Desinformation im Netz: Am Rande der Meinungsfreiheit
Immer mehr Menschen lesen Nachrichten im Netz. Seit einem Jahr kann die Medienaufsicht gegen Hetze und Fake News auf Webseiten vorgehen. Eine Bilanz.
I ns Netz kann heute jede:r schreiben, was er oder sie will. Zum Beispiel Sätze wie die folgenden: „In Wahrheit ist der Startschuss zur Genmanipulation der homo sapiens sapiens gefallen. Die mRNA-Impfstoff-Entwicklung ist hier nur ein weiterer Versuch, die Menschen besser zu kontrollieren. Doch auch ein weiterer Versuch, einen Homozid zu versuchen, ist damit eingeläutet.“
So steht es in einem Beitrag zur Coronapolitik des Verschwörungstheoretikers Rüdiger Lenz vom 9. September 2020 auf dem Internetportal KenFM. Das „FM“ stehe für „Freie Medien für freie Menschen“, sagte einst dessen Gründer, der ehemalige TV- und Radiomoderator Ken Jebsen.
Was Lenz dort schrieb, ist keine Volksverhetzung, weil es nicht zum Hass gegen eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe aufstachelt. Es ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Ob es wahr ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Und das ist gut so. Doch von Seiten wie KenFM, aus Blogs, aus sozialen Medien beziehen heute mehr Menschen ihre Informationen als von vielen klassischen Medien. Wie will eine Gesellschaft damit umgehen, wenn dort gefährlicher Unsinn steht?
Am 15. Februar 2021 bekam Jebsen einen Brief. Lenz’ und drei weitere KenFM-Beiträge legten einen „Verstoß gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten nahe“, stand darin. Absender war die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Sie setzte Jebsen eine zweiwöchige Frist, um die Beiträge „kritisch durchzusehen und anzupassen“. Die MABB will über den konkreten Fall nicht sprechen. Jebsen stellte den Schriftverkehr hingegen ins Netz.
Anneke Plass, Sprecherin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg
Dass eine Aufsichtsbehörde ein solches Schreiben überhaupt verschicken kann, ist neu. Grundlage ist eine weitgehend unbeachtete Reform des Medienstaatsvertrags. Der regelte lange nur, was Radio- und TV-Schaffende beachten mussten. Doch seit dem 7. November 2020 erfasst er auch, was im Netz publiziert wird. Nun heißt es im Staatsvertrag, dass „Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ den „journalistischen Grundsätzen zu entsprechen“ haben. Das klingt vage, verschafft den Aufsichtsbehörden aber eine völlig neue Handhabe, um gegen Desinformation und Hetze im Netz vorgehen zu können.
Jebsen war einer der Ersten, der ein solches Hinweisschreiben bekam. Nach antisemitischen Äußerungen flog er 2011 beim Berliner RBB als Moderator raus, ab 2012 baute er das Webportal KenFM auf. Auf Youtube abonnierten zwischenzeitlich über eine halbe Million Menschen seine Beiträge. 2016 besuchten durchschnittlich 100.000 Nutzer:innen pro Tag die Website KenFM, im Juni 2020 kam KenFM auf den siebten Platz der umsatzstärksten Nachrichten-Apps in Deutschland.
Jebsens Kanäle waren ein Katalysator für verschwörungsideologisches Geraune aller Art – und später auch für Coronadesinformation. Gleichzeitig war KenFM eines der erfolgreichsten crowdfinanzierten Medienportale Deutschlands.
Als „Telemedium“ gilt laut Staatsvertrag alles, was im Internet steht. „Journalistisch-redaktionell“ sind Inhalte dann, wenn sie Nachrichten oder politische Infos enthalten, die „gestaltend“ oder „kommentierend“ bearbeitet wurden. Sie müssen die öffentliche Meinungsbildung beeinflussen können und „fortgesetzt und planmäßig“ angeboten werden – also „nicht rein privat oder nur bei Gelegenheit“. Videoblogger:innen können ebenso erfasst sein wie Betreiber:innen von Querdenker-Telegramkanälen, Instagram-Influencer, rechte Webportale oder eben KenFM.
Es gehört zu Ken Jebsens Geschäftsmodell und ideologischem Programm, trotz seiner enormen Reichweite über die Beschneidung der Meinungsfreiheit zu jammern: „Der digitale Raum in der ‚Corona-BRD‘“ werde täglich enger, so Jebsen im Oktober 2020. Zensur sei inzwischen „alltäglich“ und mache „freien Journalismus zu einem Spießrutenlauf“. Der Brief der MABB dürfte ihm da gar nicht ungelegen gekommen sein. „Wenn das Wahrheitsministerium Maulkörbe verteilt“ betitelte er seine erste öffentliche Replik auf das Schreiben und warf der Anstalt vor, einen „digitalen Scheiterhaufen zu errichten“.
Anneke Plass, Sprecherin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg
Das Ganze ist fraglos heikel – eine „Operation am offenen Herzen der Meinungsfreiheit“ nennt es die Sprecherin der MABB. Dass manche, die die Medienaufsicht in den Blick nimmt, über „Zensur“ oder ein „Ministerium für Wahrheit“ wie im Roman „1984“ klagen, liegt auf der Hand. Dass die Landesmedienanstalten sich selbst immer explizit als „staatsfern“ definieren, ändert daran nichts.
Für den Zensurvorwurf will der MABB-Justiziar Marco Holtz so wenig Anlass wie möglich geben. „Wir schauen uns Inhalte grundsätzlich erst nach Veröffentlichung an“, sagt er. Entscheidend ist dabei einzig das Kriterium der „journalistischen Sorgfaltspflicht“, das auch im Medienstaatsvertrag steht: Inhalte dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen, Quellen müssen genannt werden, Zitate „unverfälscht“ bleiben. Ob etwas richtig oder falsch ist, spiele keine Rolle. „Wir sind keine Wahrheitspolizei“, sagt Holtz. Es ist vermutlich ein sinnvoller Kompromiss zwischen dem Rechtsgut der Meinungsfreiheit und dem gesellschaftlichen Interesse, gefährliche Pseudonews einzudämmen.
„Echokammer“ ist eins der Schlagworte, mit denen Kommunikationswissenschaftler schon seit einem Jahrzehnt die Mechanik sozialer Medien zu beschreiben versuchen: ein sich selbst verstärkender virtueller Umgang mit Gleichgesinnten, der zu einer sich stetig verfestigenden Verengung der Weltsicht führt. Eine Radikalisierungsmaschine. Das zeigt sich auch hierzulande.
Ende September 2021, Idar-Oberstein: Der Software-Entwickler Mario N. schießt in einer Tankstelle einem 20-jährigen Studenten in den Kopf, weil dieser ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Nach seiner Festnahme sagt N., dass er die Coronamaßnahmen ablehne. Der Täter sei schon länger „in einer Welt voller Verschwörungserzählungen unterwegs“, sagte kurz darauf der Analyst Miro Dittrich von der Amadeu Antonio Stiftung der „Tagesschau“. Solche Konsequenzen könne es haben, wenn Menschen in alternative Wirklichkeiten im digitalen Raum abrutschten. Und es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, dass in manchen Köpfen Sätze wie in den beanstandeten KenFM-Beiträgen zu Handlungen wie dem Mord in der Tankstelle in Idar-Oberstein führen können.
Um die „alternativen Wirklichkeiten“ nicht völlig sich selbst zu überlassen, können die Medienanstalten heute sogenannte Hinweisschreiben verschicken, wie Jebsen es zunächst bekam. Wird ein beanstandeter Beitrag korrigiert oder gelöscht, ist die Sache erledigt. Ansonsten können die Anstalten Zwangsgelder festsetzen und als Ultima Ratio den Weiterbetrieb des Angebots untersagen. Letztlich können sie auch die Plattformbetreiber:innen in die Pflicht nehmen und etwa Youtube anweisen, einen Videokanal zu löschen. So weit kam es bisher nie. Die Anstalten sind gehalten, mit den neuen Befugnissen äußerst behutsam vorzugehen. Kleinen Videoblogger:innen mit geringer Reichweite darf die Aufsicht nicht mit schwersten Geschützen zu Leibe rücken – selbst wenn sie gegen das Gebot der Sorgfaltspflicht verstoßen.
Im März schrieb Jebsens Anwalt an die Behörde. Alle monierten Beiträge seien als „Kommentare“ gekennzeichnet und hätten als solche keiner Quellen bedurft. Doch „um die Angelegenheit zu einem raschen Abschluss zu führen“, fügte der Anwalt eine Liste von Links an, die die in den drei Beiträgen aufgestellten Behauptungen belegen sollten. Darunter waren etwa Stellungnahmen des Hamburger Arztes Wolfgang Wodarg, einer wichtigen Figur der Querdenkerszene.
Marco Holtz, Justiziar der Medienanstalt Berlin-Brandenburg
Die MABB akzeptierte das, so geht es aus der von Jebsen geposteten Antwort hervor. „Zu sagen, Wissenschaftler A ist seriös und Wissenschaftler B nicht, das ist extrem schwierig“, sagt Marco Holtz. „Wir können das nicht entscheiden. Wenn jemand zweifelhafte Experten für Behauptungen findet, muss man das so hinnehmen.“ Trotz dieser Schwäche sei die neue Regelung ein Fortschritt. „Vorher gab es gar keine Regulierung.“
Podcasts, Chatrooms, Foren, Communitys und Webportale – das Netz ist heute voller Kanäle, auf denen jeder praktisch alles verbreiten kann. Es ist ein Gewinn an Informations- und Meinungsfreiheit, dem gleichzeitig enorme gesellschaftliche Sprengkraft innewohnt. Wer bislang Nachrichten verbreitete, war der Kontrolle durch das Presserecht, Ausbildungsinstitutionen, Branchenstandards und Selbstorganisationen unterworfen. Für die amorphe Welt der Neuen Medien gab es vieles davon lange nicht.
Ein Blick in die USA zeigt, was passiert, wenn Desinformation und Hetze im Internet heißlaufen. Ende 2020, kurz vor der Präsidentschaftswahl, gab es kein großes Medium, kaum einen namhaften Politologen, der nicht ernsthaft die Möglichkeit eines Putsches in Betracht zog, falls Donald Trump die Wahl verliert. Die Angst: Ein in den sozialen Medien aufgestachelter Mob von Trump-Anhängern tut sich mit Teilen von Polizei und Militär zusammen.
Ende Oktober 2021 veröffentlichte die US-NGO Media Matters einen Bericht, der enthüllt, dass Facebook über 1.000 Gruppen mit rund 2,2 Millionen Mitgliedern kannte, die zu jener Zeit gegen die mögliche Impfpolitik eines neuen US-Präsidenten Biden agitierten oder Wahlfälschung zulasten Trumps behaupteten. Facebook ging lange nicht gegen sie vor – und der Staat hatte sich schon vor Trump entschieden, die Meinungsfreiheit über alles zu stellen und untätig zu bleiben.
In Deutschland tat er ebenfalls nicht genug, befand 2019 eine Studie der Berliner Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung. Hierzulande seien die Versuche des Staats, manipulative Meinungsmache und Hetze im Netz zu bekämpfen, „kaum geeignet, Desinformation einzudämmen“. Das Anfang 2018 in Kraft getretene sogenannte Facebook-Gesetz etwa sei „auf einen Großteil der Desinformation im Netz nicht anwendbar“. Desinformation erreiche im digitalen Raum ein „neues Ausmaß“. Politische Haltungen könnten so „verzerrt, extremistische Stimmungen verstärkt und das Vertrauen in gemeinschaftliche Institutionen wie Wahlen, Parlamente und Medien untergraben“ werden.
Und auch die von den Techkonzernen angekündigten Instrumente zur Selbstkontrolle taugen bislang wenig. Erst vor Kurzem etwa trat eine ehemalige Facebook-Mitarbeiterin an die Öffentlichkeit und warf Facebook vor, eigene Gewinne über die Sicherheit von Menschen zu stellen – mit verheerenden Folgen für Menschen, Demokratie und Gesellschaft.
Welches Ausmaß das Problem hat, zeigt der 2021 erschienene Reuters Digital News Report. In Deutschland stieg demnach der Anteil der Menschen, die Nachrichten aus sozialen Medien beziehen, in den letzten acht Jahren von 18 Prozent auf fast ein Drittel an. Zwar gab nur etwa jede:r Siebte an, Nachrichten in sozialen Medien zu vertrauen – das ändert jedoch nichts daran, dass immer mehr Menschen von dort ihre Informationen bekommen.
Facebook nutzt laut der Reuters-Studie dafür in Deutschland im Schnitt fast jede:r Fünfte, Whatsapp und Youtube rund jede:r Sechste, Instagram 7 Prozent, Twitter 6 Prozent und Telegram 4 Prozent – bei jüngeren Nutzer:innen sind es teils deutlich mehr. Das Problem ist dabei nicht, dass Menschen Nachrichten aus sozialen Medien beziehen. Das Problem ist, dass dort Vertrauenswürdiges und Lügen, Demagogie und Fake News direkt nebeneinander stehen und für viele immer schwieriger zu unterscheiden sind. „Die Steuerung digital verbreiteter Inhalte ist zwangsläufig von der Nische zu einer der weltweit wichtigsten Aufgaben avanciert“, schrieb Anja Zimmer, die ehemalige Direktorin der MABB, kürzlich in einem Gastbeitrag in der FAZ.
Für Ken Jebsen war mit der Angabe der Quellen für die auf seiner Seite veröffentlichten Corona-Schauergeschichten die Angelegenheit nicht erledigt. Die MABB schrieb ihm, für Behauptungen wie jene des „Startschusses zur Genmanipulation der homo sapiens sapiens“ habe er keine Belege geliefert. Er bekam eine zweiwöchige Frist zur Anhörung, ansonsten drohte die MABB „Untersagung“, „Sperrung“ sowie „Zwangsgeld“ an.
Obwohl sich diese Drohungen nur auf die monierten Beiträge bezogen, behauptete Jebsen, die MABB wolle KenFM „final plattmachen“. Es handele sich um eine „Zensurbehörde“, die die „Regierungsform Demokratie offensichtlich nicht verstanden hat“. Sie wolle „bestimmen, was wahr ist und was nicht, was zukünftig in unabhängigen Medien noch gesagt werden darf und was nicht“. Per Video kündigte Jebsen an, in ein anderes Land umziehen, „wo man uns in Ruhe arbeiten lässt“. Im Juni schaltete er KenFM ab – ohne dass die MABB irgendwelche Maßnahmen ergriffen hätte.
Die taz hat alle 14 Landesmedienanstalten gefragt, wie sie von dem neuen Instrument Gebrauch machen. Dreizehn von ihnen schickten Antworten. Demnach gab es im ersten Jahr bislang mindestens 216 Prüfverfahren. Nur in rund 15 Fällen wurden sogenannte Hinweisschreiben verschickt. Förmliche Verfahren gab es nur in einer Handvoll Fälle. Diese Zahl kann sich jedoch noch erhöhen, wenn auf die Hinweisschreiben nicht reagiert wird.
Die Anstalt des kleinen Saarlands prüfte rund 70 Webseiten, zum Teil allerdings nur um festzustellen, ob es sich bei diesen überhaupt um ein journalistisches Telemedium im Sinne des Gesetzes handelt. Sachsen hingegen ist deutlich zurückhaltender: Bisher seien „insbesondere mit Verweis auf die enge Aufgabeneröffnung“ und unter Beachtung der „höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Schutzbereich der Meinungs- und Pressefreiheit keine Maßnahmen beendet“. In Rheinland-Pfalz entging ein Anbieter dem weiteren Verfahren, indem er ankündigte, Mitglied im Presserat werden zu wollen. In Bayern wurde die Landeszentrale für neue Medien ausschließlich aufgrund externer Beschwerden, nicht aufgrund eigener Prüfungen aktiv. Bremen hingegen prüft von sich aus „laufend Webseiten im Hinblick auf mögliche Verstöße“.
„Bei Rundfunk und Presse war immer klar: Sorgfaltspflichten müssen eingehalten werden und das wird auch kontrolliert“, sagt Heike Raab, Medien-Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz, der taz. Sie hat die Reform des Medienstaatsvertrags mit allen Bundesländern koordiniert. „Bei den publizistischen Online-Anbietern gab es das bislang so nicht.“ Künftig sollten die Regeln für Rundfunk und Presse auch im Netz gelten. „Wer da journalistisch-redaktionell arbeitet, hat eine große Verantwortung. Und der müssen sich auch die neuen Anbieter stellen.“ Am liebsten wäre Raab, wenn alle Anbieter sich einer freiwilligen Selbstkontrolle, ähnlich wie dem Deutschen Presserat, anschließen würden. Die gibt es bereits, mit der FSK.Online. Doch nur ein Bruchteil ist dort Mitglied.
Die MABB hat das Verfahren gegen KenFM im Oktober eingestellt, weil die Seite abgestellt wurde. Wer heute nach ihr sucht, wird auf apolut.net umgeleitet. Dort werden seit einigen Monaten Beiträge mit ähnlicher Stoßrichtung wie jene bei KenFM gepostet. Jebsen taucht in vielen Videos auf, ist aber nicht als Verantwortlicher eingetragen. „Wir sind in einem Nachrichtenkrieg“ gegen die „totale globale Kontrolle“, behauptet er dort in einem Mitte Oktober geposteten Video. Deshalb baue er mit Apolut an einer Nachrichtenseite, die „man nicht abstellen kann“.
Der Tagesspiegel schrieb, Jebsen habe mit der Neugründung von Apolut „sehr schlau gezeigt“, wie man sich dem MABB-Verfahren „entziehen und trotzdem weitermachen kann“. Tatsächlich aber verfügt das neue, in Berlin ansässige Portal – bislang jedenfalls – nicht ansatzweise über die gleiche Reichweite wie einst KenFM. Auf Facebook etwa hatte es fünf Monate nach seinem Start gerade mal 1.400 Follower, KenFM folgten hingegen rund 270.000 Menschen. Ein Umgang mit Apolut werde geprüft, sagte eine MABB-Sprecherin kürzlich der FAZ.
Dass ein:e Betreiber:in angibt, ins Ausland abzuwandern oder für eine Seite nicht mehr verantwortlich zu sein, reiche allein noch nicht aus, um ein Verfahren zu stoppen. „Es müsste verifiziert werden, dass hier keine Redaktion mehr existiert und dass das keine Schutzbehauptung ist.“ Doch wer tatsächlich ins Ausland geht, ist erst mal fein raus. „Wir versuchen, das schon zu ermitteln, sind aber nicht die Polizei“, sagt Marco Holtz. „Wenn sich herausstellt, dass ein Dienst vom EU-Ausland weiterbetrieben wird, dann sind die dortigen Schwesterbehörden zuständig.“ Außerhalb der EU gebe es „nur sehr bedingte“ Handhabe. „Wir können mit Behördenaufsicht nicht alle Probleme des Internets lösen.“
Das „Verwaltungsverfahren“ wird bei der Abschaltung von KenFM nicht der einzige Faktor gewesen sein. Auch der Verfassungsschutz hatte begonnen, KenFM zu beobachten. Im Januar 2021 sperrte Youtube den Kanal, im Juni erklärte eine Hackergruppe, auf Jebsens Seite Daten von fast 40.000 Abonnent:innen erbeutet zu haben.
Doch auch die Intervention der Medienaufsicht wird Wirkung gezeigt haben. KenFM ist nicht das einzige Portal, das im Anschluss an eine solche Intervention verschwand. Die Landesmedienanstalt NRW hatte im Frühjahr auch dem extrem rechten Jugendportal Flinkfeed geschrieben. Mittlerweile ist das mit AfD-Fraktionsmitarbeitern des Düsseldorfer Landtags verbandelte Portal aus dem Netz verschwunden. Konkrete Maßnahmen hatte die Medienanstalt nicht ergriffen. Wer die URL eingibt, bekommt allerdings nur noch „Hundekrankenversicherungen im Test“ angeboten.
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