Berlin und Leiterin des Forschungsprojekts „Ohne Demokratie ist alles nichts. Teilnehmende, Motive und Effekte der Proteste gegen Rechtsextremismus im Juni 2024“ des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.

taz: In Berlin waren es laut Polizei 160.000 Demonstrant*innen, laut Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen 250.000. Wie aussagekräftig sind Teil­neh­me­r*in­nen­zah­len überhaupt?

Bogerts: Man kann Teilnehmerzahlen bei so großen Demos nicht zählen, sondern nur schätzen. Da ist also viel Raum für Ungenauigkeiten. Die Polizei schätzt im Vergleich zu unabhängigen Forschungszahlen die Teilnehmer geringer und die Veranstalter höher. Hier kann man zur Orientierung den Mittelwert nehmen.

taz: Warum ist es in Zeiten von KI nicht möglich, exakte Zahlen zu bestimmen?

Bogerts: Es gibt auch bildbasierte Methoden, die, unterstützt von KI, die Zahl ermitteln. Das ist aber wegen des Risikos, dass solche Aufnahmen auch zur Überwachung oder gar Strafverfolgung eingesetzt werden, umstritten.

taz: Was können Massenproteste überhaupt bewirken?

Bogerts: Der Erfolg von Protest wird öffentlich sehr streng eingeschätzt. Es wird geschaut: Haben die Proteste die Politik konkret verändert? In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass die Demonstrierenden letztes Jahr gar nicht die Absicht hatten, Wäh­le­r von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien umzustimmen oder die Politik zum Handeln zu bewegen. Es ging darum, öffentlich ein Signal zu senden: Wir sind die Mehrheit, die Zivilgesellschaft ist wachsam. Und wir wollen Menschen zur Wahl motivieren, die traditionell nicht wählen gehen.

taz: Und so ist es jetzt auch wieder?

Bogerts: Ja. Die CDU steht unter Druck, sich zu rechtfertigen.

taz: Also sind die Proteste ein Erfolg?

Bogerts: Ja. Man mag sich nicht ausdenken, was ohne diese Proteste wäre. Vielleicht wären die Umfragewerte für rechtsextreme Parteien noch besser.

taz: Wie geht es jetzt weiter? War das nur ein kurzer Empörungsmoment?

Bogerts: Ein kurzer Empörungsmoment war es nicht. Wir sprechen in der Protestforschung von Wellen. Es gibt natürlich schon lange eine Bewegung gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Aber spätestens seit Anfang letzten Jahres kann man von der ersten Welle dieser ganz gezielten prodemokratischen Proteste reden. Im Sommer hatten wir die zweite Welle im Rahmen der Europa- und Kommunalwahlen. Und jetzt haben wir eine dritte Welle.

taz: Haben die Proteste eine neue Qualität?

Bogerts: Ja. Hier sind neue Bündnisse entstanden mit Akteuren, die sich vorher so in der Form nicht zusammengetan haben: Große Wirtschaftsunternehmen, Medienhäuser, sehr viele öffentliche Persönlichkeiten, auch aus dem konservativen und bürgerlichen Spektrum. Das ist keine rein linke Bewegung, die hier auf die Straße geht. Und man kann davon ausgehen, dass, falls es bei den Wahlen zu einem Erstarken der extremen Rechten kommt, es diese Bewegung auch weiter geben wird, um diese unter Druck zu setzen.

taz: Spielen Städte wie Berlin hier eine besondere Rolle?

Bogerts: Berlin ist das politische Zentrum. Demos am Bundestag oder dem Konrad Adenauer Haus machen natürlich einen anderen Eindruck auf die Entscheidungsträger*innen, als wenn es irgendwo anders ist. Gleichzeitig muss auch abseits von urbanen Zentren wie Berlin, Hamburg oder Köln mobilisiert werden. Hier gibt es traditionell eher progressivere und weniger konservative oder gar rechtspopulistische Wählerschaften. Es ist sehr wichtig, auch in ländlichen Gebieten zu mobilisieren, in kleineren Städten und insbesondere dort, wo demokratiefeindliche Akteure ein Klima verbreiten, das es viel schwieriger macht, für die Zivilgesellschaft öffentlich Gesicht zu zeigen.

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4 Kommentare

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  • „Man mag sich nicht ausdenken, was ohne diese Proteste wäre. Vielleicht wären die Umfragewerte für rechtsextreme Parteien noch besser.“

    So kann man sich natürlich schönreden, dass der „Tabubruch im Bundestag“ keine messbaren Auswirkungen auf die Umfragen hatte und die AfD ihren Abstand zu der SPD und den Grünen stetig ausbaut. Diese Proteste bewirken gar nichts, weil sie sich gegen von einer deutlichen Mehrheit unterstützte Forderungen richten.

  • Noch wichtiger als im ländlichem Raum zu demonstrieren, ist es den Bürgern dort die Wahlprogramme der Parteien verständlich zu machen. Nur so können auch Bürger im ländlichem Raum die direkten Auswirkungen, ihrer Wahlentscheidung, nachvollziehen.



    Zum Beispiel, wer keine Rentenanpassung möchte, sondern lieber eine Absenkung des Rentenniveau bevorzugt, sollte die AfD wählen. Wer nicht für den Mindestlohn ist und nicht für Gewerkschaften, die für mehr soziale Gerechtigkeit kämpft, z. B. faire Löhne, faire Arbeitszeiten, ausreichend Urlaub, faire Renten - der sollte auch unbedingt die AfD wählen.



    Wer für mehr soziales Gefälle in unserer Gesellschaft ist - sollte unbedingt die...

  • Mal neutral gefragt, was taugen die Darlegungen einer Wissenschaftlerin, die ihren moralisch-politischen Standpunkt als gesetzt erachtet und von oben herab innerhalb ihrer Scheuklappen doziert? Ob 100.000 oder 250.000. Mir schien das eine sehr undiverse Gruppe und man tut ihr sicher nicht unrecht, sie als gut situiert, akademisch, gesichert Deutsch, in netten, unprekären Wohnverhältnissen lebend, und wohl weitestgehend durch Gelder öffentlicher Kassen bezahlt als Angestellte, Beamte, Schüler, Studenten und/oder durch staatliche Transferleistungen gestützt. Es gibt in Berlin ganze Kieze, Straßen, da fehlt nur noch ein Zaun zum Zeichen, dass es hier keinen Wohnraum für Zuwanderer gibt. Keine der Genossenschaften mit riesigem Bestand dient den Bezirksämtern Wohnungen für unbegleitete männliche Migranten an. Im Traum denkt man nicht daran, die deutsche Unterschicht bei der Integration von Ausländern zu unterstützen und seine Kinder schickt KEIN Gerechter auf eine Brennpunktschule!

  • Eine sehr optimistische Einschätzung von den Protesten und vielleicht trübt die eigene Hoffnung da die Sicht. Andere Protestforscher weisen nämlich darauf hin, dass öffentliche Empörung, die sich in spontanen Proteste ausrückt, meisten gar nichts bewirkt. Es kann kurzfristig zu einer Verschiebung im öffebtlichen Diskurs kommen, wobei die Proteste aber in unterschiedlicher Weise instrumentalisiert werden. Damit Proteste etwas bewirken, brauchen sie Resonanz und Präsenz in den Institutionen durch z.B. Lobbyismus oder in Parteien, wie z.B. die Bauern. Die neuen (sozialen) Kommunikationsmedien machen es deutlich einfacher, spontane Massenproteste zu organisieren. Hier kommt aber vor allem die diffuse Empörung zum tragen, als das daraus eine nachhaltige politische (Gegen-)Bewegung folgt. Das zeigen u.a. der Arabische Frühling und Fridays for Future. Die Demokratisierung Nordafrikas lässt ebenso zu wünschen übrig, wie Fortschritte bei der Klimaschutzpolitik. In Nordafrika wurden die Proteste gewaltsam unterdrückt und die Demonstrationen von Fridays for Future sind fester Bestandteil großstädtischer Eventkalender: Mittags Protest, abends Club, Wochenende chillen.