Brombeerkoalitionen aus CDU und BSW: Letztes Mittel gegen die AfD
In Erfurt und Sachsen werden CDU und BSW Notkoalitionen bilden, die wenig verbindet. Doch nur so kann man die AfD von der Macht fern halten.
I n Dresden und Erfurt werden CDU und BSW versuchen, Regierungen zu bilden. Das wird ein zäher Prozess, der Monate dauern kann. Die Regierungen, die dort vielleicht entstehen, werden Negativkoalitionen sein – gebildet, um die Rechtsextremen von der Macht fernzuhalten.
Für dieses politische Experiment sind CDU und BSW nicht gut präpariert. Die CDU darf in Thüringen wegen eines surrealen Unvereinbarkeitsbeschlusses zwar mit den Putin-Fans des BSW regieren, nicht aber mit der Linkspartei von Bodo Ramelow, der als Landesvater christlicher als die CDU und sozialdemokratischer als die SPD wirkte. Das westdeutsche Parteiensystem hat im Osten mitunter dysfunktionale Effekte.
Ein Problem auf dem Weg zu stabilen Regierungen ist Sahra Wagenknechts Ansage, dass sich CDU und SPD gegen die Stationierung von US-Raketen und gegen mehr Waffen für die Ukraine bekennen müssen. Realpolitisch hat das wenig Sinn. Die US-Raketen werden im Westen stationiert, die CDU ist dafür nicht verantwortlich. Und selbst wenn Sachsen und Thüringen im Bundesrat Initiativen für weniger Waffen und Raketen einbringen würden – sie würden abgelehnt. Ende der Durchsage.
Doch Wagenknecht braucht „Frieden“ als sinnstiftende Chiffre, um den Graben zwischen der populistischen Hybris, dass alles mit einem Fingerschnipsen ganz anders sein könnte, und der kleinteiligen Landespolitik (keine Tablets in Grundschulen) zu überbrücken. Das BSW lebt von dem Versprechen radikaler Komplexitätsreduzierung, der Illusion, die Mühen politischen Handelns in Mehrebenensystemen könnten einfach weggepustet werden.
Empfohlener externer Inhalt
Die „Alle gegen Eine“-Koalition
Es kann am Ende in Erfurt und Dresden stabile Regierungen geben, als Koalitionen oder mit verbindlichen Tolerierungen. Dafür wird geschickte Wortdrechslerei nötig sein, um die für die CDU heilige Westbindung und BSW-Friedensparolen in Kompromissformeln zu verknüpfen. Auch das BSW kann mitspielen.
Die Rolle als Juniorpartner in einer Landesregierung gefährdet zwar Wagenknechts Stilisierung als moralischer Konterpart der Mächtigen. Ob sie die Regierungsbeteiligungen will, ist offen. Und das BSW ist eine autoritär geführte Top-down-Organisation.
Aber wenn die BSW-Fraktionen in Erfurt und Dresden mitregieren wollen (wofür einiges spricht), haben sie Druckmittel in der Hand. Zoff oder gar eine Spaltung würden Wagenknechts Chancen bei der Bundestagswahl 2025 ruinieren. Rhetorisch rüstet die BSW-Spitze gerade ab: Man biegt von „Keine Waffen für die Ukraine“ zur Formel „Mehr Diplomatie“ ab.
Aber lohnt das? Für das Gelingen dieser Anti-AfD-Regierung müssen sich alle Beteiligten bis an die Schmerzgrenze verrenken. Die Alle-gegen-einen-Dramaturgie bekräftigt die Opfererzählung der AfD. Vielleicht macht dieses letzte Antifa-Aufgebot die AfD in fünf Jahren ja noch stärker. Vielleicht haben gerade Regierungen, in denen zusammenkommt, was nicht zusammengehört, den Effekt, zu beflügeln, was verhindert werden soll.
Die Alternative könnte ein Faschist als Ministerpräsident sein
Empfohlener externer Inhalt
So kann es kommen. Aber was ist die Alternative? Christdemokraten wie Roderich Kiesewetter fordern einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW, weil man mit Putin-Anhängern nicht regieren dürfe. Solche politischen Selbstfesselungen richten in diesem unübersichtlichen Gelände Schaden an. Der Preis wäre eine Lähmung der Demokraten.
Falls sich CDU, BSW, SPD und Linkspartei in Erfurt politisch blockieren, könnte Björn Höcke sogar Ministerpräsident werden. Dann könnten den Rechtsextremen in einem dritten Wahlgang ihre eigenen Stimmen reichen. Die Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen 2020 hat gezeigt, dass böse Überraschungen möglich sind.
Man sollte nach den AfD-Erfolgen erkennen, dass Dämonisierungen nicht viel nutzen. Brandmauern zu beschwören, wenn AfD-Kandidaten fast 50 Prozent bekommen, ist bloße moralische Selbstertüchtigung. Aber Höcke als Ministerpräsident, selbst wenn er machtlos, weil ohne Mehrheit wäre? Das ist mehr als fahrlässig. Höcke ist der radikalste Vertreter des faschistischen Flügels der AfD. Er zielt auf ein ethnisch bereinigtes Deutschland, er will die Demokratie zerstören.
Die Erwartung, dass sich Faschisten im Amt selbst entzaubern, ist in Deutschland schon einmal herb enttäuscht worden. Wenn demokratische Parteien zulassen, dass in Erfurt ein Faschist an die Macht kommt: Wie soll die Union die AfD dann anderswo auf Distanz halten?
Kurzum: Die CDU-BSW-SPD-Regierungen sind nicht schön, aber nötig. Sie sind der Griff zur Notbremse. Die Gefahr, dass der Zug sonst entgleist, ist real.
Mehr zu Thüringen und Sachsen nach den Wahlen im Bundestalk, dem politischen Podcast der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos