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Disruptive PolitikwechselChristian Lindner hat dieses Mal nun wirklich recht

Den Joghurtbecher für den Gelben Sack auswaschen? Darüber sind wir hinaus, meint unser Autor. Klein-klein beendet weder die Klima- noch andere Krisen.

Der Mann braucht Freiheit statt gelber Säcke Foto: Christian Charisius/dpa

I ch lebe ja ein gesetztes Spießerleben. Wann war ich das letzte Mal komplett irre und habe total unvernünftig gehandelt? War es das Schlachtfest für den Riesen-Schokoladenhasen vor der Glotze? Die Entscheidung, für die taz zu schreiben? Die Idee, Kinder in diese Welt zu setzen? Egal: Jetzt ist die Zeit, mal richtig durchzudrehen und etwas zu riskieren. Und klarzustellen: Christian Lindner hat recht.

Und zwar mit seiner Forderung, man müsse von Javier ­Milei und Elon Musk lernen. Also von dem einen Irren, der in Argentinien die Mittelschicht in die Suppenküchen treibt. Und von dem anderen Durchgeknallten, der als reichster Mann der Welt bald den mächtigsten Mann der Welt dabei berät, die USA und den Rest der Welt möglichst effizient zu rui­nie­ren.

Dabei geht es mir nicht um den Hass auf den Staat, den Christian Lindner sich hier abschauen will, sondern um seine Einsicht: „Deutschland braucht einen grundlegenden und an vielen Stellen sogar disruptiven Politikwechsel.“ Sein Tenor: Der Wirtschaft geht es schlecht, unser Wohlstand ist bedroht.

„Wenn es nicht zu einer Wende kommt, wird der Lebensstandard sinken“ und die Polarisierung der Gesellschaft voranschreiten. „Es wird nicht ausreichen, ein paar ­Stellschrauben ein wenig zu drehen und mit wenig ambitionierten Reformen die strukturellen ­Probleme zu überdecken.“ Es brauche „tiefgreifende Maßnahmen, um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern“.

Everything Everywhere All at Once

Halleluja! Lindner hat die Langeweile nach seinem Rauswurf als Bundesfinanzminister also gut genutzt und den letzten Bericht des Weltklimarats IPCC gelesen. Und dann hat er sich durch die Reports zum weltweiten Artensterben geackert, durch die Warnungen von Lord Nicholas Stern, die Bilanzen der Weltbank und hat sich noch mal die Reden von UN-Generalsekretär Antonio Guterres aus den letzten fünf Jahren angeschaut.

Daher kommt nun diese klare Aussage: Ein ­bisschen Emis­sions­handel reformieren hier und ein paar Flugtaxis entwickeln dort, das rettet nicht die Welt. Nein: Wir müssen alles sofort und gleichzeitig machen, wenn wir unseren Wohlstand erhalten und Deutschlands Zukunftsfähigkeit sichern ­wollen. Denn beides beruht schließlich darauf, dass das Betriebssystem dieses Planeten halbwegs ­weiterläuft.

Das heißt also: Wir müssen in den kommenden fünf Jahren die weltweiten Treibhausgasemissionen halbieren, das Artensterben sofort stoppen, den Plastikmüll auf null bringen, das globale Finanzsystem gerecht und krisenfest machen, die Hilfen für die armen Länder vervielfachen.

Vergangenheit vs Zukunft

Das geht eben nicht mit einem Weiter-so, das hat Lindner klug erkannt. Sondern nur mit Disruption, dem Brechen mit dem und auch mit den Alten. Genau so steht es in all diesen schlauen Berichten, Analysen und Reporten. Schluss mit Klein-Klein und her mit den mutigen Lösungen, die manchen wehtun, aber insgesamt eine echte Wende bringen. Weil es umso schlimmer wird, wenn sich nichts ändert: Bei Klima, Artenverlust, Plastikschwemme, Armut, globaler Ungerechtigkeit.

Deutschland wählt zu einem großen Teil leider statt der guten Zukünfte lieber die schlimmen Vergangenheiten. Und viele Menschen fürchten Veränderung mehr als alles andere. Da sorgt diese Ansage mal für erfrischende Klarheit: Nur mit disruptiven Lösungen haben wir eine Chance auf einen lebenswerten Status quo oder einen guten Status futurus. Wir sind längst über den Punkt hinaus, wo es reicht, den Joghurtbecher für den Gelben Sack auszuwaschen. Wir brauchen einen ganz neuen Sack. Vielleicht muss er ja nicht gelb sein.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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10 Kommentare

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  • You made my day, alles nur eine Frage der Sichtweise.

  • "Disruptive Politikwechsel"



    Treffer im Netz:



    2017



    www.deutschlandfun...isruptive-102.html



    Dort steht:



    "Der Abbruch der Jamaika-Sondierungen war ein Akt disruptiver Politik. Er folgt einem Geschäftsmodell der digitalen Gründerszene: Der Begriff der Disruption steht hier für den Erfolg kleiner Unternehmen, die mit innovativen Techniken und der radikalen Absage an etablierte Spielregeln die Geschäftswelt umpflügen und einstige Marktführer in den Ruin treiben. So hat Christian Lindner seine Partei aufgebaut und in den Bundestag zurückgeführt."



    Ich denke, dass ich aus verschiedenen Gründen nicht zu seiner Zielgruppe gehöre.



    Weiter dort:



    "Politische Disruption setzt auf die Ermattung traditioneller Akteure in Politik und Gesellschaft, die von den sozialen, ökonomischen und technologischen Dynamiken unserer Zeit überfordert werden."



    Das klingt etwas unheimlich. Das Wording oder Naming mit dem "D" (wie bei "D-day" vielleicht zum Washing für das Papier angedacht) wird diesen einmaligen Fauxpas nicht umdrehen können, das war eben strategisch eine vermeidbare Ruptur der Vernunft.

    • @Martin Rees:

      "Politische Disruption setzt auf die Ermattung traditioneller Akteure in Politik und Gesellschaft, die von den sozialen, ökonomischen und technologischen Dynamiken unserer Zeit überfordert werden."



      Die Fans der Disruption übersehen Umweltprobleme als Folge und als Gestaltung von Wirtschaft. Gier frisst Hirn.

  • Das Eine tun und das Andere nicht lassen.



    Das Klein Klein kann heute und morgen umgesetzt werden.



    Angesichts der Tatsache, dass Ressourcen Verschwenden nicht mehr ganz so angesagt ist, ist das Aufkommen dan Plastikmüll pro Kopf in Deutschland gesunken.



    Das sind die kleinen Schritte, die dafür gesorgt haben, dass es heutzutage Biolebensmittel bezahlbar und in jedem Supermarkt gibt.



    Oder die Anti AKW Bewegung, die letztlich erfolgreich war.



    Oder der Ausbau regenerativen Energien, der neben Förderungen durch Viele private Investitionen derzeit so erfolgreich ist.



    Die bessere Welt wird nicht vom Himmel fallen, wir müssen, wenn wir sie wollen, einfach jeden Tag dafür arbeiten.



    Nicht mehr fliegen, weniger Auto fahren, das Haus energetisch Sanieren, Plastik reduzieren.



    Nur wer Wasser trinkt, kann es predigen.



    Dabei ist es am Besten, klimafreundlich zu leben und somit zum Nachahmen anzuregen.



    Das ist gerade jetzt wichtig, wo Menschen wie Merz und Söder, die den ökologischen Wandel ausbremsen wollen durch reaktionäre WählerInnen Unterstützung erhalten.



    Mit der CDU wird es keinen ökologischen Fortschritt geben.

  • "Wann war ich das letzte Mal komplett irre?"

    Bedauerlicherweise lässt sich diese Frage recht leicht beantworten: Stets beim letzten Artikel.

    Um es am Beispiel dieses Artikel zu verdeutlichen, der Autor sucht nach einer Strategie zum Erhalt des nationalen Wohlstandes und benennt dann ausschließlich internationale Maßnahmen.

    Das Problem ist dabei, werden diese Maßnahmen nicht von den übrigen Ländern der Welt mitgetragen, haben sie allenfalls den Effekt, dass der Wohlstand in Deutschland sinkt.

    Falls sich der Autor also erneut die eingangs gestellte Frage stellen sollte, so ist die Antwort bis auf weiteres die Veröffentlichung dieses Artikels.

  • Aber Herr Pötter, fallen Sie doch nicht auf die beiden von Unten nach Oben Verteiler herein! Und laufen Sie doch nicht vor Ihren eigenen Hausaufgaben davon!



    All Ihr tun wirkt immer im Klein-Klein, denn Ihr Lebensumsatz bewegt sich nunmal im Verhältnis zur täglichen Gesamtveränderung auf unserer Welt im Klein und nicht im Groß. Allerdings ergibt Milliarden mal Klein-Klein das richtig Große. Das erkennnen wir schnell wenn wir uns das Kunststoffaufkommen im Müll ansehen. Milliarden Jugurtbecker von Danone bis Landliebe, Milliarden von Umverpackungen, Plastikflaschen von Adelholzen bis Nestle und Kunstfasergewebte Jogginghosen und Gymshirts versauen unsere Meere und unser Grundwasser. Daher fängt jede Veränderung bei jedem Einzelnen an, und wenn der eigene Beitrag noch so klein sein mag. Das wusste schon Michael Jackson und sang den Song von Siedah Garrett, Man in the mirror.



    Also nicht schon wieder davon laufen, und mit viel Text ablenken, sondern machen! Noch dazu ist das Klein-Klein einfacher umzusetzen als das Große, sei es bei der Anpassung von Gewohnheit oder der Umsetzung mit rießigem Finanzaufwand.

  • Herr Lindner wird wohl wie die anderen abgehobenen Jungs erleben müssen, dass seine flotten Ambitionen ohne Umweltschutz und Armutsbekämpfung nicht funktionieren werden. Auf wen sie dann die Schuld abwälzen werden, bleibt spannend oder doch eher erwartbar?

  • Für die Kritik am Entwurf einer perfekten Gesellschaft, den großen Wurf, an dessen Ende die Weltrettung steht, denn weniger tut es nicht für den Deutschen, empfehle ich Karl Poppers" Die offene Gesellschaft und ihre Feinde".

    Wer es nicht fertigbringt, den Joghurtbecher zu säuber und auch den Aludeckel abzutrennen, damit wenigstens die Möglichkeit des Recyclings besteht, sollte sich nicht zu Wasserstoff, E-Autos und Flugtaxis äußern.

    Wer nach der großen Lösung von oben ruft, dem großen Erlöser, sei es als Alien, Jesus oder aus den Reihen der Grünen, hat nicht verstanden, was Eigenverantwortung ist und wie Demokratie funktioniert.

    Die Lösungswege der Grünen, die Wein trinken und Wasser predigen, funktionieren nicht, nicht mal für ihre eigene Klientel. Sie dem Rest der Deutschen aufzwingen zu wollen, wird nicht gelingen. Und die Welt ist durch den Abstieg Deutschlands gründlich abgeschreckt.

  • Danke. Christian Lindner hatte selbstverständlich schon in den 90ern ganz viel recht: www.youtube.com/watch?v=w0rL6Ju9H2Q

  • Guter Kommentar, aber wo sieht der Autor, dass sich CL den "Hass auf den Staat" abschauen will? Geht es eine Nummer kleiner? Wo kommen wir da hin, wenn man einem "Hass auf den Staat" unterstellt, wenn sich diese Person zum Bürokratieabbau einbringt. Was soll diese Tonalität in unserer heutigen zugespitzten Zeit. Hier hätte ich mir gerade von der taz einen anderen Duktus gewünscht.