Der Stoffkreislauf beginnt im Klo: Pipi für die Böden
Wir spülen Unmengen an kostbarem Trinkwasser im Klo herunter. Besser wären neue Klo-Techniken – auch um den menschlichen Dünger effektiver zu nutzen.
E s gibt eine Ressource, die weltweit in Hülle und Fülle vorhanden ist: menschlicher Urin. Er besteht zu einem Großteil aus Stickstoff und Phosphor. Beide sind für alle Tiere und Pflanzen überlebenswichtig, und auch wir nehmen sie täglich durch unser Essen auf. Weil diese Nährstoffe mit der Ernte vom Acker verschwinden, benötigt der Boden ständig Nachschub. Heute wird mit viel Energieaufwand in Chemiefabriken Mineraldünger hergestellt. Er könnte aber genauso gut aus unserem Urin bestehen – und in einer zukunftsfähigen Kreislaufwirtschaft muss er das auch. Was wir brauchen, ist eine Sanitär- und Nährstoffwende.
Menschliche Ausscheidungen gelten als peinliche Angelegenheit, WCs als eine der größten Errungenschaften der Moderne. So spülen wir die Nährstoffe mit wertvollem Trinkwasser in die Kanalisation – und das in Zeiten des Klimawandels, in denen Wasser immer knapper wird (zwar sind gegenwärtig viele Landesteile überflutet, doch im Schnitt werden Dürren und sinkende Grundwasserstände Deutschland immer stärker prägen). Noch aber nutzen wir ein Drittel des Haushaltswassers fürs Klo.
Um daran nichts ändern zu müssen, soll Berlin künftig aus weit entfernten Regionen versorgt werden. Im Gespräch ist, die Elbe anzuzapfen oder ein Entsalzungswerk an der Ostsee zu errichten. Nicht nur der Bau von Anlagen und Rohrleitungen kostet viel Geld und Energie, sondern auch der laufende Betrieb. Und das alles, weil es als unhinterfragbarer Ausdruck von Zivilisation gilt, unsere Exkremente täglich mit 35 Litern Trinkwasser in den Untergrund zu befördern?
In der Kanalisation mischen sich unsere Fäkalien stark verdünnt mit Schwermetallen, Reifenabrieb und allerlei Dreck. Nach einer kilometerlangen Reise durch die aufwendigste Infrastruktur im deutschen Boden erreicht die Brühe eine Kläranlage. Hier wird versucht, das Wasser wieder von den unterschiedlichen Schadstoffen zu befreien.
Stickstoff und Phosphor verursachen den größten Aufwand. In der biologischen Klärstufe kommt ein ganzes Arsenal von Bakterien zum Einsatz, die in einer Art Whirlpool ihre Arbeit verrichten. Der Prozess benötigt extrem viel Strom und führt dazu, dass ein Großteil der Stickstoffverbindungen in die Luft entweicht.
Um die Flüsse vor Überdüngung durch Phosphor zu schützen, kippen die Anlagenbetreiber Eisen- oder Aluminiumsalze ins Abwasser und verfrachten damit den Phosphor in den Klärschlamm. Der wurde früher als Dünger verwendet. Doch weil er auch Mikroplastik und Schwermetalle enthält, ist das kaum noch zulässig. So wird die Pampe getrocknet und verbrannt. Weil Phosphor teuer und immer schwerer zu beschaffen ist, soll er künftig aus der Asche zurückgewonnen werden. Remondis und andere Konzerne freuen sich über das neue lukrative Geschäftsfeld. Bezahlen werden dafür wir Urinlieferant*innen.
ist freie Journalistin und Autorin in Berlin. Soeben ist ihr neuestes Buch im Verlag Orange-Press erschienen: „Holy Shit – der Wert unserer Hinterlassenschaften“.
Dabei ginge im Prinzip alles ganz billig und einfach: Wir sammeln den körpereigenen Rohstoff und nutzen ihn als Mineraldünger. Die Urinmenge, die ein Erwachsener am Tag produziert, reicht aus, um einen Quadratmeter Acker für ein Jahr mit den notwendigen Stickstoff- und Phosphormengen zu versorgen. Das wäre eine echte Kreislaufwirtschaft ohne Wasserverschmutzung, Energieverschwendung und giftigen Müll.
Schwieriges Düngerecht
Natürlich sollten keine Reste von Medikamenten auf den Feldern landen – um das verhindern, gibt es inzwischen Spezialfilter. Entwickelt wurden sie für die geplante vierte Stufe der Kläranlagen, die demnächst eingeführt werden soll, um Gewässer vor Mikroplastik und Arzneimitteln zu schützen. Während die Filter in den Kläranlagen jedoch riesige Abwassermengen verarbeiten müssten, könnte ihre Dimension bei der Behandlung von isoliertem Urin fast 99 Prozent kleiner ausfallen.
In der Schweiz gibt es bereits einen derart hergestellten Dünger auf dem Markt. In Deutschland darf er nicht verkauft werden, weil das Düngerecht nur bestimmte Ausgangsstoffe erlaubt; menschliche Ausscheidungen zählen nicht dazu.
Doch zum einen werden wir es uns immer weniger leisten können, wertvolles Trinkwasser einfach so ins Klo zu kippen. Zum anderen müssen wir den Nährstoffkreislauf wieder schließen. Bei Stickstoff und Phosphor sind die planetaren Grenzen schon längst überschritten. Das aber wird ignoriert, weil das Geschehen auf dem „stillen Örtchen“ ein Tabu ist.
Booten wir die Chemieindustrie mit ihrem teuren Kunstdünger einfach aus! Was sie mit hohen Belastungen für Umwelt und Klima herstellt, fließt täglich einfach aus uns heraus. Genau wie Sonnenenergie und Wind fallen auch menschliche Ausscheidungen dezentral und kostenlos an. Wir alle sind Düngerproduzent*innen.
Im Prinzip kann jede und jeder sofort anfangen. Wir müssen nur unseren Urin auffangen und mit Wasser verdünnt Zimmerpflanzen und Gartenbeeten zukommen lassen. Allerdings sind die so einsetzbaren Mengen sehr begrenzt. Ein solidarischer Landwirtschaftsbetrieb in Frankreich hat deshalb bereits ein größeres Kreislaufsystem entwickelt: Der Bauer liefert Gemüse in die Stadt und nimmt den Flüssigdünger der Mitglieder zurück aufs Land.
Engagierte Trockenklo-Community
Jenseits solcher privaten Initiativen aber bräuchte es große, alltagstaugliche Sammel- und Verarbeitungskapazitäten. Die Techniken dafür existieren. Die Sanitärfirma Laufen hat eine Toilettenschüssel entwickelt, bei der der Urin unverdünnt abgeleitet werden kann.
Doch nötig sind Umbauten in großem Stil. Die gute Nachricht: Längst ist eine kleine, aber höchst kompetente und engagierte Community am Werk. Sie entwickeln Trockentrennklos und Verarbeitungsanlagen für Kot und Urin, Gesetzesvorschläge und Praxisprojekte. Erstmals wird der Verein NetSan auch bei der „Wir haben es satt“-Demo diesen Samstag dabei sein und fordern: Ernten, essen, ausscheiden und düngen müssen wieder einen Stoffkreislauf bilden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen