Braune Tradition zwischen Main und Alpen: Bayern schafft sich ab

Die Gegend zwischen Lech und Inn war stets Projektionsfläche für Derbes und Zünftiges. Mit Söder und Aiwanger ist die Sache leider nicht mehr lustig.

Portrait mit Bierkrug

Der Niederbayer Hubert Aiwanger im Bierzelt zu Maisach Foto: Johannes Simon/SZ Photo

Bayern war eine Erfindung des Auslands. Im fünften Jahrhundert nach Christus räumten die römischen Legionen die randständige Provinz Rätien und nahmen die meisten Menschen mit über die Alpen nach Italien. Die Zurückgebliebenen, ihrer romanischen Sprache wegen später Walchen (Welsche) genannt, begründeten eine typisch bayerische Eigenschaft, das Hockenbleiben; in der Fachliteratur ist von Oknophilie die Rede, der Laie spricht von Heimatverbundenheit.

Stoßweise füllte sich im Folgenden der geleerte Raum mit einer multikulturellen Melange, für die sich in der Forschung der Begriff Sauhaufen etabliert hat. Um diese frontier stritten sich die angrenzenden Ostgoten, Oströmer und Franken, Letztere waren am Ende siegreich und setzten eines ihrer Geschlechter als Herzöge ein, damit eine Ruh’ war.

Wie die Menschen zwischen Lech und Inn, Donau und Alpen – unter ihnen viele Hunnen – zum Namen Bayern kamen, weiß niemand. Wie die Historikerin Brigitte Haas-Gebhard („Die Baiuvaren“) vermutet, handelt es sich „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ um eine Bezeichnung, die von außen vergeben wurde.

Dass sich die dort zusammen Raufenden später großes Ansehen unter ihren Nachbarn erworben hätten, wird man nicht behaupten können. Schwer lasteten die Drogen Bier und Katholizismus auf dem Land, Faulheit, Grobheit und Freude am Gesang galten als Hauptcharakterzug der Bevölkerung, getreu dem Sprichwort: „Wenn der Bauer nicht muss, rührt er weder Hand noch Fuß.“

Das triste Bayern schnellstmöglich loswerden

Gefensterlt und geschnackselt wurde bei all der Muße frei und unverhohlen, noch meine geliebte Urgroßmutter aus der Mühldorfer Gegend, die ich nie ohne Rosenkranz in der Hand gesehen habe, hat ihre Kinder ganz selbstverständlich unehelich bekommen, bis sie der Uropa dann doch noch vor den Altar kriegte. Auf einer Berliner Karte von 1875, auf der das frisch gegründete Deutsche Reich sich seiner blonden und blauäugigen Kinder zu versichern glauben musste – warum nur? –, wird Bayern rassistisch als Land der Dunkelhaarigen und Braunäugigen markiert.

Die heimische Linie des herrschenden Geschlechts starb ob der Verhältnisse im 18. Jahrhundert deprimiert aus, ein Pfälzer Verwandter musste übernehmen und wollte das Land gleich an den damals noch größeren Nachbarn Österreich veräußern.

Auch der einzige bedeutende Staatsmann, den Bayern je gehabt hat, Maximilian von Montgelas, dachte zu Beginn seiner Tätigkeit unter dem späteren ersten bayerischen König Max nur daran, wie man „dieses ganze triste Bayern“ schnellstmöglich wieder loswerden könnte. Aber dann blieb er. Und schuf einen rabiat säkularisierten und autoritären Zentralstaat, dabei mit Einsetzen der Romantik stark angefeindet von katholisch-volkstümlich-antisemitischen Kreisen (heute: Freie Wähler).

Ein Hort des Urpopulismus

Wer mag, kann hier den gleichen Gegensatz sehen wie aktuell beziehungsweise während der eingangs skizzierten wilden Anfänge des baye­ri­schen Gesellschaftsgefüges: nämlich den zwischen besinnungslos dem Geselchten, Gebrauten, Geheiligten und Geschlechtlichen hingegebenen Natives und oft unfreiwillig zugereisten Eliten, die etwas Vernünftiges mit den ihnen zugefallenen Ländereien und Wesen anzufangen suchten.

Bayern ist mit dieser präbürgerlichen Konstellation ein Hort des Urpopulismus mit eingebauter Selbstopposition bei beständiger Volk-­Herrscher-Interaktion unter Drogen („Bierzelt“), von oben changierend – sehr gut an Söders Coronapolitik zu sehen – zwischen Zuckerl und Züchtigung, dabei mit einem für deutsche Verhältnisse hohen Anteil direktdemokratischer Elemente.

Das Verhältnis der Menschen zur Obrigkeit gestaltet sich einerseits im Duktus antiautoritär, um sich nach Aufwallung doch rasch wieder knatschig zu fügen: ein Dauergranteln, dessen typischstes Symbol der Bierkrawall ist, die bayerische Variante der Revolution, ausgelöst durch Ver­teue­rung des Grundberuhigungsmittels. Wenn ich noch mal meine geliebte Urgroßmutter als Beleg anführen darf: Sie ernährte sich in ihren letzten Jahren vorwiegend von in dunkles Bier eingebrockten Semmeln, dabei stets vorparadiesisch lächelnd.

Wenn das Volk sich von den Eliten verraten fühlte, etwa durch den Anschluss an das deutsche Kaiserreich 1871, dann suchte es Zuflucht bei einer Lichtgestalt, einem seine Untergebenen vergewaltigenden schwulen König zum Beispiel, dem „Kini“, der selbstverständlich einem preußisch-städtischen Mordanschlag zum Opfer gefallen sein musste. Lieder, die den Tod ­Ludwig II. so interpretierten, blieben bis zur Revolution 1918 verboten.

Lichtgestalten und Volkserzieher

Spätere Lichtgestalten hießen Hitler (oder sein Bruder), Schönhuber (Republikaner), Brunner (Bund freier Bürger) und eben nun Aiwanger. Typisch für die Lichtgestalt ist, dass sie die zu ihr Aufstoßenden gründlich verachtet und nach höheren Sphären strebt: Wer möchte schon sein Leben als Bierzeltanimator fristen?

Einer, der die Rollen von Lichtgestalt und autoritärem Volkserzieher schweißglänzend vereinigte, war der CSU-Don Franz Josef Strauß, ein hochbegabter Krimineller und skrupelloser Dema­go­ge. Als er 1978 Ministerpräsident in München wurde, konnte es ihm gar nicht genug pressieren, wieder dahin zu kommen, wo wirklich etwas entschieden wurde, damals nach Bonn. Dazu passend verfügte Strauß, dass in der Bayernhyme von „deutscher Erde“ gesungen werden sollte statt von einer provinziell-grattlerigen „Heimaterde“. Wie alle seine Vorgänger und Nachahmer scheiterte er allerdings damit, sich oder das Land in die wirklich erste Klasse zu pushen.

Zum Glück, wenn man so will: Dachau stand am Beginn des Vernichtungslagersystems, Nürnberg war die „Stadt der Reichsparteitage“ und München die „Hauptstadt der Bewegung“, der Führer (oder sein Bruder) residierte in Berchtesgaden.

Als in Bonn der Feind in Form der sozialliberalen Koalition an die Macht kam, erreichte der heute vergessene Politiker Alfons Goppel (NSDAP-Mitgliedsnummer 5.495.933) das beste Wahl­ergeb­nis ever, 62,1 Prozent wählten 1974 CSU und damit ihn zum Ministerpräsidenten. Davon ist Markus Söder für die am 8. Oktober anstehenden Landtagswahlen weit entfernt: Nicht mal eine absolute Mehrheit kann er noch anpeilen, lächerliche 40 Prozent gelten als Ergebnis, das seinen maßlosen Appetit auf die Unions-Kanzlerkandidatur untermauern könnte. Landespolitik ist ihm egal, die Bundesländer nur föderalistische Folklore.

Hubert Aiwanger sah seine Chance auf eine Hauptrolle

Söder ist als lutherischer Franke das letzte Aufgebot der nach Strauß und Amigoskandalen zerbröselnden Staatspartei CSU; das eigentlich vorgesehene oberbayerische Führungspersonal war schon mit Seehofer nur noch ein weinerlicher Abklatsch. Übrig geblieben sind atemberaubend schlechte Witzfiguren wie Ramsauer, ­Dobrindt oder Scheuer, alle einst im Amt des Bundesverkehrsministers – mit den bekannten katastrophalen Folgen für unsere Gesellschaft.

Es ist kein Zufall, dass in diesem zerfallenden Tragödienstadl eine Gestalt wie Hubert Aiwanger seine Chance auf eine Hauptrolle erkannt und genutzt hat. Als eine Art Hügelland-Haider bedient er in Nachfolge des alpinen Urrechtspopulisten jene ehemalige Nazi-CSU-Klientel, die Seehofer in der menschenfeindlichen rhetorischen Tradition von Franz Josef Strauß mit dem Gerede von der „letzten Patrone“ noch gerade so im Bierzelt hielt.

Was an Aiwanger als spezifisch bayerisch gelten kann, ist, dass er bisher als „Spinner“ durchgehen konnte statt als Rechtsradikaler

Aiwanger zieht pöbelnd über die Lande und durch die Sendeanstalten, als „rechtspopulistischer Staubsauger mit Dreckschleudervorrichtung“, wie der Haider-Biograf Klaus Ottomeyer das Phänomen auf den Punkt gebracht hat.

Auch Bayern gehört zu Deutschlnd, mit allen Do's and Dont's

Aiwangers Taktik ist dabei vollkommen globalisiert-trumpisiert, jede Kritik an ihm ist eine Kampagne, jede obszöne Brutalität, die er äußert, wurde nur von böswilligen Medien verdreht, wer ihn kritisiert, wird zum Volksfeind ohne gesunden Menschenverstand erklärt, der „den Arsch offen“ hat.

Was an Aiwanger als bayerisch gelten kann, ist, dass er bisher als „Spinner“, als Grantler und Grattler durchgehen konnte statt als ganz normaler deutscher Rechtsradikaler. Das außer­baye­ri­sche oder auch nur münchnerische Ausland hat Aiwanger jede Menschenfeindlichkeit durchgehen lassen, sogar als er öffentlich für Messerstechereien plädierte, immer unter dem Vorbehalt: Ja mei, ein (Nieder-)Bayer halt. Bayern, wir erinnern uns, ist eine Erfindung des Auslands.

Als klassische „verfolgende Unschuld“ (Karl Kraus), als mindestens ehemaliger Neonazi – ob er nun mit 15, 16 oder 17 einer war oder nicht, das ist Aiwanger wie der Mehrzahl der Deutschen nach 1945 beim besten Willen „nicht erinnerlich“ – hatten Aiwanger und seine Volks- und Parteigenossen aber eines übersehen, dachte man zumindest bisher: Bayern gehört zur Bundesrepublik Deutschland, einem strukturell protestantischen Gebilde, das sich aufgrund seiner verbrecherischen Geschichte und alliierter Erziehung zumindest auf offizieller Ebene auf gewisse Werte, umgesetzt in Rituale und Sprachregelungen, auf Dos and Don’ts festgelegt hat.

Durch den Nasenring der Bierzelte gezogen

Die fortgesetzte Karriere Aiwangers zeigt nun, dass diese moralische Verabredung nicht mehr gilt. Ermöglicht hat diesen Dammbruch Markus Söder, aus niedrigen persönlichen und parteipolitischen Motiven. Söder hat damit auch vorweggenommen, auf welche Weise er die Bundesrepublik regieren würde: Wer Aiwanger in München deckt, hat wohl auch in Berlin keine Skrupel, Rechtsradikale in Ministerämter zu berufen.

Aus der blutleeren CSU wird es selbst jetzt niemand schaffen, Söder zu stoppen. Wie er sich Aiwanger ausgeliefert hat, um von diesem sofort triumphierend durch den Nasenring der Bierzelte gezogen zu werden, so ist die CSU, in der Diktion von Franz Josef Strauß, ein Verein „politischer Pygmäen“ geworden.

Müssen es also wieder einmal Eliten von außerhalb sein, die für demokratische Ordnung in Bayern sorgen oder wenigstens dafür, dass Bayern in Bayern, also in seiner eigenen braunen Soße hocken bleibt? Keine Ahnung. Und wenig Hoffnung.

Dem populistisch-enthemmten Hochgefühl der Aiwanger-Adepten folgt früher oder später die Bauchlandung. Bis dahin wird vieles irreparabel zerstört sein. „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt“, räsonierte schon Herbert Achternbusch vor bald 50 Jahren im Film „Servus Bayern“. Das ist jetzt vollendet: Bayern ist Hubert Aiwanger. Bayern ist Deutschland.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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