Die Grünen nach der Bundestagswahl: „Ja, pff!“
Die Grünen kamen bei der Wahl nur auf 11,6 Prozent. Spitzenkandidat Robert Habeck schmeißt genervt hin. Und in der Partei startet die Strategiedebatte.
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Wie ein Popstar wurde er zwischenzeitlich gefeiert. Er konnte reden, wie kaum einer vor ihm. Er konnte Brücken schlagen in neue Milieus. Zumindest in den ersten Jahren, als noch nicht alles so polarisiert war. Jetzt macht er Schluss, kurz und schmerzhaft auf dem Podium der Bundespressekonferenz in Berlin.
„Ich werde keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen mehr beanspruchen oder anstreben“, sagt er dort am Montagvormittag während seiner Analyse des Wahlausgangs. Dann wechselt er das Thema, spricht über den Rechtsruck, die Normalisierung der AfD im Wahlkampf, die Reform der Schuldenbremse.
Minute um Minute, als müsse er eine dicke Schicht an Sätzen über die für ihn bittere Erkenntnis legen: Es ist vorbei. Theoretisch bleibt ihm zwar noch ein Bundestagsmandat, aber ob er das annimmt oder ob er ganz hinschmeißt, ist offen. Fragen danach beantwortet er am Montag nicht.
Unter Habeck massiv verloren
Nach dem Wahlergebnis vom Vorabend – nur 11,6 Prozent für die Grünen und keine Chance aufs Regieren – kommt das Aus nicht überraschend. Fraglich war schon zuvor, ob Robert Habeck überhaupt Lust hätte, in der zweitkleinsten Fraktion Oppositionsarbeit zu machen. Er, der Zeit seiner politischen Karriere vorne stand, der direkt nach seinem Eintritt in die Partei Kreisvorsitzender wurde und der immer nach Regierungsämtern gestrebt hat.
Fraglich war aber auch, welche Rolle ihm Partei und Fraktion überhaupt noch zugestanden hätten. In den öffentlichen Reaktionen auf seinen Rückzug schwingt am Montag zwar viel Wertschätzung mit. Seine Verdienste sind ja nicht weg. Aber in der Opposition haben die Grünen nicht mehr viele Spitzenjobs zu vergeben, und viele in der Partei sehen bei ihm als Kanzlerkandidaten einen großen Anteil an der Wahlniederlage. Er ist einen mittigen Kurs gefahren und hat massiv nach links verloren – eine erfolgreiche Bewerbung um ein Spitzenamt sieht anders aus.
Laut Infratest Dimap haben die Grünen ganze 700.000 Wähler*innen an die Linkspartei verloren. Ehemalige Hochburgen in den Großstädten sind weg. Sogar das Erbe von Hans-Christian Ströbele ist verspielt: Zum ersten Mal seit 1998 sind die Grünen daran gescheitert, das Direktmandat im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg zu holen. Auch das haben ihnen die Linken abgenommen.
Gleichzeitig ist der erhoffte Zuwachs in der politischen Mitte ausgeblieben. Auf die sogenannte „Merkel-Lücke“ hatte es Habeck dort abgesehen. Auf ehemalige Wähler*innen von CDU und CSU also, die 2021 noch für Armin Laschet stimmten, 2025 aber nichts mit Friedrich Merz zu tun haben wollen. Stattdessen haben die Grünen auch in diese Richtung massiv verloren.
Politik der Kompromisse
„Es war ein großartiger Wahlkampf. Die Mobilisierung der Partei war stark. Die Kampagne war toll“, sagt Robert Habeck trotz allem während seiner Pressekonferenz am Montag. Natürlich kommen dazu Nachfragen. Bei diesem Ergebnis kann doch nicht alles super gewesen sein? „Das Angebot war top, die Nachfrage war nicht so …“ – der Rest des Satzes geht unter im Lachen der Journalist*innen.
Trotzig wirkt der gescheiterte Kanzlerkandidat in diesem Moment. In sich ist aber eigentlich stimmig, was er da erzählt. Wenn Robert Habeck in einem Punkt prinzipienfest ist, dann in seiner politischen Methode: Kompromisse schmieden, den Ausgleich suchen, auf die Gegenseite zugehen. „Das ist mein politischer Anspruch. So will ich agieren“, antwortete er der taz vor einem Jahr auf die Frage, ob sein Ansatz überhaupt noch in die Zeit passt – nachdem die Union ihn zum Feindbild erkoren hatte, nachdem ein wütender Mob an einem Fähranleger an der Nordsee auf ihn wartete.
Empfohlener externer Inhalt
Die Frage, ob er in diesem Wahlkampf etwas grundsätzlich hätte anders machen können, stellt sich aus so einer Perspektive überhaupt nicht. Hätte er nicht. Zu etwas anderem ist er nicht in der Lage. Und wenn diese Methode eben doch nicht mehr in die Zeit passt, dann müssen jetzt andere ran.
Sein Angebot „wurde nicht ausreichend gewollt“, sagt er am Montag in Berlin. „Entsprechend nehme ich die Verantwortung dafür auf mich.“
Auf nach links?
Für den Rest der Partei tut sich damit eine große Frage auf: Welches Angebot wollen die Grünen stattdessen machen, wer sind sie nach der Ära Habeck? Dass sie in der nächsten Legislaturperiode nicht regieren werden, dass es dafür keine rechnerische Möglichkeit gibt und sie nicht mal sondieren müssen, hat zumindest einen Vorteil: Sie haben jetzt Zeit, diese Frage zu diskutieren. 2021 stolperten sie von einem verkorksten Wahlkampf direkt in die Ampel, jetzt gibt es Raum für eine grundsätzliche Analyse.
Robert Habeck, Grünen-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl
Der linke Flügel hat für die Debatte seit Sonntagabend ein gewichtiges neues Argument. Die Abwanderung zu den Linken sieht er als Bestätigung der eigenen Kritik. „Wir haben Leuten, die uns immer gewählt haben, drei Jahre lang vermittelt, dass sie uns nicht mehr so wichtig sind“, sagt der Europaabgeordnete Rasmus Andresen der taz. „Durch politische Entscheidungen, aber auch durch unsere Anmutung: Wir haben schmerzhafte Kompromisse so verkauft, als ob sie der größte grüne Erfolg der Geschichte wären. Es ist kein Wunder, dass sich diese Leute daran erinnern und uns den Rücken kehren.“
Ähnlich klingt die Bundestagsabgeordnete Karoline Otte. „Wir haben uns als Partei in den letzten Jahren, aber auch während des Wahlkampfes, auf eine sich immer weiter nach rechts treibende Debatte in der Migrationspolitik eingelassen“, sagt sie. Darunter habe die Unterscheidbarkeit der Grünen von SPD und CDU gelitten. „Wir haben die alltäglichen Sorgen der Menschen wie Sorgen um den Arbeitsplatz, steigende Lebenshaltungskosten und fehlende Kita-Plätze aus dem Blick verloren.“ Dadurch habe man Hunderttausende an die Linke verloren.
Ähnliches ist von Parteilinken seit Sonntagabend vielfach zu hören. Beim Versuch, der Mitte zu gefallen, sei untergegangen, wofür die Grünen eigentlich stehen. Die eigenen Themen, etwa die Klimapolitik, habe man im Wahlkampf zu verschämt kommuniziert. An Friedrich Merz habe man sich nach dem Fall der Brandmauer im Bundestag zu sehr angebiedert.
Verloren in alle Richtungen
Mit dem restriktiven Zehn-Punkte-Papier zur Migrationspolitik, kurz darauf veröffentlicht, habe man endgültig Wähler*innen zur Linken getrieben. Vor allem Letzteres wird nicht nur Habeck angekreidet, sondern auch Parteichefin Franziska Brantner, der im linken Flügel eine unglückliche Rolle nachgesagt wird.
Es gibt in der Partei aber auch die Gegenposition. Am Montagmorgen, noch vor Habecks Rückzug, ist im Deutschlandfunk Cem Özdemir zugeschaltet. Er möchte nächstes Jahr in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden und denkt nicht daran, den Kurs nach links zu korrigieren. Sein Argument: Die Grünen haben am Sonntag auch Hunderttausende Wähler*innen an Union, BSW und AfD verloren.
Auch die Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta schließt sich den Deutungen der Parteilinken nicht an, sondern sieht das Problem eher bei den äußeren Umständen. „Der entscheidende Punkt war der Tabubruch von Friedrich Merz, mit der AfD abzustimmen.“ Damit habe Merz ein „Konjunkturprogramm für die Linkspartei geschaffen: Nur die Linkspartei versprach, auf keinen Fall mit Merz zu regieren“, sagt sie.
Die Grünen hätten von allen Ampel-Parteien am wenigsten verloren, was ein Zeichen dafür sei, „dass unsere Errungenschaften wie der Rekordausbau bei den Erneuerbaren anerkannt werden, aber dieses Wahlergebnis drückt vor allem den Preis aus, den auch wir für diese Koalition bezahlen“.
Baerbock macht weiter
Während seiner Pressekonferenz am Vormittag wird auch Robert Habeck nach der Strategiedebatte gefragt. Würde er der Partei raten, wieder stärker linke Politik zu machen? „Ich rate ihnen gar nichts“, antwortet er. Auch das sollen jetzt eben andere klären. Annalena Baerbock zum Beispiel, die auf dem Podium neben ihm sitzt, für einen ähnlichen Kurs wie Habeck steht, aber im Gegensatz zu ihm weitermachen möchte? Von persönlichen Konsequenzen spricht sie nicht, im Gespräch ist sie als neue Fraktionschefin.
Ein Selbstläufer wird das auch für Baerbock nicht. Aber anders als bei der letzten Wahl war sie diesmal nicht die Kandidatin, diesmal bleibt an ihr weniger hängen. Ausgeglichen wirkt sie an diesem Montag auf dem Podium. Anders als Habeck, der nach einer Dreiviertelstunde spürbar keine Lust mehr hat, noch länger hier rumzusitzen.
Ob es Gespräche mit der Union über eine Verfassungsänderung zur Schuldenbremse gibt, will eine Journalistin wissen. Dafür wären die Stimmen der Grünen nötig. „Ja, pff!“, koffert Habeck sie an. „Schwarz und Rot reden miteinander. Wir sind nicht gewählt worden, um Gespräche zu führen.“ Ein paar Minuten läuft die Pressekonferenz danach noch. Dann ist es wirklich vorbei.
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