Debatte um Einfamilienhäuser: „Das ist wirklich Unfug“

Verbieten Grüne das Einfamilienhaus? Ein Hamburger Bezirksamtsleiter erklärt, warum er die von Konservativen gepushte Debatte recht irre findet.

Einfamilienhaus mit Baugerüst

Schlechte Karten fürs Einfamilienhaus: In Großstädten herrscht Flächenknappheit Foto: Christian Ohde/imago

taz: Herr Werner-Boelz, glaubt man manchen Liberalen und Konservativen auf Twitter, wollen Sie die Menschen in DDR-Plattenbauten stecken. Stimmt das?

Michael Werner-Boelz: Nein, natürlich nicht. Das ist wirklich Unfug.

Aber Sie verbieten neue Einfamilienhäuser, wie es die Bild-Zeitung titelt, oder?

Auch das ist eine irrige Annahme. In Hamburg-Nord, dem Stadtbezirk, für den ich zuständig bin, werden keine Einfamilienhäuser verboten. Überall dort, wo wir in gültigen Bebauungsplänen solche Häuser ausgewiesen haben, kann man sie weiter bauen. Und jeder, der in einem Einfamilienhaus lebt, lebt natürlich weiter darin.

Dann von vorn: Was ist passiert?

Das weiß ich selbst nicht so recht. Wir wollen in neu auszuweisenden Baugebieten auf Geschosswohnungsbau setzen – und keine Einfamilienhäuser mehr ausweisen. So haben es Grüne und SPD im Bezirk vereinbart. Neu ist dieser Kurs aber gar nicht. Ich kann mich an keinen Bebauungsplan erinnern, in dem noch Einfamilienhäuser im Bezirk Hamburg-Nord erlaubt wurden – und ich bin schon einige Zeit in der Kommunalpolitik aktiv.

Michael Werner-Boelz, 54, leitet das Bezirksamt Hamburg-Nord und ist Grünen-Mitglied.

Warum setzen Sie auf Geschosswohnungsbau?

Die Macht des Faktischen holt die Metropolen ein. Hamburg ist da nur ein Beispiel, das für alle steht. Wir haben pro Jahr einen Zuzug von mehreren tausenden Menschen, Hamburg ist ein Sehnsuchtsort für viele. Gleichzeitig sind die Flächen für Neubauten knapp. Ich muss also mit begrenzten Ressourcen für bezahlbaren Wohnraum sorgen.

Also doch Plattenbauten für alle?

Nein, moderne, anspruchsvolle Architektur ist doch etwas ganz anderes als DDR-Platten.

Wie müssen wir uns die Häuser vorstellen?

In Hamburg-Nord entsteht gerade zum Beispiel das so genannte Pergolenviertel. 1.700 Wohnungen auf 27 Hektar in mehrgeschossigen Häusern, die bis zu acht Stockwerke haben. Das wird ein lebendiges, hübsches Wohnviertel mit Parks, Innenhöfen, Spielplätzen, sogar Kleingärten. Pergolas, also Säulengänge, sind das verbindende architektonische Element.

Das Einfamilienhaus ist aber auch ein Sehnsuchtsort für viele Menschen, ein Traum, den man sich verwirklichen will. Verstehen Sie, dass sich Leute über ein drohendes Verbot aufregen?

Natürlich verstehe ich, dass das Thema emotionalisiert. Ich bin kein Einfamilienhaus-Hasser. Ich gönne jedem sein Häuschen mit Garten und Freiraum für die Kinder. Aber nochmal: In Metropolen stehen wir vor der Herausforderung, trotz knapper Flächen viel bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Da funktionieren Einfamilienhäuser einfach nicht überall.

Sie argumentieren, dass Stadtplanung auch eine soziale Komponente haben muss, richtig?

Ja. Ein Einfamilienhaus in Hamburg kostet rund 800.000 Euro. Das können sich Menschen mit normalen Jobs und ohne Erbe nicht leisten. Der Mietmarkt ist in Hamburg so überhitzt wie überall. Und wenn eine Familie mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben muss, bekommt sie Probleme. Rund 40 Prozent aller Hamburger Haushalte haben Anspruch auf geförderten Wohnraum.

Wie sieht eigentlich das Stadtgebiet aus, für das Sie zuständig sind?

Sehr unterschiedlich. Wir haben urbane Zentren wie Eppendorf oder Hoheluft-Ost, ehemalige Arbeiterquartiere wie Barmbek und in Richtung Landesgrenze Schleswig-Holstein auch Einfamilien- oder Reihenhaus-Gebiete. Auch das Häuschen von Helmut und Loki Schmidt steht in unserem Bezirk.

Wie handhaben andere Bezirke Hamburgs das Thema?

Ähnlich wie wir. Auf Landesebene hat die Koalition das Hamburger Maß verabredet. Es wird Verdichtung eingefordert, beim Bauen ist ein großstädtisches Maß einzuhalten. Olaf Scholz hat schon vor Jahren, als er noch Erster Bürgermeister war, gesagt, Hamburg müsse dichter und höher bauen.

Wie gehen Ihre Kollegen anderer Parteien in anderen Städten mit dem Einfamilienhaus um?

Ich habe nicht den Überblick über die bundesweite Praxis. Aber mein Eindruck ist: Das, was wir hier machen, ist State of the Art der Stadtplanung. Sie werden auch in München, Köln oder Berlin kaum noch Bebauungspläne mit Einfamilienhäusern finden. Auf dem Land sieht es natürlich anders aus, völlig zu Recht.

In Sozialen Netzwerken werden die Grünen wegen Ihrer Politik als Verbotsfetischisten geschmäht. Wie nehmen Sie die Debatte war?

Die Debatte finde ich – ehrlich gesagt – etwas irre. Sie hat null Realitätsbezug. Es ist ja auch bezeichnend, wie das Ganze angefangen hat …

Wie denn?

Anfang des Jahres ist ein seriöser Bericht in der Welt am Sonntag über Hamburgs Wohnungspolitik erschienen – mit Zitaten von mir. Niemand hat sich daran gestört. Nach drei Wochen wurde der Text mit einem anderen, zugespitzten Teaser online gestellt. Davon haben dann alle abgeschrieben, und es wurde manchmal noch falscher. Der Focus hat sogar insinuiert, der Hamburger Senat wolle Einfamilienhäuser verbieten. Was natürlich völliger Unfug ist.

Warum haben Sie das den JournalistInnen nicht richtig erklärt?

Die Journalisten von der Bild-Zeitung oder vom Focus haben sich nie bei mir gemeldet.

Welche Reaktionen bekamen Sie von BürgerInnen nach der verfälschenden Berichterstattung?

Ich habe meinen Auftritt in Sozialen Medien auf privat umgestellt. Da kamen wüste Beschimpfungen, eine habe ich sogar zur Anzeige gebracht. Am schlimmsten ergeht es den KollegInnen im Bezirksamt. Sie bearbeiten Bauanträge und beantworten Fragen. Bei ihnen gehen besorgte Anrufe von BürgerInnen ein, die denken, dass ihr Haus enteignet wird. Oder sie ängstigen sich, dass sie ein genehmigtes Einfamilienhaus nicht mehr bauen dürfen. Diese Ängste können wir ihnen dann aber schnell nehmen.

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