Bekleidungsregeln in Schwimmbädern: Freie Brust für alle?
Nicht nur in Hamburg und Göttingen wird darüber diskutiert, ob das Oben-Ohne-Baden in Schwimmbädern für alle erlaubt sein sollte. Ein Pro und Contra.
Ja,
e s ist richtig, wenn nicht nur Männer wählen dürfen, ob sie mit freiem Oberkörper schwimmen – sondern alle. Denn darum geht es: um Gleichbehandlung. Derzeit haben nur Männer die Entscheidungsfreiheit darüber, ob sie in der Öffentlichkeit mit nacktem Oberkörper herumlaufen – egal, ob es anderen gefällt oder nicht. Deshalb ist es aus feministischer Perspektive gut, wenn jetzt vereinzelt Volksvertreter:innen wie in Hamburg-Eimsbüttel oder Göttingen dafür sorgen, dass es wenigstens im Schwimmbad, wo nur ein kleiner Teil des Körpers bekleidet ist, der sich zudem oft unter Wasser befindet, fair zugeht.
Doch offenbar ist das Thema für viele Menschen angstbesetzt. Die einen – Männer – haben Sorge, gegen den Beckenrand zu schwimmen, wenn Brüste nicht mehr adrett eingepackt sind. Die anderen – Frauen – befürchten, angestarrt und ausgelacht zu werden, wenn sie ihre Brüste weiter verhüllen. Und dann gibt es noch die Sorge um Mädchen und junge Frauen, die sich einem Gruppendruck beugen könnten.
Diese Angst ist verständlich vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Jahrzehnten Frauen von anderen zum Ausziehen genötigt wurden. Wer nicht mitmachte, etwa in den 1970er Jahren unter dem Deckmantel der sexuellen Befreiung, galt als prüde. Auch heute noch sollen Frauen und Mädchen „Bein zeigen“ und gerne „nackte Haut“. Aber eben davon auch nicht zu viel, nicht einmal, wenn sie ihr Kind stillen, weil die Brust – so die schlichte Argumentation derer, die stillende Frauen aus Gaststätten verweisen – nun einmal ein Sexualorgan sei. Was das Baby wahrscheinlich nicht unterschreiben würde. Wer so argumentiert, unterscheidet sich nicht von Frommen, die Frauen zur Bedeckung von Haaren oder gleich des ganzen Körpers auffordern, damit andere sich nicht sexuell stimuliert fühlen.
Auf genau diese haarsträubende Argumentation machen diejenigen aufmerksam, die sich für Entscheidungsfreiheit und damit für nackte Brüste einsetzen. Sie weisen darauf hin, dass Körper erst kulturell sexualisiert werden – unter anderem durch Bekleidung. Eine Burka sagt: Die ganze Frau ist eine einzige sexuelle Zone. Ein Bikini zeigt an, wo sich die sexualisierten Körperteile befinden. Manch eine:r behauptet gar, Frauen nur deshalb Bekleidungsvorschriften zu machen, um sie vor Anstarren und Übergriffen zu schützen. Als würden Bikini oder Badeanzug (oder Rock oder Hose oder Burka) davor bewahren!
Möglicherweise schützt eine nackte Brust sogar mehr. Weil kein Stoff klarstellt, dass hier etwas besonders Interessantes verborgen wird. Wenn ein Mensch die Brust freiwillig nicht verhüllt, weil er damit ausdrückt, dass es sein Körper ist und nicht dazu gedacht, jemand anderem zu gefallen oder ihn zu erregen. So wie die Person neulich auf einem Theaterfestival. Sie – keine Idealmaße – trug ein durchsichtiges Spitzentop über ihren sehr großen Brüsten. Wer hinstarrte, wurde sich dessen sofort bewusst und merkte zugleich: Dieser Busen wird nicht zum Vergnügen eines anderen präsentiert.
Im Nebeneffekt würde sichtbar werden, wie unterschiedlich Brüste aussehen. Hoffentlich lässt dann der Druck nach, sie in BHs zu zwängen, die aus allen eine normierte Einheitsbrust machen.
Eiken Bruhn
Nein,
ich bin dagegen, denn Schwimmbecken sind Orte, an denen fremde Menschen sich ungewohnt nahe kommen. Das Stück Stoff über der Brust ist der nötige Schutz vor Blicken, der ermöglicht das zu tun, worum es geht: einfach schwimmen gehen.
Im Zuge der Gleichberechtigung soll es Frauen in Eimsbüttels Schwimmbädern auch erlaubt sein, oben ohne ins Wasser zu gehen. Das will die dortige SPD mit einem Antrag erreichen, der morgen zur Abstimmung steht. Derweil fordert schon seit Monaten unter dem Titel „Gleiche Brust für alle“ eine Petition die „Desexualisierung“ der Brust. Und wann immer in irgendeiner Gemeinde sich ein Lokalpolitiker zum Busenthema äußert, greifen die Medien das begierig auf.
Der Sprecher der Hamburger Bäderland GmbH sagte, dass „oben ohne“ auf Liegewiesen bereits erlaubt sei, beim Baden aber Bekleidung erwünscht sei. Es müsse zu diesem Thema erst einen breiten gesellschaftlichen Diskurs geben, so etwas könne man nicht einfach „per Antrag“ entscheiden. Recht hat er.
In der Oben-Ohne-Petition wird zwar zu Recht beklagt, dass in Göttingen eine Person mit Brüsten des Bades verwiesen wurde. Frauen, die ihre Brustwarzen nicht verhüllen, als störendes Ärgernis zu behandeln, ist falsch. Einfach gewähren lassen wäre die richtige Reaktion.
Aber hier wird nun eine breit angelegte Kampagne gefahren, die so tut, als ob alle Frauen das gleiche Interesse hätten, ohne den Schaden zu reflektieren. Sie trägt ein neues Konfliktpotiential in einen öffentlichen Raum, in dem wir Kompromisse brauchen. Selbst wenn es nur das Ergebnis von kultureller Prägung ist, dass viele Männer weibliche Brüste erregend finden, sind sie ja nun erst mal so geprägt. Und auch die weiblich sozialisierten unter uns sind in diesem Bewusstsein aufgewachsen. Es wird also bei nackten Busen die stetige Frage sein, wer wo wie lange hinguckt.
Und einem Mann sagen zu müssen, „Bitte gucken Sie weg“, kostet Überwindung, ist schon ein Stressmoment. Diese ganze Ebene von Beobachten und Beobachtetwerden, womöglich sogar taxiert und beurteilt, zerstört die Unbedarftheit, mit der heute ein Schwimmbadbesuch möglich ist. Interessant, dass noch keiner vorschlug, auch untenrum die Badehose wegzulassen, damit wir Penisse sehen.
Nun kann man einwenden, dass ja keine Frau oben ohne ins Bad muss. Aber natürlich wird durch diese Kampagne, ist sie erfolgreich, ein Druck aufgebaut, sich auch barbusig ins Becken zu trauen. Und diese Coolness bringen junge, genderstudium-gestärkte Frauen vermutlich eher auf als ältere. Ohnehin wird um die Brust ein beispielloser Schönheitskult betrieben, der dazu führt, dass sich gesunde Frauen zigtausendfach unters Messer legen. Ein Leser kommentierte bereits, dass die Brust einer 90-Jährigen gewiss nicht erotisch sei. Allein diese Aussage macht deutlich, dass die Kampagne auch das Potential hat, Menschen zu verletzen. Der Besuch im Schwimmbad würde zumindest zunächst sexualisiert.
Ginge es um Gleichberechtigung, gäbe es ja noch andere Möglichkeiten. Männer könnten wieder Badeanzüge tragen, dann wären auch ihre Brustwarzen nicht zu sehen. Und wen das stört, für den gäbe es ja immer noch die separate Freikörperkultur.
Kaija Kutter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen