Folgen des Koalitionsausschusses: Auf zehn Spuren durch Frankfurt
Die Ampel-Koalition hat den beschleunigten Ausbau einiger Autobahnen beschlossen. Und die Grünen fragen sich, ob sie das noch irgendwie stoppen können.
Die Umsetzung könnte jetzt Fahrt aufnehmen – nachdem in dieser Woche in Berlin der Koalitionsausschuss beschlossen hat, Planungsverfahren nicht nur für Schienen und Windräder, sondern auch für Autobahnen zu verkürzen. Der Turbo gilt für den Ausbau von Autobahnen an Stellen, an denen sich der Verkehr oft staut oder wo er in Zukunft zunehmen könnte. Im Ergebnispapier der Koalitionäre heißt es dazu technisch, „dass die Bundesregierung für eine eng begrenzte Zahl von besonders wichtigen Projekten und Teilprojekten zur Engpassbeseitigung das überragende öffentliche Interesse festschreiben wird.“ Das Bundesverkehrsministerium listet 144 solcher Abschnitte auf.
Viele Grüne hat dieser Beschluss geschockt. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte die Liste mit 144 Projekten schon beim vorletzten Koalitionsausschuss im Januar vorgelegt. Damals kam er damit noch nicht durch. Unter Grünen gab es die Hoffnung, ihn jetzt mit Hilfe der SPD runterhandeln zu können. Geklappt hat es nicht. „Damit ist eine Verkehrspolitik zementiert, die nach wie vor auf Straßenbau und Flächenpolitik setzt statt auf eine klimaachtsame Mobilitätspolitik“, sagt die Grünen-Abgeordnete Susanne Menge, die im Bundestag für Fernstraßen zuständig ist.
Nur eine Einschränkung haben die 36-stündigen Verhandlungen im Koalitionsausschuss erbracht: Bevor der Bund den Turbo tatsächlich zündet, fragt er die Bundesländer. „Im Einvernehmen mit dem jeweils betroffenen Land“ soll die Planungsbeschleunigung für einzelne Abschnitte festgeschrieben werden, heißt es im Ergebnispapier. Positiv ausdrückt: Im Sinne des Klimas könnte die Liste noch schrumpfen.
Negativer ausgedrückt: Die Verantwortung für das heikle Thema wird hin- und hergeschoben – was Grüne in den Bundesländern in neue Nöte bringt. Konnten sie sich nach Landtagswahlen mit potentiellen Koalitionspartnern nicht auf einen gemeinsamen Kurs beim Straßenbau einigen, schrieben sie bisher oft in die Koalitionsverträge: Rechtlich sind wir nicht zuständig. Das Thema liegt beim Bund.
Zurück an die Länder
Als in Hessen vor wenigen Jahren der grüne Landesverkehrsminister Tarek Al-Wazir im Auftrag des Bundes die Räumung des Dannenröder Forsts für einen Autobahnbau durchsetzte, verteidigte er sich ebenfalls mit Verweis auf die Rechtslage. Der Bund habe das Projekt beschlossen, die Gerichte den Weg freigemacht. „Ich war immer gegen dieses Projekt“, sagte er. Aber: „Ein Minister kann und darf sich nicht aussuchen, welches Gesetz er umsetzt.“
Jetzt, als Teil der Ampel, schieben die Bundes-Grünen die Verantwortung zurück an ihre Parteifreund*innen in den Ländern. Am Dienstag, kurz nach Ende des Koalitionsausschusses, erklärten sie ihnen in einer Videoschalte das Ergebnis. Euphorie über das neue Mitspracherecht machte sich unter den Teilnehmer*innen nicht breit – zumal bei einigen bald Wahlkämpfe anstehen. Wie eben in Hessen, wo im Herbst gewählt wird und Al-Wazir Ministerpräsident werden möchte.
In der Landeshauptstadt Wiesbaden hat sich die politische Konkurrenz schnell auf das Thema gestürzt. Ihnen bietet der Ampelkompromiss Munition für den Wahlkampf. „29 Autobahnprojekte in Hessen können schnell umgesetzt werden, weil sie überragendes öffentliches Interesse haben, dem darf sich die schwarz-grüne Landesregierung nicht verwehren“, sagt FDP-Spitzenkandidat Stefan Nass. Dass auch die CDU die Liste nicht zusammenstreichen will, ist ebenfalls kein Geheimnis.
Dilemma im Wahlkampf
Und so werden bald die Grünen Farbe bekennen müssen – was ihnen sichtbar schwer fällt. Bei der Räumung des Dannenröder Forst hatten Klimaaktivist*innen Al-Wazir einst auf Bannern mit dem brasilianischen Despoten Bolsonaro verglichen, der im Amazonas Urwälder abholzen ließ. „Bolsonaro in Brasilien – in Hessen Al-Wazir“ stand da.
Eine weitere Entfremdung der Partei von der Umwelt- und Klimabewegung käme im Wahlkampf ungelegen. Ohnehin gelten auch bei Grünen vor Ort Projekte wie der zehnspurige Ausbau der A5 in Frankfurt als Klimakiller und Dinosaurierprojekte. Auf der anderen Seite wollen die hessischen Grünen in die Mitte wachsen – und viele Wähler*innen fahren nun mal Auto.
Die Partei muss sich nun erst mal sortieren. „Wir werden jetzt die Bedingungen klären und in der Koalition in Ruhe beraten, was der Beschluss im Bund für Hessen bedeutet. Verfahrensbeschleunigungen ersetzen nicht die Frage, ob Jahrzehnte alte Planungen für Neubauprojekte noch zeitgemäß sind“, sagt Landtagsfraktionschef Mathias Wagner. Zu konkreten Projekten wollen auf taz-Anfrage weder er noch Al-Wazirs Ministerium etwas sagen.
Erstmal abwarten
Auch in anderen Landeshauptstädten wollen sich Grüne zunächst nicht eindeutig festlegen. In Nordrhein-Westfalen, wo sich ein Großteil der Projekte aus der Ampel-Liste befindet, sagt die Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek zwar: „Bei knappen Planungs- und Umsetzungskapazitäten muss gelten: Erhalt vor Neubau. Und in Zeiten der Klimakrise muss es heißen: Schiene vor Straße.“ Aber sie fügt auch an: „Wir werden uns anhören, was aus dem Bund kommt.“
In Niedersachsen sagt auch der grüne Umweltminister Christian Meyer, dass die Landesregierung gemeinsam prüfen werde, wo „das Einvernehmen des Landes erteilt wird und wo nicht“. Dazu benötige man aber noch nähere Informationen. „Es liegen auch noch keine konkreten, prüffähigen Gesetzesvorlagen des Bundes als Ergebnis des Koalitionsausschusses vor.“
Das stimmt. Das Bundeskabinett muss die Ampel-Beschlüsse erst noch in Gesetzesform gießen. Der Entwurf muss auch noch den Bundestag passieren. Auch dabei gibt es noch Stellschrauben, unter anderem, weil das Papier aus dem Koalitionsausschuss in Teilen unkonkret bleibt. Einige Grüne wollen versuchen, die verbleibenden Hebel auch in Berlin noch zu nutzen.
Umweltprüfung nicht verzichtbar
Werden die Projekte zum Beispiel ohne Umweltauflagen gebaut, wenn sie im überragenden öffentlichen Interesse sind? Nein, meint der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner. Auf die Prüfung könne nicht pauschal verzichtet werden. Er verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das einen Verzicht auf die Prüfung nur erlaubt, wenn die politische, administrative und wirtschaftliche Stabilität des Landes gefährdet ist.
„Ich kann nicht erkennen, dass das beim Autobahnausbau der Fall sein sollte“, so Benner. Wenn teilweise der Eindruck erweckt werde, ein „überragendes öffentliches Interesse“ ziehe automatisch den Wegfall der Umweltverträglichkeitsprüfung nach sich, dann sei das nicht rechtskonform.
Noch lange nicht geklärt ist zudem die Finanzierung des Autobahn-Ausbaus. Der BUND schätzt, dass es über 30 Milliarden Euro kosten würde, alle 144 Projekte zu realisieren. Nur ein Bruchteil davon steht bisher zur Verfügung. In den Haushaltsverhandlungen gibt es für das Parlament somit einen weiteren großen Hebel.
Und dann gibt es am Ende noch ein ganz praktisches Problem: den Fachkräftemangel in den Behörden und den Planungsbüros. Auch wenn durch den Ampel-Beschluss einige Planungsschritte wegfallen: Die Zuständigen arbeiten schon jetzt am Anschlag. Allein mit der Sanierung von Brücken und anderen bestehenden Abschnitten sind sie gut beschäftigt. Die 144 Ausbau-Abschnitte werden sie nicht mal eben nebenbei abarbeiten können.
Damit trösten sich jetzt viele Grüne über den Ausgang des Koalitionsausschusses hinweg: Beschlossen heißt noch nicht gebaut. Eines leugnet aber dennoch niemand: Verschlechtert hat sich die Ausgangssituation am Dienstag Abend aber allemal.
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