Debatte um iranischen Feminismus: Westliche Besserwisserinnen
Feministische Kulturrelativistinnen kritisieren den Kampf der Iranerinnen gegen den Hidschab-Zwang. Wie konnte der Westen nur so unsolidarisch werden?
D er Kampf iranischer Frauen gegen den Schleierzwang ist so alt wie die Islamische Republik selbst. Im März 1979 ordnete Revolutionsführer Ruhollah Chomeini per Dekret den Schleierzwang in der Öffentlichkeit an. Unmittelbar darauf gingen iranische Frauen zu Hunderttausenden in allen großen Städten Irans auf die Straße. „Wir wollen keinen Schleierzwang“, riefen sie, und: „Freiheit ist weder westlich noch östlich, sondern universell“.
Damit markierten die für ihre Rechte kämpfenden iranischen Frauen den Schleierzwang als Angriff auf die Errungenschaften der Emanzipation, die sie als universell begriffen und selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen. Westliche Feministinnen wie Kate Millet aus den USA reisten in den Iran und zeigten ihre Solidarität. Etwas Ähnliches wäre heute kaum noch vorstellbar. Denn hierzulande dominieren zunehmend Kulturrelativistinnen, die sich als feministisch begreifen, die Debatten.
Beispielhaft für diesen Ansatz steht die Kritik an dem Dokumentarfilm „Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“. Regisseurin Nahid Persson wird vorgehalten, sie reproduziere gefährliche westliche Ideologien. Persson kommt selbst aus dem Iran, ihr Bruder wurde hingerichtet.
Ihr aktueller Film porträtiert die Aktivistin Masih Alinejad, die den Kampf iranischer Frauen gegen den Schleierzwang weltweit bekannt macht, aber auch Proteste gegen Willkürherrschaft, Korruption und Gewalt. Perssons Film zeigt, wie iranische Frauen Kraft daraus schöpfen, dass ihre Proteste wahrgenommen werden. „Ich schreie, weil ich weiß, dass du uns überall Gehör verschaffst“, erklärt Shahnaz Akmali, deren Sohn bei einer Kundgebung erschossen wurde.
verließ ihre Heimat Iran Mitte der 1980er Jahre, studierte Ingenieurwissenschaften in Berlin und setzt sich für Frauenrechte und Selbstbestimmung ein.
Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs
ist Historikerin und arbeitet für das Mideast Freedom Forum Berlin.
Alinejad erhält täglich unzählige Anrufe und Videos aus dem Iran. Die kulturrelativistischen Kritikerinnen gehen auf all die Nöte der Frauen, die der Film zeigt, nicht ein. Frauen bräuchten keine Stimme, die für sie spricht. Damit verhöhnen sie diejenigen, die sich an Alinejad wenden, weil es im Land kaum möglich ist, feministische Kämpfe bekannt zu machen.
Laut Reporter ohne Grenzen ist der Iran ein totalitäres Regime, eines der repressivsten Länder der Welt, auf Platz 178 von 180 Staaten bei der Meinungsfreiheit. Einige der im Film gezeigten Frauen haben für ihren Kampf gegen den Schleierzwang jahrzehntelange Haftstrafen erhalten, sie wurden geschlagen und gefoltert. Die Ärztin Zahra Bani Yaghoub starb in ihrer Zelle, nachdem sie festgenommen worden war, weil sie unverheiratet neben einem Mann auf einer Parkbank saß.
Kulturrelativistinnen halten dagegen etwas anderes für gefährlich. Alinejad reproduziere eine Idee aus der Kolonialzeit, nämlich dass weiße Männer Frauen of Color vor Männern of Color schützen müssen. Es ist empörend, wenn der Kampf iranischer Frauen so zu einer Sache weißer Männer umgedeutet wird. Das funktioniert nur unter Ausblendung der Geschichte der iranischen Frauenbewegung wie auch der Tatsache, dass fast alle Protagonistinnen des Films Frauen aus dem Iran sind. Weiße Männer kommen gar nicht vor.
Der Aktivistin wird zudem vorgeworfen, mit ihrer Arbeit Vorstellungen westlicher Überlegenheit zu reproduzieren. Es wird argumentiert, Alinejad bediene die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten – und die USA als Land der Demokratie und Freiheit sie retten könne.
Die Ursachen der Empathielosigkeit
Den Kampf gegen die totalitäre Gewaltherrschaft als islamfeindlich zu framen ist eine Argumentationsstrategie des islamistischen Regimes, um Kritik zu delegitimieren. Alinejad kritisiert nicht den Hidschab an sich, sondern den Hidschab-Zwang. Und sie versteht sich als Sprachrohr der Frauen im Iran, denen unter Androhung von Gewalt das Sprechen verboten wird, nicht als ihre Anführerin aus dem Westen.
Alinejad wurde 2009 ins Exil gezwungen, ist jedoch weiter Ziel iranischer Geheimdienste. Das FBI vereitelte einen Versuch, die prominente Aktivistin aus ihrem Haus in Brooklyn zu kidnappen und in den Iran zu entführen. Welches Schicksal sie dort erwartet hätte, zeigt der Fall des Journalisten Jamshid Sharmahd, der 2020 in den Iran entführt wurde und dem jetzt die Todesstrafe droht.
Woher kommen diese Entsolidarisierung, die Empathielosigkeit und die Anklagen gegen eine Frau, die ihr Leben dem Kampf der iranischen Frauen für Selbstbestimmung widmet und dafür mit Mord und Folter bedroht wird? Die Dominanz postkolonialer Theorien hat dazu geführt, dass westliche Linke auf politische Bewegungen im Globalen Süden, die sich an universellen Menschenrechten orientieren, zunehmend mit dem Vorwurf einer „mentalen Kolonisierung“ reagieren.
Diese feindselige Haltung gegenüber feministischen Kämpfen im Iran hat vor allem mit der Tatsache zu tun, dass sich Teile progressiver Kreise seit Jahrzehnten weigern, emanzipatorische Kritik an den Zuständen im Iran zu formulieren.
Frauenrechte als neuer Nebenwiderspruch
Ironischerweise fällt den Kritikerinnen nicht auf, dass sie als weiße privilegierte Frau einer Iranerin erklären wollen, welche feministischen Kämpfe im Iran relevant sind und welche nicht. Vollmundig wird dabei gern behauptet, das Patriarchat müsse als globales Phänomen betrachtet und bekämpft werden. Eine Forderung, die sicherlich richtig ist und trotzdem an die Argumentation männlicher deutscher Linker in den 1960er Jahren erinnert, die konkrete Kämpfe für Frauenrechte zu einem „Nebenwiderspruch“ erklärten.
Feministische Kulturrelativistinnen delegitimieren die Kämpfe um Selbstbestimmung. Sie ignorieren, dass nicht nur der Grad patriarchaler Gewalt, sondern auch die Mittel zu ihrer Durchsetzung global unterschiedlich sind. Iranische Frauen werden nicht warten, bis das Patriarchat als globales abstraktes Konstrukt abgeschafft ist, und sie werden ihre Kämpfe nicht dem ideologischen Wohlbefinden von westlichen Linken unterwerfen, die lieber über sie urteilen, statt mit ihnen zu sprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein